Menschenarten  - © Philippe Plailly

Hominide: Eine schrecklich nette Familie

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Vor Jahrmillionen stellten sich Menschenaffen auf die Beine und begannen, ihren Körper zu optimieren. Wie der „Homo sapiens“ zur alles dominierenden Spezies geworden ist.

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Vor Jahrmillionen stellten sich Menschenaffen auf die Beine und begannen, ihren Körper zu optimieren. Wie der „Homo sapiens“ zur alles dominierenden Spezies geworden ist.

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Dass die Menschheit an einem epochalen Wendepunkt angelangt sei, ist heute ein häufiger Befund. Kräftige Indizien sprechen dafür, dass sogar ein neues Erdzeitalter heraufdämmert – das Anthropozän, die „Epoche des Menschen“. Neue Hinweise liefert nun eine aktuelle Studie im Fachjournal Nature: Demnach könnte die Masse der von Menschenhand hergestellten Dinge heuer erstmals die globale Biomasse übertreffen.

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In den letzten 100 Jahren war eine ­rasante Zunahme künstlicher Objekte, hergestellt aus Beton, Asphalt, Metallen, Kunst- oder Baustoffen, zu verzeichnen, wie Studienautor Ron Milo vom israelischen Weizmann-Institut berichtet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten diese nur rund drei Prozent der Biomasse ausgemacht. Doch während die Biomasse weltweit schrumpft, wächst die „anthropogene“, also menschengemachte Masse immer schneller an. Derzeit wird sie im Umfang von mehr als 30 Gigatonnen (30.000.000.000 Tonnen) pro Jahr produziert – das entspricht wöchentlich etwa dem durchschnittlichen Gewicht der gesamten Weltbevölkerung.

Alte DNA (Ancient DNA)

Würden außerirdische Beobachter die menschliche Geschichte im Schnelldurchlauf Revue passieren lassen, wären sie wohl zutiefst ergriffen: „Das ist ja unglaublich: Was für ein packendes Drama! Wie ein fantastischer Roman!“ Wieder nüchterner, kämen sie zu folgender Einschätzung: Der Hauptdarsteller Homo sapiens ist zwar außerordentlich talentiert und intelligent, neigt aber auch zu problematischem Verhalten, das nun sogar das Klima bedrohlich anheizt und die Biosphäre massiv unter Druck bringt. „Wer ist diese irrwitzige Spezies“, könnten sie fragen, „die vor nicht allzu langer Zeit noch in wilden Jäger- und Sammlergruppen umherstreifte und heute oft in Megacitys wohnt und über Künstliche Intelligenz verfügt? Die es in relativ kurzer Zeit geschafft hat, den ganzen Planeten in gigantischen Dimensionen umzukrempeln?“

Wer ist diese irrwitzige Spezies, die vor nicht allzu langer Zeit wild in Jägergruppen umherstreifte und heute bereits über Künstliche Intelligenz verfügt?

Wie so oft, wenn man zu den Wurzeln eines Problems vordringen will, empfiehlt sich ein Blick in die Familiengeschichte. Interessierten könnte man den „Großen Atlas der Menschheit“ ans Herz legen, den Telmo Pievani und Valéry Zeitoun nun im Coronajahr 2020 (ein Wendepunkt?) herausgebracht haben. Mit ihrem Buch „Homo sapiens“ zeichnen der italienische Biologe und der französische Päläo­anthropologe erstmals ein genaues Bild der menschlichen Herkunft, dargestellt mit großflächigen Karten und graphischen Rekonstruktionen, gesäumt von Texten und Übersichtstafeln, basierend auf fachübergreifenden Forschungen. Diese verbinden Analysen von körperlichen Überresten und „alter DNA“ mit den Befunden der Archäologie und Sprachforschung. Vor allem die Genetik hat zuletzt viel dazu beigetragen, die Migrations-, Besiedelungs- und Verwandschaftsgeschichte der frühen Menschen nachzeichnen zu können. Denn aus uralten Knochen lässt sich schon das ganze Erbgut rekonstruieren. Und die DNA spricht nicht nur Bände, sie lügt auch niemals, wie Johannes Krause, Gründungsdirektor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, in der FURCHE (Nr. 8/2020) sagte.

Die unglaubliche Geschichte beginnt an den Wiegen der Menschheit im östlichen und südlichen Afrika. Vor etwa zehn Millionen Jahren begünstigte eine sich lichtende Waldlandschaft unter den Menschen­affen das Laufen auf zwei Beinen. Das brachte einige Vorteile, vor allem den Gebrauch der freien Hand. Das ist die Voraussetzung, um Werkzeug als Erweiterung des Körpers zu gebrauchen – und zum Kulturwesen zu werden. „Die Geschichte der Menschheit beginnt mit den Füßen“, bemerkte der französische Archäologe André Leroi-Gourhan 1964. Vor circa drei Millionen Jahren entsteht die Gattung Mensch, die vor zwei Millionen Jahren damit beginnt, sich auch außerhalb Afrikas auszubreiten und dabei einer Vielzahl von Lebensräumen anzupassen. Aus den Tropen kommend, erreicht der Mensch vor etwa 2,5 Millionen Jahren Eurasien und vor ungefähr 50.000 Jahren Amerika und Australien.

Niedergang der Neandertaler

Der Homo sapiens erblickt dann vor einigen Hunderttausend Jahren das Licht der Welt. Er ist damals bei weitem nicht die einzige menschliche Spezies: Unaufhörlich entstehen weitere Menschenarten, sooft die Umweltverhältnisse und Lebensbedingungen es erlauben, erläutert der französische Paläoanthropologe Yves Coppens im Vorwort des Prachtbandes. Doch letztlich bleibt der Homo sapiens als einzige Art dieser Gattung übrig. Sogar die Neandertaler mussten vor circa 29.000 Jahren endgültig weichen. Ihr Aussterben hatte sich über lange Zeit angekündigt, und dieser Niedergang ist jedenfalls mit der Ankunft eines heimtückischen Verwandten verbunden, dessen Höhenflug nicht mehr zu stoppen ist. Die atemberaubende Story des Homo sapiens nimmt ihren Lauf: Die Höhlen­malerei blüht auf, rituelle Bestattungen finden statt, die Schrift entsteht.

„Obgleich wir den Menschen als furchtbaren Räuber kennen“, so Coppens, „hat er auch aus dem Symbol die Kunst entwickelt, aus dem Denken die Wissenschaft, die die Welt beschreibt und sie zu verstehen sucht, und außerdem aus der Gesellschaft das Mitgefühl, das paradoxerweise der ‚Wiedergutmachung‘ des Unrechts dient.“

Homo Sapiens - © WBG Theiss
© WBG Theiss
Buch

Homo Sapiens

Der große Atlas der Menschheit
Von Telmo Pievani und
Valéry Zeitoun
WBG Theiss 2020
208 S., geb., € 51,40

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