Geprüft auf Herz und Nieren

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Mit 24 Organspendern pro Million Einwohner liegt Österreich im europäischen Spitzenfeld. Basis dafür ist ein vergleichsweise liberales Transplantationsgesetz

Pünktlich zur Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ließ amnesty international die Bombe platzen: Bis zu 1.780 Menschen seien in China - Austragungsort der Sommerspiele 2008 - innerhalb der vergangenen drei Monate wegen Vergehen wie Benzindiebstahl zum Tod verurteilt und durch einen Schuss in den Hinterkopf getötet worden. Für weltweite Bestürzung sorgten zudem die Angaben eines chinesischen Arztes: Demnach würden den Hingerichteten im Anschluss Organe entnommen und um 15.000 Dollar verkauft. Mit dieser menschenverachtenden Praxis sei China zwar "sicher unique", meint der Vorsitzende des österreichischen Transplantationsbeirates, Ferdinand Mühlbacher. "Aber dass es immer noch kriminelle Transplantationen gibt, die kommerzorientiert sind, ist leider Tatsache."

Fast zeitgleich mit amnesty international präsentierte auch Eurotransplant - verantwortlich für die Vermittlung von Organspenden in Österreich, Deutschland, Belgien, Luxemburg, Slowenien und den Niederlanden - seine (erfreulicheren) Zahlen. Während Deutschland im EU-Länderranking mit zwölf Organspendern pro Million Einwohner auf drittletzter Stelle rangiert, befindet sich Österreich mit 24 Spendern hinter Spanien (33,9) und Belgien (25,6) auf dem dritten Platz.

Das gute Abschneiden Österreichs hat seinen Grund: Während in Deutschland nach der seit 1997 gültigen (erweiterten) Zustimmungslösung eine Organentnahme nur dann erlaubt ist, wenn der Betroffene zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat oder dies im Notfall seine Angehörigen tun, gilt in Österreich seit 1982 die Widerspruchslösung. Demnach dürfen Organe grundsätzlich entnommen werden, außer den Ärzten liegt eine Erklärung vor, "mit der der Verstorbene (...) eine Organspende ausdrücklich abgelehnt hat" (§ 62a, Krankenanstaltengesetz). So ist es etwa möglich, sich im Widerspruchsregister eintragen zu lassen, das vom Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) geführt wird. 6.175 Personen waren Ende letzten Jahres darin verzeichnet. Bei der Organentnahme darf es zudem zu keiner "die Pietät verletzende Verunstaltung der Leiche" kommen, betont der Autor des Gesetzestextes, Gerhard Aigner vom Gesundheitsministerium.

Alles Routine

Während die Kritik an der Widerspruchslösung und vor allem an der Hirntod-Diagnose als einzigem Todeskriterium weiter anhält (siehe Bericht unten), ist die Organtransplantation in Österreich heute vielfach Routine. Rund 730 Organe wurden laut Eurotransplant vergangenes Jahr in den Transplantationszentren Wien, Innsbruck, Graz und Linz verpflanzt, davon 394 Nieren, 152 Lebern, 85 Herzen, 59 Lungen, 30 Bauchspeicheldrüsen und fünf Dünndärme. Ist die Zahl der Nierentransplantationen generell gestiegen, so sind Lebendspender dieses Organs in Österreich vergleichsweise rar gesät. Dabei ist die Lebendspende einer Leichenspende aus Gründen besserer Verträglichkeit vorzuziehen, weiß der renommierte Innsbrucker Transplantationschirurg Raimund Margreiter: "Außerdem ist das Risiko für den Spender fast Null. Er kann nach acht Tagen nach Hause gehen."

Bahnbrechendes erwarten sich die Mediziner vor allem von neuen Methoden der Herz-Transplantation. So wurde Anfang Juli einem Patienten in den USA erstmals ein ganzes, kabelloses Kunstherz eingepflanzt. Zwar kommen Kunstherzen schon seit den Achtzigerjahren zum Einsatz und werden, wie das so genannte Lion's Heart, auch in Österreich verwendet. Während hierbei jedoch nur eine Hälfte des Organs ersetzt wird, soll die neue Titan-Kunststoff-Pumpe namens Abiocor die Arbeit eines ganzen Herzens übernehmen. Wie schon das Lion's Heart benötigt Abiocor keine Drähte oder Schläuche nach außen und bietet damit Erregern keine Chance. "Mittels einer Strom-Induktion durch die Haut wird die Pumpe mit Energie versorgt", erklärt Margreiter.

