"Ich weiß es nicht"

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Shinya Yamanaka hat neue, potente Stammzellen geschaffen, ohne Embryonen zu zerstören. Prognosen über eine therapeutische Anwendung mag der Star-Forscher nicht machen.

Die Furche: Sie haben Zellen einer erwachsenen Frau in Stammzellen umprogrammiert. Viele Kritiker von embryonaler Stammzellforschung argumentieren nun, dass durch Ihre neue Methode, Stammzellen zu gewinnen, die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen nicht mehr nötig sei. Sie widersprechen und sagen, die Forschung an embryonalen Stammzellen sei weiterhin wichtig. Warum?

Shinya Yamanaka: Bei unserer Methode, Stammzellen zu gewinnen - wir bezeichnen diese Zellen als induzierte pluripotente Stammzellen - verwenden wir keine embryonalen Zellen. Aber wir brauchen weiterhin die Forschung an embryonalen Stammzellen, um unsere eigenen Resultate zu kontrollieren. Embryonale Stammzellen sind der Goldstandard in unserem Forschungsgebiet. Ohne diese Kontrolle können wir unsere Ergebnisse nicht überprüfen.

Die Furche: Sehen Sie persönlich ein moralisches Problem dabei, mit embryonalen Stammzellen zu arbeiten?

Yamanaka: Naja, naja, naja (zögert lange mit einer Antwort). Ich bin Arzt. Für mich ist es das Allerwichtigste, Patienten zu retten und zu heilen. Wenn Stammzellen aus menschlichen Embryonen der einzige Weg sind, Patienten zu retten, habe ich keine ethischen Einwände gegen die Verwendung embryonaler Stammzellen. Doch gleichzeitig denke ich nicht, dass menschliche Embryonen nur ein Material sind. Sie sind sehr wichtige Kreaturen. Ich habe zwei Töchter. Sie waren auch einmal Embryonen. Wenn es einen Weg gibt, dieselben Therapien zu entwickeln, ohne dabei Embryonen zu verwenden, würde ich diesen Weg gehen. Deshalb habe ich unser Forschungsprojekt, einen alternativen Weg zu finden, begonnen. Aber wir müssen derzeit weiterhin mit embryonalen Stammzellen forschen, damit es in der Zukunft nicht mehr notwendig ist, embryonale Stammzellen zu verwenden.

Die Furche: Wann haben Sie Ihr Forschungsprojekt begonnen?

Yamanaka: Vor ungefähr zehn Jahren.

Die Furche: Mit welchen Ergebnissen haben Sie damals gerechnet?

Yamanaka: Wir dachten, dass wir ein sehr schwieriges und riskantes Unterfangen beginnen würden. Wir wussten, dass es funktionieren würde. Aber wir glaubten, es würde 20 oder 30 Jahre oder noch länger dauern. Wir dachten nicht, dass wir es in fünf oder sechs Jahren schaffen würden.

Die Furche: Arbeiten Sie immer noch als Arzt? In welchem Fachgebiet?

Yamanaka: Ich bin orthopädischer Chirurg. Aber seit zehn Jahren arbeite ich nicht mehr als Arzt.

Die Furche: Seit Sie Ihre Forschung begannen?

Yamanaka: Meine Forschung habe ich vor zwanzig Jahren begonnen. Zehn Jahre lang habe ich sowohl wissenschaftlich als auch klinisch gearbeitet. Wir haben eine enge Kooperation mit den Ärzten am Universitätskrankenhaus. Die Ärzte machen die Hautbiopsien. Unser Job ist es, aus den Hautzellen die Stammzellen zu gewinnen.

Die Furche: Sie sagten in einem Interview, dass es weitaus länger dauern wird, Patienten mit Stammzelltherapie zu heilen, als die Öffentlichkeit glaubt. Wie lange wird es dauern?

