6654904-1959_23_12.jpg
Digital In Arbeit

Grau ist die Theorie…

Werbung
Werbung
Werbung

So wie vor einigen Jahrzehnten Hörbigers „Welt- eislehre” das naturwissenschaftliche Gebäude der Meteorologie zum Einsturz zu bringen „drohte”, so nimmt Suball im Geophysikalischen Jahr das Verdienst für sich in Anspruch, daß ihm mit seiner „Erdkreiseltheorie” eine völlige Neuentdeckung der Erde gelungen sei. Indem er die Gesetze des Umlaufs der Erde um sich selbst und um die Sonne mit dem eines Spielkreisels gleichsetat, glaubt er, „mit einer einzigen Theorie sämtliche Phänomene, die sich während der Erdzeitalter ereigneten, in ihren Ursachen, in ihrem Vorgang und in ihrer Zeitlichkeit erklären zu können”.

Die Grundgedanken der Erdkreiseltheorie sind kurz zusammengefaßt folgende: In vorkambrischer Zeit ist unsere Erde als „toter Stern” aus dem extrasolaren Raum der Sonne zu nahe gekommen, sie wurde von ihrer Anziehungskraft eingefangen und hat dann in einem bestimmten Abstand von ihr zu „kreiseln” begonnen. Alles Wasser der Erde war damals zu einem einzigen, die heutige Südhalbkugel bedeckenden Eispanzer erstarrt und hat so eine Ueberschwere der Süd- gegenüber der Nordhalbkugel verursacht. Dies hat nun ein zunächst inverses Kreiseln — der damalige Nordpol war der heutige Südpol — zur Folge gehabt. Als Beweis dafür gelten Suball die vor- kambrischen Vereisungsspuren auf der Südhalbkugel, in denen er Belege für die eiuzige „wahre” E’szeit während der vergangenen Erdperioden sieht. Denn die übrigen Eiszeiten sind nur „scheinbare”, und zwar deshalb, weil sie das „Ereignis des jeweiligen Polargebietes während einer Umlegung des Erdkreisels um 180 Grad sind und nur dann nachgewiesen werden können, wenn die Pole auf Landgebiete zu liegen kamen, wie zum Beispiel im Kambrium in China, im Karbon auf Indonesien und Teile Australiens, im Perm auf Südafrika. Während Suball bis gegen Ende Miozän sieben Etappen der Umlegung des Erdkreisels fordert, braucht er für den kurzen Zeitraum bis zur Jetztzeit vier Haupt- und viele Unteretappen, „um die Rätsel des quartären Eiszeitalters zu enträtseln”. In dieser kurzen Zeit wandert der Pol in Jahrzehnttausenden — gegenüber Jahrhundert- oder gar Jahrzehntmillionen zu den früheren Etappen der Umlegung des Erdkreisels — von Nordamerika nach Skandinavien und das nördliche Mitteleuropa und wieder zurück, um hier abwechselnd das Festland unter seinen mächtigen Eiskalotten zu begraben, so daß ein Glazial in Europa einem Interglazial in Nordamerika und umgekehrt entspricht.

Nicht genug, daß die Erdkreiseltheorie die Eiszeiten „erklärt”, „löst” sie auch alle bisher noch offenen Fragen der Entstehung der großen Kettengebirge: Da sie alle nur streng meridional aufgefaltet werden konnten, so mußte Suball natürlich auch den Zeitpunkt ihrer Aufrichtung vielfach „neu” festsetzen: so ist zum Beispiel die Entstehung der skandinavischen Gebirge „nicht wie bisher angenommen ins Tertiär, sondern in die Kreide”, die der West- und Ostalpen ins Karbon (!), die der Karpaten und des Apennins in das Tertiär zu verlegen. Auch für die Erscheinungen der Transgressionen und Regressionen, die Bildung der Kohle und Erdöllagerstätten und die Lage der Klimazonen weiß die Erdkreiseltheorie die „einzige und endgültige Erklärung” zu geben.

Zweifellos am interessantesten sind die Beiträge dieser neuen Theorie zum Evolutionsproblem. Suball behauptet allen Ernstes, daß die Erde die zu Beginn des Kambriums schon so reich entfalteten niederen Faunen und Floren eingeschlossen im und unter dem Eispanzer der Südhalbkugel aus dem extrasolaren Raum mitgebracht habe. Durch die Sonne zu neuem Leben erweckt, sind sie bald ins Meer gelangt und von hier durch die weltweiten Transpressionen ans Land gespült worden. Mit jeder neuen Erdumlegung hat sich dann die „Polgeburt” des Lebens wiederholt. Auch der Mensch macht hiervon keine Ausnahme; ist er ja doch sogar zweimal, nämlich schon während der Kreide in der 6. Etappe und dann nochmals im älteren Tertiär in der 7. Etappe entstanden. „Die Einstämmigkeit seiner Entwicklung, die monophyle- tische Herkunft, wie sie allgemein angenommen wird, wird durch die bizentrische, aus beiden Polgebieten vollzogene Landgewinnung in zahlreichen Stämmen so weit verneint, daß sie sicher als Irrtum bezeichnet werden kann!” (S. 168.)

Nach dieser knappen Darstellung der Theorie vom Erdkreisel erübrigt sich eigentlich ein weiterer Kommentar zu dieser Neuentdeckung der Erde. Sie ist, wie besonders aus der Erklärung der Entstehung der Faunen und Floren erhellt, viel zu phantastisch, als daß sie beanspruchen könnte, ernstlich diskutiert zu werden. Daß es im Verlauf der Erdgeschichte wiederholt zu Verlagerungen der Pole gekommen sein mag, ist kaum von der Hand zu weisen; ob sie sich aber mit der Plötzlichkeit und nach der Art eines Spielkreisels vollzogen haben, das darf doch wohl dahingestellt bleiben. Nicht zuletzt wäre auch das noch zu sagen, daß Suball überhaupt nur das berücksichtigt, was zu seiner Theorie paßt: so werden zum Beispiel die eokambrischen Vereisurjgsspuren auf der Nordhalbkugel einfach mit Schweigen übergangen, wie ihm denn auch die präkambrischen Gebirgsbildungen unbekannt zu sein scheinen.

Wir sind jedenfalls nicht der Meinung, daß diese Erdkreiseltheorie in Fachkreisen Anklang finden wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung