Im Bann der Beschleunigung

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Der Mensch verändert die Erde und hinterlässt eindeutige und vielfache Spuren in den abgelagerten Gesteinsschichten - gewissermaßen ein Archiv des globalen Wandels, das noch in Jahrmillionen lesbar sein wird. Der vom Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen (geb. 1933) im Jahr 2000 geprägte Begriff des Anthropozäns wurde von ihm so verwendet, dass das geologische Zeitalter des Holozän beendet sei und die Menschheit sich jetzt in einem neuen Abschnitt der Erdgeschichte befindet.

Diese Begriffsfassung bezieht sich auf das naturwissenschaftliche, aus den Geowissenschaften kommende Konzept der Geologischen Zeitskala (siehe Graphik): Es gliedert die 4,6 Milliarden Jahre andauernde Erdgeschichte des Planeten in verschiedene Zeitalter und ordnet diese zeitlich ein. Die bisher jüngste Epoche der Erdgeschichte ist das Holozän, das nach Ende der letzten Eiszeit vor 11.700 Jahren begann und ein klimatisch ausgeglichenes Zeitintervall darstellt. Während dieser Zeit des Holozäns hat der Mensch Landwirtschaft und Städte entwickelt und einen immer schnelleren technologischen Fortschritt angetrieben - bis zu einem neuen Status des Systems Erde, der vom Menschen geprägt wird und sich vom Holozän grundlegend unterscheidet.

Der Mensch verändert damit entscheidend seine Umwelt und das gesamte System, das "Raumschiff Erde", mit seinen vielfältigen Sphären und Kreisläufen nachhaltig und nicht umkehrbar. Anthropozän steht damit nicht nur symbolisch für die Existenz des durch den Menschen verursachten globalen Wandels, sondern auch für dessen Unumkehrbarkeit. In den Geowissenschaften wurde 2009 eine internationale Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um vor allem folgende Fragen zu klären:(1.) Ist es gerechtfertigt und sinnvoll, das Anthropozän als neues geologisches Zeitalter einzuführen und mittels repräsentativen Ablagerungen in Form von Schichten -"stratigraphisch" - zu definieren?(2.) Wenn ja, wann und mit welchem Ereignis (und mit welchem "stratigraphischen Signal") legen die Geowissenschaften den Beginn dieser jüngsten Epoche der Erdgeschichte in entsprechenden geologischen Archiven fest? Die eingesetzte Kommission ist die "Working Group on the 'Anthropocene'": Sie besteht aus 34 Fachleuten, die sich zum Großteil aus Erdwissenschaftlern zusammensetzt, daneben aber auch Sozialwissenschaftler, Archäologen und einen Anwalt für internationales Recht miteinbezieht.

Planet in Plastikfolie

Der Auftrag der Internationalen Stratigraphischen Kommission lautet, das potentielle neue geologische Zeitalter des Anthropozäns nach denselben stratigraphischen Regeln wie andere Einheiten der Erdgeschichte zu definieren. Da geologische Zeiteinheiten immer mit ihrem Beginn definiert werden, wäre das Anthropozän nicht nur bis heute, sondern auch in eine ungewisse künftige Zeit reichend. Mit Einführung des Anthropozäns würde somit ein nur winziges und kurzes Zeitintervall von wenigen Jahrzehnten zu einer eigenen geologischen Epoche, jedenfalls im Vergleich zu den Zehnermillionen Jahre andauernden älteren Zeitepochen. Das ist ein Vorgang, der innerhalb der Erdwissenschaften heftige Diskussionen und auch einiges an Kritik hervorruft.

