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Geist lebt - Wirtschaft webt

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Die öffentliche Debatte der letzten Monate über Kultur- und Hochschulfragen in Oesterreich hat unter anderem auch deshalb aufhorchen lassen, weil jene Richtung der marxistischen Gesellschaftsbetrachtung, die bisher Kunst und Kultur nur als einen sublimen Ueberbau über dem Block des Wirtschaftslebens ansah, jetzt eine betonte Besorgnis für den Primat des Geistigen und für eine entsprechende Wertung der geistigen Arbeit zu äußern beginnt. Tatsache ist es ja, daß nicht die Entwicklung der Wirtschaft oder der Technik oder des sozialen Lebens die menschliche Geschichte einschließlich der Wirtschaftsgeschichte bestimmt, sondern die geistige Haltung des Menschen, welche für die Richtung der Wirtschaftspolitik wichtiger ist als die wirtschaftliche Tatsache selbst; übrigens gehören ja auch Entdeckungen und Erfindungen zu janer Geistesarbeit, der die moderne Wirtschaft ihre Leistungsfähigkeit zu verdanken hat, wobei den Geisteswissenschaften keine mindere Bedeutung zukommt als den Naturwissenschaften; ohne Plato kein Einstein. Eher also kann man die moderne Wirtschaft als das Derivat einer Geisteshaltung bezeichnen, die mittelbar alle Sparten der Wirtschaftsentwicklung beeinflußt und befruchtet. Die Unterwerfung der geistigen Arbeit durch materialistische Nivellierung ist gerade für uns doppelt gefährlich; denn Oesterreichs wirtschaftliche Chance liegt ja gerade im individuellen Einfallsreichtum, in der schöpferischen Fertigkeit und im geistigen Forminstinkt.

Der weitere Wiederaufbau der österreichischen Wirtschaft wird nicht zuletzt davon abhängen, wie weit die Verflechtung von Wirtschaft und Wissenschaft klar erkannt — und wie weit dieser Erkenntnis Rechnung getragen wird. Die USA halten vielleicht heute nur deshalb die Spitze der wirtschaftlichen Produktivität, weil sich dort innerhalb der letzten 20 Jahre die Ausgaben für wissenschaftliche Forschungszwecke von 166 auf 1400 Millionen Dollar erhöht haben; in den Vereinigten Staaten verfolgt man das Ziel, ein ganzes Prozent des amerikanischen Nationaleinkommens für Forschungszwecke heranzuziehen (das Nationaleinkommen betrug 1952 rund 345 Milliarden Dollar). Natürlich liegt das Schwergewicht der Forschung beim privaten Unternehmertum; es ist in den USA kein Sonderfall, wenn von 12.000 Angestellten eines Unternehmens etwa 600 im eigenen Forschungsinstitut beschäftigt sind. In Westdeutschland will man für wissenschaftliche Forschungszwecke in Hinkunft 0,1 Prozent des Volkseinkommens ausgeben. In Oesterreich dagegen sind im Bundesbudget für Hochschulen und für wissenschaftliche Zwecke (also für Lehre und Forschung zusammen) minimale Beträge eingesetzt; und zwar betragen diese Zuweisungen in Anteilen am Bundesbudget im Jahre 1927 — 13,2 pro mille, 1937 — 10,9 pro mille, 1947 _ 8,5 pro mille und 1952 — 8 pro mille; eine Entwicklung, die deutlich genug aufzeigt, wie unter dem zunehmenden Druck der in Massenorganisationen vertretenen Berufsschichten geistige Arbeit und ihre Träger benachteiligt werden. Für das Budgetjahr 1953 mit einem voraussichtlichen Gesamtaufwand von 20 Milliarden Schilling ist für die Hochschulen ein Personalaufwand von 94 Millionen Schilling beantragt, für Sachaufwand 95,3; für wissenschaftliche Zwecke Personalaufwand 6,9, Sachaufwand 12,4. Der Gesamtaufwand würde somit für Hochschulen und wissenschaftliche Zwecke rund 10 pro mille des Gesamtbudgets betragen, der Personalaufwand für wissenschaftliche Zwecke aller Art, also auch für die nicht unmittelbar der Wirtschaft dienenden 0,3 pro mille neben, beispielsweise, einem Sozialaufwand von 180 pro mille!

Einen kleinen Trost mag es bieten, daß unsere Privatindustrie schon im eigenen Interesse auf eine entsprechende Dotierung ihrer Forschungsinstitute, vornehmlich Zweckforschung, weniger Grundlagenforschung, bedacht ist. Darüber hinaus springt sie für so manche Unzulänglichkeiten in unserem Bundesbudget ein. Die Vereinigung Oesterreichischer Industrieller hat in den letzten Jahren für wissenschaftliche Institute Millionenbeträge zur Verfügung gestellt. Außerdem unterstützt die Vereinigung den

„Notring der Wissenschaften“ und den Verein zur Förderung der Akademie der Wissenschaften.

