In einer Krise gewinnen nie die Guten

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Warum wird angesichts von Nöten und Krisen nicht entschiedener gehandelt? Ist das Zeitalter der Weltgipfel abgelaufen? Wurde die Nachhaltigkeit zerredet? Eine vorausblickende Nachlese zum UNO-Weltgipfel Rio+20.

Auf ihre Dokumente berufen sich Verantwortliche, ihre Programme gelten als Leitlinien: Die Vereinten Nationen pflasterten bisher mit Weltgipfeln auch der Nachhaltigkeit den Weg. Wie es darum bestellt ist, beantwortet Nachhaltigkeitsmanager‚ Fred Luks im FURCHE-Gespräch.

Die Furche: Wie nachhaltig ist denn eigentlich der Gedanke der Nachhaltigkeit?

Fred Luks: Es gab diesen UNO-Gipfel, Rio+20, und es gibt diese Erklärung The Future We Want. Das meiste, was sie enthält, kann man wollen. Das Problem ist nur, dass diese Erklärung viel Wunschdenken enthält. Während des Lesens musste ich stets an Uwe Pörksen denken: Der sprach von Plastikwörtern, klingen wichtig, aber es ist nichts drinnen. Es gibt die neue Worthülse Green Economy, aber es fehlt an Verbindlichkeiten. Das deutsche Feuilleton meinte dazu, immerhin sei mit dem Dokument der Diskussionsstand schon einmal aufgeschrieben.

Die Furche: Aber das Papier hat auf seinen 50 Seiten nahezu 300 Absätze ...

Luks: Ich gebe Ihnen ein Zitat, ein total repräsentatives, es ist auf Deutsch noch nicht verfügbar. In Absatz 63 heißt es: "We recognise the importance of the evaluation of the range of social, enviromental and economic factors and encourage, where national circumstances and conditions allow, their integration into decision making.“ Das ist völlig allgemein. Und weil im nächsten Satz die Rede davon ist, Nutzen und Kosten einer grünen Wirtschaft zu berücksichtigen, ist offenbar in dieser Allgemeinheit noch ein kleiner Vorbehalt eingebaut. Also in diesem Dokument steht nichts drinnen, gar nichts.

Die Furche: Haben sich solche Konferenzen überlebt? Wie bewertet man also so eine Konferenz?

Luks: Zum Gespräch gibt es keine Alternative. Schon wegen der Friedensfunktion. Wenn man nun die Erwartungen in ein Verhältnis zu dem setzt, wovon man glauben kann, dass es notwendig wäre, dann ist das Dokument eine Katastrophe. Umweltorganisationen sprachen von Skandal. Vielleicht ist die Öffentlichkeit durch den Alarmismus so geschwächt, dass sie gescheiterte Gipfel schulterzuckend zur Kenntnis nimmt.

Die Furche: Die Öffentlichkeit und damit jeder von uns wurde schon mit zahlreichen Szenarien konfrontiert: Das Öl ist zu Ende, die Weltbevölkerung explodiert, der Regen ist sauer. Das meiste ist ausgeblieben. Hat uns das weich, schwach gemacht?

Luks: Es gibt zwei Probleme, und beide haben mit Entfernung zu tun. Das eine ist die räumliche Entfernung. Es ist ein täglicher Skandal, dass Tausende Kinder verhungern, das kann kein normaler Menschen akzeptieren. Allerdings ist das räumlich weit weg, wodurch wir es ausblenden können. Die genannten Szenarien, inklusive jenes des Klimawandels, sind hingegen zeitlich so weit weg, dass über die Wahrscheinlichkeit und den Zeitpunkt ihres Eintretens ein Gelehrtenstreit geführt wird.

Die Furche: Wir stecken also hinsichtlich unserer Wahrnehmung und der möglichen Lösungen der Probleme in einem Dilemma?

Luks: Darum ging es ja schon vor vierzig Jahren, in den ersten Kapiteln von "Grenzen des Wachstums“. Der Mensch hat nur eine bestimmte Sehschärfe und leidet daher bezüglich des weit in der Zukunft liegenden unter Kurzsichtigkeit. Was wir hier sehen könnten, liegt so weit von uns entfernt, dass es unser Handeln nicht mehr beeinflusst. Die Leute haben auch im Alltag andere Sorgen. Andererseits scheint es selbstverständlich zu sein, dass unser Produktionsprozess von Jahr zu Jahr mehr an Gütern und Dienstleistungen hervorbringt, und durch Technik - Green Economy - soll es möglich sein, dass sich dies mit Umwelt- und Klimazielen vereinbaren lässt. Ich finde, das ist eine verrückte Fantasie. Die Green Economy, um welche das Dokument kreist, ist der verzweifelte Versuch, zu sagen, es würde sich schon alles irgendwie ausgehen. So sprechen wir allerdings seit zwanzig Jahren - doch faktisch ändert sich nichts. Das ist zumindest mein Eindruck.

Die Furche: Wie lässt sich der Unterschied zwischen Anforderungen und Möglichkeiten und den tatsächlichen Handlungen andererseits verkleinern?

Luks: Ich spreche stets von Mut-Politikern, nicht von Wut-Bürgern. Empörung ist eine nicht nachhaltige Ressource. Die ist sehr schnell verbraucht, die verebbt rasch. Es braucht Politiker, welche die erforderlichen Änderungen anstoßen. Dafür gibt es weiters die Zivilgesellschaft, also etwa Umweltorganisationen. Und es gibt Sie und mich, all die anderen. Es stimmt, dass der Einzelne auch Verantwortung trägt. In unserer Gesellschaft hat alles mit allen mit allem zu tun, sie ist komplex, globalisiert und dynamisch. Doch wenn man dem Einzelnen signalisiert, alles würde besser, sobald nur er sich ändert, kann ich lediglich sagen: Das ist soziologisch betrachtet unplausibel, es ist psychologisch überfordernd und politisch nicht durchsetzbar.

Die Furche: Dennoch muss sich, um etwa den Klimawandel einzudämmen, einiges im Verhalten ändern. Gelingt das?

Luks: Auch die Gewohnheit ist ein Feind der Nachhaltigkeit. Es geht uns gut in Europa. Ich bin gegen Alarmismus, aber wir sehen die Dramatik der Situation nicht. Sollen die Klimaziele erreicht werden, müssen wir schrumpfen. Auf der anderen Seite sprechen ökonomische Gründe für Wachstum.

Die Furche: Und darin liegen die Gründe für den Mangel an Bereitschaft zur Veränderung?

Luks: Es kommt das Gefangenendilemma dazu: Wenn ich jetzt nicht mehr mit dem Auto fahre, dann ändert sich gar nichts, weil die anderen fahren ja noch. Deswegen ist der Staat wichtig. Er soll Rahmenbedingungen schaffen, der Markt allein ist nicht nachhaltig. Aber wir sind in einer Krise, das ist das Thema, und für diese gilt das gleiche, was Antonio Gramsci für jene der Zwanziger- /Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts sagte: Das Alte stirbt und das Neue kann nicht zur Welt kommen. Sogar beim Weltwirtschaftsforum in Davos wird bei den Debatten über den Kapitalismus gesagt, so könne es nicht weitergehen. Stimmt schon, aber gleichzeitig weiß niemand, wie es weitergehen soll.

Die Furche: Was folgert daraus in Zeiten der Krise?

Luks: In "Irgendwas ist immer“ argumentiere ich, dass in Krisensituationen die Guten eben nicht automatisch gewinnen. Ich glaube keine Sekunde daran, dass in einer krisenhaften Situation zwangsläufig das Gute entstehe. Daher gibt es ja die Unterscheidung in forced transition und in managed transition. Im Vergleich zur erzwungenen ist uns die gemanagte Veränderung wohl lieber. Daher dürfen wir nicht auf die Veränderung zum Guten einfach warten. Wie man die Leute für Veränderung abholen kann, weiß ich nicht. Aber ich glaube zu wissen, dass Begeisterung die bessere Ressource ist als Empörung.

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