Im Forscherhimmel über Berlin

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Die finanziell angeschlagene Metropole will mit dem Wissenschaftssommer 2001 zur "global city des Wissens" werden.

Eine Metropole ohne Wissenschaft ist eine arme Stadt. Eine arme Stadt mit hervorragender Wissenschaft ist eine reiche Stadt." So sprach die Wissenschaftssenatorin von Berlin, Adrienne Goehler, und begründete damit, warum zwischen 12. und 17. September der "Wissenschaftssommer Berlin 2001" in der deutschen Hauptstadt einkehren wird. Berlin ist eine arme Stadt. Zuletzt machte sie von ihrer Mittellosigkeit reden, als es im Gebälk der Landesbank krachte, so laut, dass die Regierung darüber stürzte und nun neu gewählt werden muss. Ihr Pfund, mit dem sie wuchten kann, ist jedoch das Kapital, das dem Denken und der Kreativität entspringt.

Die Armut Berlins hat historische Gründe: Relativ spät wurde sie Metropole, gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann der Aufschwung: Das deutsche Reich setzte auf seine geistigen Kapazitäten, Wissenschaft und Technik versprachen Wohlstand, Berlin wurde ein Wissenschaftszentrum. Der Universalgelehrte Hermann von Helmholtz, Werner von Siemens, Max Plancks Quantentheorie, Rudolf Virchows Forschungen auf dem Gebiet der Pathologie und Robert Kochs bakteriologische Entdeckungen - sie alle sind untrennbar mit Berlin verbunden. Ein Publizist schreibt von Berlin und Jena als "Silicon Valley" jener Zeit. Zur Förderung der Wissenschaften wird die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründet. Doch die Träume vom "deutschen Oxford" platzen mit dem Hereinbrechen des Nationalsozialismus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg liegen nicht nur die Gebäude der Stadt in Trümmern. Schließlich wird Berlin für Jahrzehnte zweigeteilt, die Firmen aus dem Westteil wandern ab, dem Osten fehlen für erstklassige Forschung die Ressourcen. Nach der Wiedervereinigung hat Berlin vieles doppelt, nicht nur Opern und Funktürme: drei Universitäten, zwei Staatsbibliotheken, zwei große Universitätskliniken. Das alles kostet Geld. Der Ostteil der Stadt muss mühsam auf westliches Niveau hochgepäppelt werden, die bisherige Berlin-Förderung durch die Bundesrepublik fällt mit dem Fall der Mauer weg. Dies alles lastet auf den Schultern der Stadt.

Erste Museumsnächte

Nun will die arme Stadt in die Offensive gehen: Nicht zuletzt soll die Bevölkerung für Kultur und Wissenschaft begeistert werden, um dann gemeinsam die großen Würfe leichter platzieren zu können. Vorreiter in dem Bemühen ist der Museumspädagogische Dienst Berlins: Auf ihn geht die nahezu geniale Idee der "Langen Nacht der Museen" zurück, die es im heurigen Sommer bereits zum zehnten Mal gab und inzwischen von vielen Städten, auch in Österreich, erfolgreich nachgeahmt wird. Zehntausende werden jedes halbe Jahr gezählt, wenn an die 100 Museen ihre sonst um diese Zeit verschlossenen Türen öffnen. Dabei wird das Phänomen ausgenützt, Menschen an Ausstellungsorte zu holen, wohin sie sich bei Tageslicht kaum bequemen würden. Nächtens stellen sie sich in Schlangen an. Während andernorts die Berliner Museumsnächte eifrig imitiert werden, ist die deutsche Hauptstadt schon wieder einen Schritt voraus: Im Rahmen des Berliner Wissenschaftssommers wird es eine "Lange Nacht der Wissenschaft" geben: Labore, Institute und Unis öffnen sich dem breiten Publikum, machen den Elfenbeinturm für alle besteigbar. Am 15. September ist es soweit. In mehr als 80 Forschungseinrichtungen wird es dann eine Nacht lang für alle Interessierten blitzen, zischen und knattern. Vorträge und Führungen sind vorgesehen - Berlin schöpft aus dem Vollen einer Dreieinhalb-Millionen-Einwohnerstadt. Von einem "Spiel über 56 Kilometer im Durchmesser" spricht der Chef des Museumspädagogischen Dienstes, Jochen Boberg. Denn auch die zukunftsträchtigen Technologieparks am Rand der Stadt sind mit dabei. Bus-Shuttles werden zwischen den einzelnen offenen Türen unterwegs sein.

Da wäre einmal Adlershof zu nennen, 78 Hektar groß, ein früher hermetisch abgesperrtes Gebiet, wo das DDR-Fernsehen und die Akademie der Wissenschaften beheimatet waren. Bis 2010 soll dort der modernste Technologiepark Europas entstehen. Die aus allen Nähten platzende Humboldt-Universität hat schon ihre naturwissenschaftlichen Fakultäten dorthin ausgelagert, in 13 wissenschaftlichen Einrichtungen und 236 Unternehmen arbeiten 3.700 Menschen. Aushängeschild ist Bessy III. Mit dem Elektronensynchrotron kann besonders intensives Licht erzeugt werden, das in verschiedenen Forschungsgebieten verwendet wird. Die zweite Denkfabrik entsteht seit 1992 in Berlin-Buch: Das 32 Hektar große Areal wird ein biomedizinischer Wissenschafts- und Wirtschaftspark, wo sich Grundlagenforschung mit klinischer Forschung und unternehmerischer Umsetzung verbinden. Zwei Kliniken der berühmten Berliner Charité beschäftigen sich hier mit Ursachen und Diagnose von Krebs.

Brennpunkt Leben

Vor zwei Jahren eröffnete in Buch das Gläserne Labor, ein in Deutschland neuartiges Informationszentrum für Gen- und Biotechnologie.Buch ist der ideale Protagonist des Berliner Wissenschaftssommers: Denn der steht ganz im Zeichen des für heuer ausgerufenen Jahres der Lebens-wissenschaften: Lipobay, BSE, Gentechnik, Klonen - täglich ist mindestens ein Thema diverser Forschungsfelder in aller Munde. Keine Rede also, dass es sich um verstaubte, von der Allgemeinheit abgehobene Wissenschaft handelt, die niemanden berührt. Im Gegenteil: Es geht um lebenswichtige Arbeiten, den Kampf gegen Volkskrankheiten, aber auch die wirtschaftliche Dimension sowie grundsätzliche Fragen, auf die solches Forschen hinausläuft: Was darf die Wissenschaft, wo muss sie halt machen?

Das Halbwissen ist groß, das Interesse in der Öffentlichkeit ebenso. Doch das ist in Berlin, das sich mit seinen mehr als 50.000 in der Wissenschaft beschäftigten Menschen auf den Weg zur "global city des Wissens" macht, nicht anders als anderswo ...

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