Grenzenloses Wachstum

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Sieben Milliarden Menschen leben auf der Erde. Zu viele für die begrenzten Ressourcen? EinigeWissenschafter können der Entwicklung auch Positives abgewinnen. Eine Ideen-Konfrontation.

Das Wachstum der Weltbevölkerung ist eines der eindrücklichsten Beispiele dafür, wie schnell eine Zahl die Tendenz Richtung Verderben nehmen kann: Mit Stichtag 31. Oktober werden sieben Milliarden Menschen die Erde bewohnen - 7.000.000.000. Das ist eine unvorstellbare Größe, aber die menschliche Intelligenz weiß sich mit Bildern zu helfen, welche die Milliarden codieren: Millionenslums in Mumbai, Hungernde in Somalia, Megacities, Smog über Los Angeles, Rush-Hour in Peking. Die Bilder bestätigen eine unserer wenigen Gewissheiten: Ressourcen sind endlich. Der Planet ist erschöpfbar. Damit kann sehr vieles sehr einfach erklärt, aber nicht alles bewiesen werden. Etwa, ob das Bevölkerungswachstum für Hunger verantwortlich ist. Tatsächlich meinen Wissenschafter und Ökonomen, dass wir uns irren.

Das beginnt schon damit, dass wir die Diskussion zur Überbevölkerung für eine moderne Auseinandersetzung halten. Das ist sie nicht. Im Gegenteil. Sie wird mit Argumenten aus dem Jahr 1798 geführt. Damals - die Welt wurde von nur einer Milliarde Menschen bevölkert - packte ein aufgeweckter englischer Gelehrter und Pfarrer seine Sorgen über Armut und Bevölkerungswachstum in eine ökonomische Analyse und landete einen Bestseller. Thomas Robert Malthus war kein Träumer von Fortschritt und Innovation. Er sah den aktuellen Zustand und zog trockene Schlüsse.

Verelendung durch Wachstum

Die Bevölkerung, so Malthus wachse so schnell, dass die Nahrungsmittelerzeugung nicht mehr Schritt halten könne. Das Wachstum führe irgendwann zu einer Nahrungsmittelknappheit und zu grausamen Schrumpfungsprozessen: Seuchen, Kriegen, Hungersnöten. Steigende Löhne würden sich dazu beschleunigend auf das Bevölkerungswachstum auswirken, so Malthus, die Masse der Menschen sei zu ihrem eigenen Besten am Existenzminimum zu halten. Entscheidende Schwachpunkte dieser Argumentation wurden schon bald offenbar. Zunächst konnte die Produktivität durch technische Weiterentwicklungen, Dünger, Pflanzenschutz, Züchtungserfolge ohne Weiteres mit dem Bevölkerungswachstum mithalten. Zweitens zeigte sich, dass die Bevölkerung mit steigendem Reichtum nicht mehr, sondern weniger stark wächst und stagniert (siehe auch Seite 22). All diese Einschränkungen gelten allerdings nur für die Industriestaaten. Malthus "Verelendungstheorie“ erfreut sich im Hinblick auf die Bevölkerungsexplosion in Entwicklungsländern bis heute großer Beliebtheit. In den 50er-Jahren entwickelte der spätere Ökonomie-Nobelpreisträger Robert Solow etwa folgende Theorie: Bevölkerungswachstum sei wegen der für die zusätzlichen Menschen notwendigen Investitionen gleichbedeutend mit sinkender Wirtschaftsleistung. Eine Übersetzung ins Menschenexperiment erlebte diese Idee in der noch gültigen Ein-Kind-Politik des chinesischen Regimes.

Wie sehr lässt sich aber Überbevölkerung mit Hunger in Zusammenhang bringen? "Moderne Hungersnöte kommen eher von Kriegen als von Überbevölkerung“, sagt Ronald Demos-Lee von der Universität Berkeley. Tatsächlich zeigen immer mehr Studien, dass politische Strukturen, Armut und Bevölkerungswachstum ein komplexes Netz von Wechselbeziehungen bilden. Die Welthungerhilfe sieht als entscheidende Faktoren für Hunger-Krisen weniger die wachsende Zahl der Menschen als vielmehr schlechte Regierungsführung, ungleiche Vermögensverteilung und Benachteiligung von gesellschaftlichen Gruppen.

