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Genfer Salon: Auftakt der Autosaison

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Das Kalenderjahr 1963 ist noch nicht sehr alt, das Autojahr 1963 hingegen hat bereits im Herbst vorigen Jahres begonnen, ist also jetzt im besten Mannesalter. Es ist bereits zur Tradition geworden, daß die ersten Modelle eines jeden kommenden Jahres bereits im Spätsommer heftig diskutiert und im September, spätestens aber im Oktober, auf den großen Herbstsalons gezeigt werden, wenn sie nicht gar schon von den einzelnen Firmen in Sonderpräsentationen zumindest der Fachpresse vorgeführt wurden. Wenn dann im November die letzten Ausstellungen ihre Pforten geschlossen haben, folgen einige Wochen der verhältnismäßigen, übrigens nur scheinbaren, Ruhe, und kaum sind die ersten Tage des neuen Jahres vorbei, beginnt schon wieder die Ankündigung von neuen Ereignissen. Die heurige Autoschau in Brüssel, die Londoner Rennwagenausstellung und der Amsterdamer Salon gehören bereits der Geschichte an. Vor uns steht der erste große Treffpunkt der Autoweit, der alljährliche Auftakt der Saison: Genf, 14. bis 24. März.

Dieser Salon unterscheidet sich von seinen Vorgängern dadurch, daß zum erstenmal keine Nutzfahrzeugausstellung stattfindet. Im Lastwagensektor sind naturgemäß die Neuheiten spärlicher gesät und auch weniger spektakulär als bei den Personenwagen, und so hat man in Genf ab heuer in dieser Sparte den Zweijahresturnus eingeführt. Übrigens gibt es auch andere Expositionen, die, nicht nur im Nutzfahrzeug-bau, sondern überhaupt, im zweijährigen Rhythmus veranstaltet werden, zum Beispiel Frankfurt, eine Ausstellung, die heuer im Herbst nach zweijähriger Pause wieder an der Reihe ist. Auch die Wiener Internationale Automobilausstellung hatte sich, solange sie noch bestand, an diesen Turnus gehalten und mit Frankfurt abgewechselt. Sogar der spezialisierte Turiner Salon hat im Laufe der Zeit Wandlungen erfahren. Einmal hat er seinen Termin vom Frühjahr auf den Herbst verlegt, er bildet nun das Schlußlicht in der Reihe der herbstlichen Veranstaltungen, und ferner hat auch hier eine Strukturänderung stattgefunden: es werden heuer — wie man sagt, aus Platzmangel — keine Atftocars und Omnibusse gezeigt werden, die sonst einen großen Raum eingenommen hatten und immer zu den interessantesten Exponaten zählten.

Die Aussichten sind vielversprechend

Mit der negativen Feststellung, daß in Genf ein wichtiger Sektor des Kraftfahrwesens diesmal nicht zur Sprache kommt, soll jedoch nicht gesagt werden, daß dieser Salon weniger interessant sein wird als seine Vorgänger. Im Gegenteil, nicht nur die Schau am Lac Leman an sich, sondern der ganze Jahrgang 1963 unserer Automobile verspricht recht vielgestaltig und bunt zu werden. Mit 79 Ausstellern (im Vorjahr 71) wird sich fast die gesamte Reihe der Personenwagen der Welt in Genf vorstellen und — von neuen Modellen abgesehen, deren Zahl zur Zeit noch gar nicht feststeht — erstmalig Gelegenheit geben, gerade in jener Klasse Vergleiche anzustellen, in der sich die Hauptkämpfe abspielen werden. Bekanntlich sind seit 1962 sehr beachtliche Fahrzeuge um die 1000 ccm herum auf dem Markt erschienen. Sie sind zum Teil schon gut bekannt, weil längst in den Händen zahlreicher Kunden, etwa die Simcas und Re-naults, die Morris, Fords Cortina und Taunus 12 M, zum Teil allerdings noch fast unbeschriebene Blätter, weil sie erst in der letzten Zeit erschienen sind, wie der DKW F 12. Diese Fahrzeuge preislich und dem Aussehen nach unmittelbar miteinander zu vergleichen und nach Wunsch auf den Probestrecken von Genf auch leistungsmäßig gegeneinander abzuwägen, wird wohl eine Gelegenheit sein, die sich viele nicht entgehen lassen werden.

