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DISKURS
Kekse - © Illustration: Rainer Messerklinger

Gleicher als gleich

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Die Demokratisierung der Universitäten geht mit einer Anpassung und Normierung des Denkens einher. Auf der Strecke bleiben die Freigeister der Forschung. Erinnerungen eines Emeritierten.

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Die Demokratisierung der Universitäten geht mit einer Anpassung und Normierung des Denkens einher. Auf der Strecke bleiben die Freigeister der Forschung. Erinnerungen eines Emeritierten.

Ich selbst begann meine Universitätslaufbahn noch im alten System der staatlichen Universität, um schließlich, als außerordentlicher Professor, in den unkündbaren Beamtenstand versetzt zu werden. Diese Art von Souveränität hatte zwei Seiten. Die eine Seite erzeugte ein Gefühl, weniger einem Beruf als einer Berufung zu folgen. Die andere Seite war unerfreulich. Unter dem Deckmantel der „Pragmatisierung“ schlichen sich Schlendrian, schlechte Qualifikation und Parteilichkeit ein. In den folgenden Reformprozessen – Stichwort „Autonomisierung“ – wurden derlei Systemmängel besonders hervorgehoben.

Landläufig stellt man sich unter Autonomisierung eine Erhöhung der Freiheitsgrade vor, aber gemeint war etwas grundsätzlich Anderes: Die Universitäten sollten – grob gesprochen – strukturell wie ein Unternehmen am freien Markt funktionieren, und dies bedeutete – wiederum grob gesprochen –, dass sie, bei wechselseitiger Konkurrenz, mit dem Staat Verträge abzuschließen hatten, sogenannte „Leistungsvereinbarungen“, deren Basis umfängliche Lehr- und Forschungsprofile mit entsprechenden Schwerpunktsetzungen waren. Inneruniversitär hatte die „Autonomisierung“ zur Folge, dass die Fakultäten und Institute, die sich aus Zweckmäßigkeitsgründen häufig zu „Clustern“ zusammenschlossen, einen Teil ihrer Autonomie verloren, weil nun alles, einschließlich globaler Lehr- und Forschungsziele, von den obersten Universitätsgremien nach unten delegiert wurde. Die älteren Forderungen nach Demokratisierung, die im Mittelpunkt der Studentenbewegung standen, fanden überhaupt keine Erwähnung mehr.

Was die Entwicklung der Forschungsinhalte betrifft, so bedrückte es mich, dass ein Zug der Gleichschaltung unvermeidlich war. Begriffe und Themen wurden immer monotoner. Exemplarisch: Heute würde einer der Epochenphilosophen des 20. Jahrhunderts, Martin Heidegger, wegen seines authentischen Schreibstils und seiner abweichenden Begrifflichkeit keine Chance mehr haben, akademisch zu reüssieren. Generell bezweifle ich, dass zurzeit Denker, welche in der Sprache das eigentliche Substrat des Denkens sehen wie seinerzeit der „Vater des Dekonstruktivismus“, Jacques Derrida – er verstarb 2004 –, an den gutachterlichen Stellungnahmen vorbeikämen, die am Fließband angefertigt werden. Durchlässigkeit, wie sie die Europäische Union im Lern-, Lehr- und Forschungsbetrieb anstrebt, ist ohne Uniformierung nicht zu haben.

Als ich 1972 als wissenschaftliche Hilfskraft meine erste bezahlte Beschäftigung an der Universität erhielt, da war die Philosophie mein Studium und meine Passion, während mein Broterwerb darin bestand, beim öffentlichen Rundfunk zu arbeiten. Dabei empfand ich es als besonders mühselig, philosophische Themen medial aufzubereiten. Denn immerfort gab es eine diffuse Nutzenerwartung. Hingegen: Jener Kollege von damals, der zur Weiterführung seines drittmittelfinanzierten Euro-Millionen-Projekts an der Technischen Universität dringend menschliche Leichen für seine Crashtests mit Autos benötigte, mochte die Nützlichkeitsdebatte der Geisteswissenschaftler überflüssig finden.

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