Yamanaka: Ich weiß es nicht. Weil wir nicht wissen, was in der Zukunft passieren wird. Wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hätten, wie lange es dauern wird, um induzierte pluripotente Stammzellen zu erzeugen, hätte ich auch gesagt, dass ich es nicht weiß. Ich hätte gesagt, dass es vielleicht 30 Jahre dauern könnte. Ich habe eine große Scheu davor, Voraussagen zu treffen. Denn wenn ich jetzt sagen würde, dass wir in fünf Jahren Patienten mit einer Rückenmarksverletzung heilen können, würden Sie in fünf Jahren kommen und es einfordern. Und sehr enttäuscht sein, wenn es nicht gelungen ist. Deshalb mache ich keine Prognosen.

Die Furche: Einige Kritiker meinen, dass es ein "Overselling" von möglichen Heilungserfolgen durch Stammzelltherapie gibt. Der Öffentlichkeit werde viel zu optimistisch dargestellt, welche Therapien durch Stammzellen möglich sein werden.

Yamanaka: Ich zumindest mache das nicht. Es ist die Presse, es sind die Medienleute, die eine Tendenz zum Overselling haben. Weil sie damit viele Leser gewinnen, weil sie ihre Geschichte auf die Titelseite platzieren können. Medien haben die Tendenz, Stammzellforschung entweder überschwänglich zu verkaufen oder heftig zu attackieren. Deshalb gehe ich direkt an die Öffentlichkeit, damit sie aus meinem Mund erfährt, was ich denke. Obwohl es mir Zeit von meiner wissenschaftlichen Arbeit wegnimmt.

Die Furche: Nachdem Sie 2006 Stammzellen aus erwachsenen Mäusen gewonnen hatten, gab es einen Wettlauf vieler Forscherteams, das Verfahren bei Menschen zu wiederholen. Am 20. November 2007 publizierten die Wissenschaftsmagazine "Cell" und "Science" gleichzeitig online, dass es Ihnen und einem Team an der Universität Wisconsin gelungen ist. Wie ist diese Gleichzeitigkeit passiert?

Yamanaka: Das weiß ich nicht. Da sollten Sie die Herausgeber von Cell und Science fragen.

Die Furche: Wussten Sie, dass dem Team in Wisconsin dasselbe wie Ihnen gelang?

Yamanaka: Nein. Ich wusste, dass viele Leute an denselben Aspekten arbeiteten. Ich konnte es fühlen, dass einige kurz davor standen, ihre Ergebnisse zu publizieren. Aber ich wusste nicht, wann es soweit sein würde.

Die Furche: In den letzten Monaten haben auch viele andere Forscher erwachsene Zellen in Stammzellen umprogrammiert. Ist die Technologie so einfach?

Yamanaka: Als wir die Technologie fanden, waren wir überrascht, wie einfach sie ist. Anfangs hatten wir deshalb große Ängste, dass unsere Ergebnisse vielleicht nicht stimmen. Wir glaubten, dass etwas schief läuft, dass unsere Zellen kontaminiert sein könnten. Es war viel einfacher, als wir es erwartet hatten.

Die Furche: Warum war es einfach?

Yamanaka: Weil vieles bereits aus der Forschung an embryonalen Stammzellen bekannt war. Wir kannten die besten Bedingungen für die Kultur von menschlichen embryonalen Stammzellen. Und wir kannten die Unterschiede zwischen embryonalen Mausstammzellen und embryonalen humanen Stammzellen. Deshalb ist es so wichtig, weiterhin menschliche embryonale Stammzellen zu studieren. Als Wissenschaftler, der die induzierten pluripotenten Stammzellen entwickelt hat, muss ich auch auf die vielen Sicherheitsprobleme hinweisen, die es bei diesen Zellen noch gibt. Wir brauchen noch sehr viel Grundlagenforschung, bevor wir solche Zellen in Patienten transplantieren können.

Die Furche: Dabei sehen Medien und einige Wissenschaftler Sie bereits als künftigen Nobelpreisträger.

Yamanaka: Wir haben noch keinen einzigen Menschen mit der neuen Technologie geheilt. Vielleicht sind wir in 20 Jahren soweit. Wenn man damit vielen Menschen helfen könnte, wäre ich sehr glücklich. Aber jetzt ist es viel zu früh, das überhaupt zu erwähnen.

Das Gespräch führte Margarete Endl.

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