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Hochstleistungen bei klassischer Ordnung

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Sehen wir vor diesem Hintergrund sogar Subordination der Subdiszipli die Wiener Universität in ihrer jetzigen Gestalt, so müssen wir zweierlei feststellen: Erstens, daß sie noch weitgehend dem althergebrachten Universitätsschema folgt: klassische Fakultäten, Einheit von Lehre und Forschung (mit derzeit noch recht vereinzelten Ausnahmen von mehr oder minder rein wissenschaftlichen Instituten), eine viel zu kleine Zahl mittlerer Kräfte gegenüber den akademischen Lehrern (dadurch natürlich die Überlastung dieser), vor allem aber ein weitgehend selbständiges Nebeneinander der verschiedenen verwandten Disziplinen und Subdisziplinen an Stelle geplanter Koordination beziehungsweise nen unter die Hauptfächer. Bisher völliger Mangel einer Forschungsplanung im gesamtstaatlichen, geschweige denn im großräumigen Bereiche.

Zweitens aber, daß bisher dennoch die Leistungen der Wiener Universität enorme waren, nicht nur bis 1938, sondern auch heute wieder: wie ich ebenfalls schon öfters ausführen konnte, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß viele Disziplinen der Universität heute wieder höchstes Ansehen in der Welt genießen, daß unsere Lehrer überall gesuchte Vortragende sind, daß unsere Schulen mit Ausländern überlaufen sind, daß unsere jungen Nachwuchskräfte reißend „weggehen“ — nicht erfreulich bezüglich der Nachwuchssituation, erfreulich aber ohne Zweifel als Zeichen der Anerkennung der Qualität.

Nun scheint mir persönlich — auf Grund einer nun etwa 35jährigen Tätigkeit an dieser Universität und auf Grund reichlicher Auslandserfahrung in Ost und West — die Situation aber doch so, daß diese glänzenden Erfolge der letzten Jahre, dieser neue Aufschwung unseres wissenschaftlichen Niveaus und Ansehens, gegeben durch entsprechende Leistung, doch eigentlich trotz und nicht auf Grund einer doch weitgehend veralteten Organisationsform zustande kamen. Wie immer, behält wohl das, was sich durch die langen Jahrzehnte bewährte, seinen Wert auch dann noch, wenn eine neue Zeit neue Wege und Methoden verlangt, zum mindesten eine Zeitlang und für bestimmte Bereiche. Letzten Endes ist es schließlich ja noch immer der Mensch, nicht die Organisationsform, der den Ausschlag gibt, und unsere Nachkriegsgeneration hat sich mit solcher Hingabe dem Wiederaufbau gewidmet, daß ihr schon deswegen und nicht der Erfolge wegen allein ein Wort der Anerkennung gebührt. Trotzdem aber dürfen wir nicht übersehen, daß nun die Probleme immer drängender werden und neue Wege zu beschreiten sind.

Zueinander statt Nebeneinander

Nur einige solche seien kurz aufgezählt, in keiner Weise im Sinne auch nur annähernder Vollständigkeit, sondern, um nur beispielhaft einiges Wesentliche aufzuzeigen:

1. Die Verteilung der Forschungsaufgaben innerhalb der Universitäten, auch im Sinne einer zweckmäßigen Investition der heute notwendigen großen Mittel, ist vordringlich und schon skizziert.

2. Die zunehmende Schaffung rein wissenschaftlich, das heißt, forschungsmäßig ausgerichteter Einrichtungen (Institute) ohne Lehrauftrag ist unumgänglich und muß vorsorglich (räumlich, finanziell, personell) vorgeplant werden.

S. Eine innere Reorganisation muß auf die neue wissenschaftliche Situation Rücksicht nehmen. Wie ich schon in meiner Inaugurationsrede ausführte, müssen Formen geschaffen werden, die ein Zueinander, nicht ein Nebeneinander der spezialisierten (aber höchstwertigen) Kleingebiete zu den Großfächern ermöglichen, wobei dem Großfach die Koordinierung der jeweiligen Sub-fächer in Lehre und Forschung zukommt.

4. Die schwierige Frage des Nebeneinander einer Ausbildung einer großen Zahl akademisch geschulter Fachkräfte (ohne strengwissenschaftliche Ambitionen) und der Heranbildung echten wissenschaftlichen Nachwuchses muß gelöst werden. Vorschläge dazu sind bekannt (Dreiteilung des Studiums, Schaffung von Magistergraden vor dem Doktorat usw.), doch scheint das Problem noch nicht genügend geklärt.

5. Insbesondere erscheint mir, lehrmäßig, die Frage zu klären, ob nicht neben den wissenschaftlich ausgerichteten Vorlesungen für solche reine Berufsausbildung (nicht primär-wissenschaftlicher Art) praktische Instruktionskurse (neben den • Hauptvorlesungen) errichtet werden sollen. Die Tatsache, daß viele Hörer, besonders an theoretischen Fächern, sich ihr Prüfungswissen in vorwiegend außerhalb der Universität errichteten Kursen holen, darf nicht einfach übersehen werden und ist zu überprüfen.

6. Es wird ferner zu prüfen sein, ob dem zu erwartenden Massenandrang durch Vergrößerung der bestehenden Einrichtungen oder besser durch Errichtung neuer Hochschulen zu begegnen ist. Dabei muß vor allem auch der Erziehungsaufgabe der Universität wieder mehr Beachtung geschenkt werden. (Gilt besonders für Ausländer, denen der natürliche ständige Erziehungskontakt mit Eltern und Familie fehlt!) Diesbezüglich sind dringend Einrichtungen zu schaffen beziehungsweise bestehende (zum Beispiel Afro-Asia-tisches Institut, aber auch Studentenvereine, Korporationen usw.) zu fördern und mehr als bisher in das Universitätsleben einzugliedern und unter Kontrolle zu nehmen.

