"Hinweis auf eine göttliche Logik"

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Islamwissenschafter und Imam Mouhanad Khorchide über das Verhältnis von Wissenschaft und Religion.

Die Furche: Sie gelten in Wien als "liberaler" Imam. Wie gehen sie mit den evolutionskritischen Schriften der orthodoxen Kreationisten rund um Harun Yahya um?

Mouhanad Khorchide: Ich finde es schlimm, dass Harun Yahya das als Glaubensfrage versteht. Wenn er sagt, die Evolutionsanhänger sind Heuchler, die auf Gott verzichten, und man muss das ablehnen, um überhaupt ein gläubiger Mensch zu sein, dann spielt er Religion und Wissenschaft gegeneinander aus.

Die Furche: Passen denn wissenschaftlich-empirische Erkenntnisse und das Wort Gottes im Koran überhaupt zusammen?

Khorchide: Gott hat das Problem in einer der ersten Suren direkt angesprochen: "Lies im Namen deines Herren, der erschuf." Die auch später immer wieder auftauchende Aufforderung zu lesen ist ein Hinweis, dass sich der Mensch selber Erkenntnisse sammeln muss. Gott sagt auch, dass er den Menschen nicht aus dem Nichts erschaffen hat. Es steht: Er schuf den Menschen aus Alaqu. Das ist ein arabisches Wort, von dem man bis heute nicht genau weiß, was es eigentlich ist. Alaqu ist für mich ein Hinweis auf eine verschlüsselte göttliche Logik, die der Mensch selber erforschen muss. Die Evolutionstheorie kann ein solcher Weg sein.

Die Furche: Die Schriften Harun Yahyas sind also gefährlich für einen aufgeklärten Islam.

Khorchide: Es entsteht ein Schaden, wenn man pauschaliert. Wenn man den Westen und die Moderne auf die Evolutionstheorie oder die Gedanken von Freud reduziert. Davon ist immer wieder in der orthodoxen islamischen Literatur zu lesen. Man sagt: Gott findet hier keinen Platz und deshalb lehnen wir pauschal alles andere Westliche rundherum ab. Da verpasst man die Chance, von anderen Kulturen zu lernen. Wir brauchen eine islamisch begründete Aufklärung.

Die Furche: Woran scheitert denn eine Aufklärung, die von islamischen Gemeinschaften ausgeht?

Khorchide: Es gibt verschiedene Gründe, die von außerhalb und innerhalb des Islams kommen. Der Westen sagt oft: Wir wissen es besser, wir haben das hinter uns und wir sagen euch jetzt, wo es langgeht. Das führt zu einer Gegenreaktion, bei der die kollektiven Erinnerungen an die Kreuzzüge und die Kolonialisierung eine Rolle spielen. Ein innerislamischer Grund ist, dass seit den ersten Jahrhunderten des Islams die religiösen Herrscher immer eine bestimmte Richtung übernommen haben. Wenn andere gekommen sind, die durch Vernunft etwas einbringen wollten, wurden sie gesetzlich verbannt.

Die Furche: Weil Islam und Politik immer eng miteinander verknüpft waren?

Khorchide: Das ist keine Verknüpfung, wie man hier im Westen immer wieder meint. Das ist ein Missbrauch. Die Politik missbraucht den Islam, um sich und bestehende Herrschaftssysteme zu legitimieren.

Das Gespräch führte Christoph Zotter.

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