In Oesterreich spielt die Geisteskultur auf dem Felde der Wirtschaft noch eine besondere Rolle. Der Verband der Autoren, Komponisten und Musikverleger (AK.M) gab kürzlich bekannt, daß das Verhältnis zwischen den Zahlungen der AKM an das Ausland und den Einnahmen aus diesen Ländern sich zur Zeit wie 1:5 verhält; beim internationalen Ausgleich der Aufführungsgebühren ist also Oesterreich hochaktiv. Vor dem zweiten Weltkrieg lautete das Verhältnis sogar 1:18. Den jährlichen Exportwert aus Mode und Kunsthandwerk bezifferte man vor 1938 mit rund 100 Millionen Schilling damaligen Wertes, dazu kam noch ein Export von Modezeitschriften im Ausmaß von 5 bis 6 Millionen Schilling. Diese Beträge sind heute noch bei weitem nicht erreicht. Wir verlegen heute an Modezeitschriften jährlich 4 Millionen Stück, die zu 70 Prozent ins Ausland gehen und Devisen im Gegenwert von 17 Millionen Schilling heutigen Wertes einbringen. Auch der österreichische Filmexport hat die Vorkriegswerte noch nicht aufgeholt. In der Zeit vom Jänner 1951 bis Oktober 1952 haben die österreichischen Filme in Westdeutschland um über 3 Millionen DM mehr eingespielt als die westdeutschen in Oesterreich. Alle diese musischen Berufe setzen entsprechend vorgebildete Träger voraus; ohne Berufsschulen aber können schlummernde Begabungen nicht geweckt werden. Die Förderung der Begabten und überhaupt der Fachkräfte und Facharbeiter aber hat in den letzen Jahren unter dem Nivellierungswahn schwer gelitten; kann man ohne berufliche Schulung dasselbe erreichen wie der ungelernte Hilfsarbeiter, dann verzichtet man eben auf die Schulen; die qualifizierten Berufe verlieren dann an geistigem Niveau und damit auch an materieller Ergiebigkeit.

Ueber die wirtschaftliche Situation des

österreichischen Theaters gibt sich heute kaum noch jemand Illusionen hin. Das österreichische Theater krankt unter anderem an der Konkurrenz der sportlichen Veranstaltungen und der Kinos. Wien hat 19 Theater mit einer Sitzplatzanzahl von 18.000 und einem Angestelltenstand von 2500. Im Budget der „Theaterstadt“ Wien für 1953 sind für Kulturzwecke überhaupt 24 Millionen Schilling vorgesehen, daneben aber 100 Millionen Schilling für die Erbauung eines einzigen Sportpalastes. Während der Bund in Wien zwei Opern- und zwei Sprechbühnen mit einem Nettozuschuß von jährlich 55 Millionen Schilling erhält, führt die Gemeindeverwaltung in Wien weder ein Theater noch ein Orchester in eigener Regie. Im Gegensatz dazu wird beispielsweise das Klagen-furter Theater von Stadt und Land mit 3,4 Millionen Schilling jährlich subventioniert. Graz und Innsbruck geben jährlich 4 bis 5 Millionen Schilling für die von ihnen unterhaltenen Theater aus und verzichten hier auf jede Lustbarkeitsabgabe. In Westberlin mit seinen 300.000 Arbeitslosen gibt man für Theater und Musik seitens der Stadtverwaltung über 80 Millionen Schilling jährlich aus.

Was allerdings die Buch Produktion anlangt, so hat hier Oesterreich seit 1945 derart aufgeholt, daß auf 1000 Einwohner im Jahre 1951 rund 0,48 Veröffentlichungen entfielen, gegenüber nur 0,27 in Gesamtdeutschland; führend im deutschen Sprachgebiet ist die Schweiz mit 0,78 Veröffentlichungen. 1951 wurden in Oesterreich 3409 Bücher verlegt, in Gesamtdeutschland 17.616 und in der Schweiz 3601. Im Jahre 1951 betrug der Wert des österreichischen Buchexportes 65 Millionen Schilling und überstieg damit den Betrag des Jahres 1950 um 30 Prozent. Naturgemäß ging dieser Export in erster Linie nach Westdeutschland, wohin Bücher im Werte von 9 Millionen Schilling (25 Prozent mehr als 1950) ausgeführt werden konnten. Im Jahre 1952 dürfte sich dieser Export schon durch die Aufhebung der deutschen Importbeschränkungen zu Neujahr 1952 neuerlich erhöht haben, wie überhaupt im Zuge der handelspolitischen Liberalisierung für die Exportverwertung des bisher als „non essential“ betrachteten österreichischen Kulturschaffens erhöhte Chancen zu erhoffen sind.

Interessant ist die Entwicklung des durchschnittlichen Buch preises (eine allerdings ziemlich vage Meßziffer) in Oesterreich seit 1945. Damals betrug in Schilling der Preis 2.70, 1948 — 14, 1951 — 21. Dies bedeutet seit 1945 eine Preissteigerung auf das 7,78fache, womit das Buch mit seiner Preiskurve noch immer etwas unter den durchschnittlichen Lebenshaltungskosten zurückbleibt; leider hielten auch die Autorenhonorare mit der Buchpreissteigerung bei weitem nicht Schritt. Die Denkungsart breiter Bevölkerungsschichten spricht sich in der Qualität des Lesestoffes traurig genug darin aus, daß nach den Aufstellungen der Oester-rcichischen Nationalbibliothek vom heimischen Publikum für Schund-, Kitsch- und Schmutzliteratur — den besten Nährboden für Verbrechensmentalität — jährlich rund 40 Millionen Schilling ausgegeben werden.

Somit zeigt die Rolle der Geisteskultur im österreichischen Wirtschaftsrahmen noch kein sehr erfreuliches Bild. Es wäre daher dtingend zu wünschen, daß der eingangs erwähnte Stimmungsumschwung in Oesterreich, der eine erhöhte Einschätzung geistiger Arbeit ankündigt, keine vorübergehende, etwa bloß wahlpropagandistische Erscheinung war; es wäre dringend zu wünschen, daß man es nicht wieder bei Deklamationen bewenden läßt, sondern den Mut zu Taten, also vor allem zu budgetären Maßnahmen, aufbringt, wenn nötig auch gegen den Widerstand jener Kurzsichtigen, die das Problem im Rahmen der Gesamtwohlfahrt des Staates noch immer nicht erkannt haben.

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