7. Mit Vergrößerung beziehungsweise Vermehrung der Hochschulen ergibt sich automatisch die akademische Nachwuchsfrage. Schon heute leiden die Hochschulen (auch im Ausland!) vielfach an Besetzungs-schwierigkeiten. Systematische und vorplanende Erziehung eines hochwertigen akademischen Nachwuchses ist eine unabdingbare Forderung. Es wird aber auch besonders zu prüfen sein, ob nicht für gewisse, vorwiegend Lehrzwecke neue Lehr- und Anstellungsverhältnisse zu schaffen seien, die nicht dem bisherigen Prinzip des akademischen Lehrers (unkündbar, Altersgrenze mit 70 Jahren usw.) entsprechen.

8. Von besonderer Bedeutung erscheint mir die Vorsorge für eine ausreichende Allgemeinbildung im Rahmen des akademischen Fachstudiums. Eine solche wäre zum Beispiel durch Heranziehung des 9. Studienjahres an den Hochschulen zu erzielen gewesen. Im Rahmen der bestehenden Organisationsform wäre da vor allem auch daran zu denken, daß die theologischen Fakultäten und die philosophischen Fächer stärker als bisher an der Allgemeinbildung mitarbeiten sollten; diese wäre sorgfältig zu programmieren.

9. Für die rein wissenschaftliche Laufbahn, aber auch für viele praktische Laufbahnen (Medizin!) ist eine Integrierung des Studienplanes mit der nachpromotionellen Ausbildung unerläßlich und in die gesamte Studienplanung einzubeziehen.

10. Die Universität sollte durch geeignete Einrichtungen und Kontaktaufnahme auch wieder Zentrum für die Altakademiker werden, für deren Fortbildung und sonstige geistige Betreuung. Sie müßte überhaupt wieder mehr ein Zentrum des geistigen Lebens werden, nicht nur eine Lehr- und Forschungsstätte.

Freiheit für die Universität!

Damit konnten nur einige wenige, aber schon jetzt aktuelle Punkte aufgezeigt werden, die meiner Meinung nach (ich bringe hier nur meine persönlichen Ansichten, keineswegs etwa eine offizielle Meinung der Universität) recht dringend einer Berücksichtigung bedürfen.

Zu all dem ist es vordringlich notwendig, daß die Gesetzgebung elastischer wird. So wie es jetzt ist, beginnt der Zustand unerträglich zu werden: Seit Kriegsende wird von Studienreform gesprochen, trotzdem müssen wir in den meisten Fächern noch mit längst veralteten Studienplänen arbeiten. Es kann und darf die Entwicklung der Universitäten nicht vom Wohlwollen der politischen Parteien abhängen, es muß den Universitäten, unbeschadet eines Aufsichtsrechtes der Resortbehörden, eine weitgehende Selbständigkeit in der Gestaltung eines elastischen, sich jeweils an die Zeiterfordernisse anpassenden Studienplanes gewährt werden. Hochschulen können nur gedeihen, wenn sie sich in Freiheit entwickeln können.

Zum Gedeihen gehört zweitens der nötige Lebensraum — finanziell, aber auch moralisch gesehen. Der wissenschaftliche Mensch muß wieder im Ansehen steigen, wie es in der ganzen Welt längst geschieht. Sicher sollte der junge Wissenschaftler vor allem Begeisterung mitbringen, aber diese sollte nicht durch schlechte Bezahlung, schlechte Vor-rückungsmöglichkeiten, stellungsmäßige Unterbewertung erstickt werden. Hier müssen wir noch viel umlernen — in Ost und West wird Wissen heute groß geschrieben, alles für die Nachwuchsförderung getan, alle Erfordernisse bereitgestellt. Wir sind uns klar darüber, daß wir ein kleines und nicht reiches Land sind, aber unser Kulturbudget muß ganz anders angesetzt werden, wenn nicht unsere Kulturstätten verkümmern sollen.

Wir haben den enormen Vorteil, daß wir — unsere alte Alma mater Viennensis — mit der Erfahrung und dem Geist einer jahrhundertealten Schule in die Zukunft gehen. Wir brauchen aber dazu, um einer neuen Zeit gerecht zu werden, jene unserer Zeit angemessene Förderung, welche die Universität früher immer fand und unter der sie groß wurde. Ich kenne unsere heutige akademische Jugend und weiß, daß sie bereit und auch in der Lage ist, Großes zu leisten — wenn ihr die Voraussetzungen dafür gewährt werden.

Male wurden nördlich der Alpen in Wien wirkliche anatomische Vorlesungen gehalten.

An der Spitze der Universität stand und steht der periodisch (heute in einjährigem Wechsel) aus den Fakultäten gewählte Rektor. Ihm als dem seit alters her „akademischen Fürsten“ sind besondere Insignien eigen. Es werden ihm die Zepter der •Universität und der Fakultäten vorangetragen, seine Kleidung ist besonders ausgezeichnet, und er wird noch heute mit „Euer Magnifizenz“ angesprochen.

Die hohe Einschätzung, die dem Rektorsamt von selten des Hofes entgegengebracht wurde, läßt sich am besten an der Tatsache erkennen, daß dem Rektor — nach mehrmaliger kaiserlicher Verordnung — bei öffentlichen Aufzügen der Platz vor dem Bürgermeister der Stadt Wien zukam. Dem Rektor stand ehedem in der Führung der Amtageschäfte, der Verwaltung der Hochschule und bei der Wahrnehmung der akademischen Selbstverwaltung (Autonomie) das Universitäbsconsistorium zur Seite. Heute übt diese Funktion der Akademische Senat unter dem Vorstitz des Rektors aus.

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