Es ist kein Geheimnis, daß alle diese Wagen mit dem VW in Konkurrenz treten. Wird es einem oder dem anderen oder einigen zusammen gelingen, die in vielen Ländern haushoch führenden Wagen aus Wolfsburg zu verdrängen? Opel und Ford sollen angeblich neue Modelle in Genf zeigen; letztere Marke kommt, so heißt es, mit einem Sportwagen-Prototyp „Mustang“ mit dem 12-M-Motor im Heck zur Feier des hundertsten Geburtstages von Henry Ford I heraus. Mercedes wird einen rassigen 230 SL als Ersatz für den auslaufenden 190 SL zeigen — laut bisher unbestätigten Gerüchten wird er

145 PS und eine Spitze von 200 Stundenkilometern haben. Aus Italien wird ein Gran Tu-rismo von ATS und aus dem Gastland ein „Swisscart“ genannter Typ erwartet. Ob Fiat an seine frühere Tradition, im letzten Augenblick ein streng gehütetes Geheimnis in Genf zu enthüllen, wieder anknüpfen wird, ist fraglich, aber durchaus im Bereich des Möglichen. Im Kunststoffsektor wird sich ein Exote, der Sabra aus Israel (Haifa), vorstellen.

Japan tritt in Erscheinung

Apropos exotische Wagen: Zum erstenmal wird Japan in Genf vertreten sein, und zwar mit dem von Michelotti karossierten Prototyp Hino. Hier dürfte die Frage gestellt werden, was es eigentlich mit den japanischen Autos auf sich hat. Leute, die das Gras wachsen hören, vergleichen die japanische Autoindustrie gern mit der optischen und der Textilindustrie, die bekanntlich zu einem gefährlichen Konkurrenten alteingesessener Werke in Europa und auch sonst in der Welt geworden ist. „In ein paar Jahren wird man uns mit billigen japanischen Fahrzeugen überschwemmen.“ Dieses Urteil ist wohl vorschnell ausgesprochen. Es ist richtig, daß Japan in den letzten Jahren mächtig aufgeholt hat. Die Reihenfolge der autoerzeugenden Länder lautete lange Zeit hindurch USA, Westdeutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien, und dann kam in ziemlichem Abstand erst Japan. Dieses Land hat nun Italien von seinem fünften Platz verdrängt, wohlgemerkt, in der Produktion. Im Export sehen die Ziffern nicht so besorgniserregend aus. Hier in Europa (diese Überlegung gilt nicht für Ostasien, Australien, die Südseeinseln und eventuell für Teile von Afrika) werden die Japaner immer mit dem großen Handicap des enorm langen Transportweges und mit der Schwierigkeit eines gut ausgebauten Kundendienstnetzes zu kämpfen haben. Das soll nicht heißen, daß wir uns in Sicherheit wiegen dürfen. Man wird schon deshalb auf der Hut sein müssen, weil es heißt, daß sich die Japaner mit Montageplänen in Europa tragen.

Hat das Turbinenzeitalter schon begonnen?

Doch zurück zum Genfer Sak>n. Eine Ausstellung ist zwar vor allem durch jene Exponate charakterisiert, die dort zu sehen sind, sie kann aber auch im negativen Sinn etwas aussagen, und zwar durch jene Fahrzeuge, die nicht gezeigt werden. Das gilt zum Beispiel auch von den Chrysler-Turbinen. Sie waren im Herbst in Paris zu sehen. Wir wissen ferner, daß eine Vor-serie für ausgesuchte Kunden in Amerika bereits im Bau ist, vielleicht befinden sich sogar die ersten Exemplare in den Händen einiger Bevorzugter. Vor mehr als einem Jahr fand die sensationelle Durchquerung des amerikanischen Kontinents mit einem Chrysler-Turbinen-Auto statt. Seither wollen die Gerüchte nicht verstummen, daß das Turbinenzeitalter, so wie in der Fliegerei, auch im Autowesen begonnen hat.

Diese Ansicht mag richtig sein, es fragt sich nur, was man unter Beginn versteht. Noch sind nicht alle technischen Fragen — von den wirtschaftlichen Problemen ganz zu schweigen — gelöst. Experten schätzen, daß es noch fünf bis zehn Jahre dauern wird, bevor die Gasturbine dem Kolbenmotor ernstlich gefährlich werden könnte. Das ist eine lange Zeit, und die Auto-enthusiasten, die stets das Letzte vom Letzten haben möchten und heute schon bei Chrysler (oder Rover, Ford, Renault und so weiter) immer wieder fragen, wann sie den ersten Turbinenwagen kaufen können, werden noch ein wenig warten müssen. In dieser Zeit wird nämlich wahrscheinlich auch der vielversprechende Wankelmotor reif sein. Er soll, in ein normales Auto eingebaut, noch heuer auf einer der Ausstellungen erstmalig vorgestellt werden. Ob daf schon Genf sein wird, glauben wir eher verneinen zu können, eher tippen wir auf Frankfurt.

Und inzwischen — wer weiß — werden vielleicht manche Pläne in Erfüllung gehen, die un»

Michigan schon seit Jahren das geräusch- und geruchlose Elektroauto (Treibstoffzellen) versprechen. Es wäre also angesichts aller dieser Entwicklungsmöglichkeiten vermessen, wollten wir prophezeien, und es ist wahrscheinlich das Vernünftigste, wenn wir für 1963 eher eine Zeit ruhiger Weiterentwicklung in Richtung Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und besserer Raumausnützuno; erwarten als revolutionäre Sensationen.

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