Auf größere Probleme stößt dagegen noch die Transplantation von tierischen Organen (Xenotransplantation). Zwar sei durch Genmanipulation an Schweinen das Problem der hyperakuten Abstoßung "bereits gegessen", weiß der Wiener Transplantationschirurg Ferdinand Mühlbacher. "Doch Retroviren im Schweinegenom - so genannte PERVs (porcine endogenous retroviruses) - könnten für den Menschen gefährlich sein." Gelingt es, dieses Problem zu lösen, könnte die Xenotransplantation bereits in drei Jahren zum Einsatz kommen. Kritischer zeigt sich dagegen sein Innsbrucker Kollege Margreiter: Realistisch sei nur die Transplantation von Schweinenieren oder von insulinproduzierenden Inselzellen der Bauchspeicheldrüse.

Mehr als immunologische Probleme beschäftigt die Mediziner weltweit jedoch das ungleiche Verhältnis von Organ-Angebot und Nachfrage. So warten in den Eurotransplant-Ländern rund 11.000 Menschen auf eine neue Niere. Bis das ersehnte Organ zum Einsatz kommt, bedarf es einer perfekten Logistik: Zeigen sich bei einem Patienten die klinischen Zeichen des Hirntodes, wird er im jeweiligen Transplantationszentrum als potenzieller Spender gemeldet. Wie in Wien steht in solchen Fällen nun auch in Oberösterreich und Salzburg ein mobiles Hirntod-Diagnoseteam, bestehend aus zwei Neurologen, bereit. Ein Neurologe nimmt eine halbstündige klinische Untersuchung vor, der zweite ein EEG (Elektroenzephalogramm). Nach einer Schwebezeit von sechs Stunden wird der (künstlich beatmete Patient) nochmals untersucht. Zeigen sich auch dann keine Hirnstammreflexe, wird er für tot erklärt. Sofern kein Eintrag im Widerspruchsregister aufscheint, entnimmt ein (anderer) Arzt die benötigten Organe. Nach einer Spendermeldung in die niederländische Zentrale von Eurotransplant erfolgt die Organzuteilung.

Und die muss rasch vonstatten gehen: Während Nieren bei einer Lagerung von 0 bis 4 Grad zwischen 24 und 36 Stunden lang funktionstüchtig bleiben, beträgt die Lagerzeit von Herzen und Lungen nur vier bis sechs Stunden. "Dann kommt es zum akuten Organversagen," weiß der Leiter des Forschungslabors der Innsbrucker Abteilung für Transplantationschirurgie, Erich Gnaiger. Um den Sauerstoffverbrauch während des Transports - notfalls auch mit einer Privatmaschine oder einem Ambulanzjet - zu reduzieren, werden etwa Herzen durch eine Kalium-Injektion stillgelegt und durchspült.

Beziehung zum Organ

Hat ein Patient ein rares Spenderorgan erhalten, bleibt ihm freilich die lebenslange Immunsuppression nicht erspart. Nerven-, Nieren- und Zuckerschäden sind oft Folgen jener Medikamente, die eine Abstoßung des neuen Organs verhindern sollen. Ihre ideale Dosierung ist die wahre Kunst der Transplantation, weiß der Chirurg Margreiter. Funktioniert eine Niere durchschnittlich zehn Jahre und kann dann von einer Dialyse oder einem neuen Transplantat abgelöst werden, so haben Herzen oder Lebern eine Halbwertszeit von 16 Jahren.

Eine lange Zeit, um mit dem neuen Organ in Beziehung zu treten, weiß Ferdinand Mühlbacher: "Manche Leute haben mit ihnen einen irren Zores. Manche haben zu ihnen ein Verhältnis wie zu einer Zahnplombe. Und manche geben ihnen Namen und streicheln sie."

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