In internationalen Publikationen wurden die bisherigen Ergebnisse der Untersuchungen der Arbeitsgruppe dargestellt, und in einer Publikation in der renommierten Wissenschaftszeitschrift Science kurz zusammengefasst. Nach mehreren Treffen ist die Arbeitsgruppe zum überwiegenden Teil der Ansicht, dass die Änderungen, die der Mensch dem System Erde zugefügt hat, ein Ausmaß erreicht haben, das die Einführung eines neuen geologischen Zeitalters rechtfertigt. Diese Änderungen sind in geologischen Archiven überliefert, erkennbar und messbar: Es handelt sich um unterschiedlichste Spuren, vom Anstieg der Treibhausgase (überliefert zum Beispiel in Eisbohrkernen) über die nachweisbaren Änderungen in vielen Stoffkreisläufen der Erde (etwa Kohlenstoff und Stickstoff), bis hin zu neuen, nur durch den Menschen erzeugten Materialien wie Aluminium und Beton. Auch die sprunghaft angestiegene Verbreitung dieser Materialien in "natürlichen" und "anthropogenen", also vom Menschen verursachten Ablagerungen gehört hier dazu (wobei deren Unterscheidung heute immer schwerer fällt).

Plastik ist ein gutes Beispiel für einen künstlich hergestellten Stoff, der als Signal für das Anthropozän dienen könnte. Die jährliche Produktion an Plastik beträgt etwa 300 Millionen Tonnen. Hochgerechnet seit den 1950er-Jahren ist die Gesamtproduktion mit mehr als fünf Milliarden Tonnen groß genug, um unseren gesamten Planeten in eine Plastikfolie einzuwickeln. Und der wachsende Plastikabfall entwickelt sich zu einem zunehmenden Umweltproblem - von den riesigen Plastikinseln in den Ozeanen bis hin zu Mikroplastikteilchen (kleiner als fünf Millimeter), die mittlerweile global vorkommen. Sie finden sich im Gletschereis ebenso wie in Plankton-Tieren und im menschlichen Verdauungstrakt.

"Signal" aus Atombombentests

Die Frage, wann genau das Anthropozän begonnen haben soll, löst intensive Diskussionen aus und ist weiterhin eine Forschungsfrage für wissenschaftliche Studien. Geologische Zeitalter werden üblicherweise mit ihrer Basis in Gesteinsschichten mit Kennzeichen großer globaler Veränderungen definiert, meist mit einem plötzlich neu auftretenden oder aussterbenden Fossil oder einem anderen weit verbreiteten und gut erkennbarem Signal. Diese Vorgangsweise wird als "Golden Spike"-Methode bezeichnet: An einem Punkt in einer Schichtabfolge wird symbolhaft ein (virtueller) Nagel eingeschlagen, um den Beginn einer neuen geologischen Epoche zu kennzeichnen. Den stärksten globalen Wandel sieht die Arbeitsgruppe, aber auch die verwandten Erdsystemwissenschaften, ab dem Zeitabschnitt der industriell bedingten "Großen Beschleunigung" menschlicher Aktivitäten nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1960er-Jahre hinein ("Great Acceleration").

Als stratigraphisches Signal würden sich die weltweit verbreiteten künstlichen Plutonium-Isotope 339 Pu und 340 Pu aus den atmosphärischen Atombombentests bis 1964 gut eignen. Welches die am besten geeignete Schichtabfolge darstellt, wird in den nächsten Jahren von der Arbeitsgruppe untersucht. Eine dieser Stationen auf dem Weg der Wissenschaften ist die größte geowissenschaftliche Tagung Europas, das "General Assembly" der "European Geoscience Union"(EGU), die heuer von 7. bis 12. April in Wien stattfindet und bei der circa 15.000 Teilnehmer erwartet werden.

Der Begriff "Anthropozän" hat aber nicht nur in der Wissenschaft weite Verbreitung gefunden, sondern wird heute auch als Modebegriff verwendet. Im übertragenen Sinne steht er als Symbol für den durch den Menschen verursachten globalen Wandel mit allen Facetten wie etwa Klimaerwärmung, Umweltverschmutzung und damit verbundenen gesellschaftlichen Phänomenen. Vorerst ist das Anthropozän also "nur" ein vages Konzept zur Beschreibung des sichtbaren Einflusses des Menschen auf das System Erde. Eine endgültige Entscheidung über eine Definition des Anthropozäns als geologisches Zeitalter wird frühestens beim nächsten großen Internationalen Geologenkongress im Jahr 2020 in Indien gefällt werden.

Der Autor ist Professor am Department für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien und Mitglied der internationalen "Working Group on the Anthropocene"

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