Das Katastrophengebiet in Somalia bietet dafür ein leidvolles aktuelles Beispiel. Das Land ist seit Jahren unter den Nationen mit dem weltweit höchsten Bevölkerungswachstum. Eine Somalierin bekommt im Durchschnitt sieben Kinder. Doch entscheidend dafür, dass die Dürre sich derart katastrophal auswirkte, ist ein anderer Faktor, auf den Unni Karunakara, der Präsident von Ärzte ohne Grenzen diese Woche im Guardian aufmerksam machte: "Somalia ist vor allem der Schauplatz eines brutalen Krieges zwischen der somalischen Übergangsregierung und bewaffneten oppositionellen Bewegungen. Wer nur natürliche Ursachen für diese Krise verantwortlich macht, ignoriert die komplexen Hintergründe, die die Lage so katastrophal machen.“

Kriege und Hunger

Tatsächlich scheint gerade die Rolle von Krieg und Politik entscheidend für den Ausbruch von Hungerepidemien zu sein. Eine Studie der FAO über die Folgen bewaffneter Konflikte zeigte: Bei einem Krieg, der zehn Jahre dauert, kommt es zu einem durchschnittlichen Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion um 21 Prozent, während bei einer friedlichen Entwicklung eine Steigerung von neun Prozent möglich wäre. Die Dürre, welche in den 80er-Jahren Äthiopien heimsuchte, zeigt ein solche Entwicklung: Hunderttausende Männer wurden durch Wehrpflicht der Landwirtschaft entzogen. 23.000 Hektar fruchtbaren Landes wurden verwüstet, pro Jahr wurden 95.000 Tonnen Nahrung weniger produziert. Auch hier gab die Trockenheit erst den letzten Ausschlag für die Hunger-Katastrophe. Eine aufschlussreiche Übereinstimmung ergibt ein Vergleich zwischen Kriegshäufigkeit und Unterernährung. Just zwischen 1990 und 1998, als die Zahl der Kriege in den bevölkerungsreichen Teilen der Welt - Asien und Afrika - von 24 auf 13 sank, schrumpfte auch die Zahl der weltweit Hungernden von 850 auf 750 Millionen. Danach stieg sowohl die Zahl der Konflikte als die Zahl der Hungernden wieder. Wäre es nach der Bevölkerungsentwicklung gegangen, hätte die Zahl der Hungernden aber kontinuierlich steigen müssen: Denn im selben Zeitraum wuchs die Weltbevölkerung um beinahe 800 Millionen Menschen an.

Das gute Wachstum

Schon seit den 60er-Jahren gibt es eine Strömung angeführt von den Ökonomen Ester Boserup und Julian Simon, die dem Bevölkerungswachstum nur positive Wirkungen zuerkennen. Boserup und Simon meinen das gar nicht altruistisch, sondern streng marktwirtschaftlich: Mehr Menschen bedeuten nach ihrem Modell mehr Konkurrenz, in der Folge mehr Ideen und mehr Output. Technologische Schübe fänden nur "ab einer gewissen Dichte der Bevölkerung statt“ (Boserup).

So lautet die Hoffnung der Menschheit an der Schwelle zur achten Milliarde also wie folgt: "Die einzige wirkliche Ressource ist und bleibt der Mensch.“ (Julian Simon). An dieser Stelle könnten wir uns zurücklehnen und das "beherrschbare Wachstum“ ausrufen. Doch die Hoffnung könnte trügerisch sein, unter anderem weil die Wachstumsvertreter die Zerstörungen der Ressource Mensch an der Ressource Erde ausblenden. Das bringt uns wieder zu Malthus zurück: Was ist, wenn alles gegessen, verheizt, veratmet, geschlägert und abgefischt ist? Es steht zu befürchten, dass Malthus die Antwort darauf schnell parat hätte. Er war eben kein Romantiker.

7.000.000.000 Menschen

Mit Oktober 2011 erreicht die Menschheit die Sieben-Milliarden-Grenze. Die Prognosen sehen ein weiteres Wachstum bis 2050 auf neun Milliarden (mittlere Prognose). Allerdings liegt die mögliche Schwankungsbreite bei 2,5 Milliarden. Es könnten also auch 10,5 Milliarden werden (Quelle: UN/DESA).

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