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Josef-Haydn-Gesamtausgabe

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Der erste Band der von der Haydn-Society in Zusammenarbeit mit Breitkopf und Härtel veranstalteten und auf etwa 60 Bände in zehn Jahren berechneten Gesamtausgabe (GA) der Werke Joseph Haydns liegt vor. Er enthält das Generalvorwort zur Gesamtausgabe von J. P. Larsen-Kopenhagen, ihres wissenschaftlichen Leiters, die auf Grund der authentischen Quellen (Autographe der Bibilothque National und Bibliotheque du Conservatolre, Paris, sowie Stimmen des British Museum, London) von H. C. Robbins Landon, Generalsekretär der Haydn-Society, herausgegebenen Symphonien Nr. 82 bis 87 und den etwa 50 Seiten umfassenden Revisionsbericht, außerdem ein thematisches Verzeichnis der 104 Symphonien des Komponisten. (Sämtliche Beiträge in deutscher und englischer Sprache.)

Da die 1907 von Mandyczewski begonnene Gesamtausgabe Haydns praktisch nie über ihre Anfänge hinaus gediehen war, andererseits diese, wie Larsen mitteilt, selbst revisionsbedürftig ist (von den drei Bänden Klaviersonaten abgesehen, die in die neue Gesamtausgabe übernommen werden), ist das neue Unternehmen, das hoffentlich mehr vom Glück begünstigt sein wird als das alte, geradezu ein Gebot der Stunde, zumal Haydn als einziger führender Komponist in der Gesamtausgabereihe Händel-Bach-Mozart-Beethoven bisher fehlte. Nun wird das gesamte Haydn-Material der musikhistorischen Forschung zur Verfügung gestellt, vieles der Praxis bisher Unbekannte und Unzulängliche erstmals veröffentlicht. Für den Zeitpunkt des Unternehmens spricht, daß entgegen allen Erwartungen bisher unbekannte Autographe und andere wichtige Quellen in jüngster Zeit ausfindig gemacht wurden und seit 1930 zahlreiche Haydn-Spezialarbeiten entstanden sind. Führende Haydn-Forscher der Welt stehen als Mitarbeiter der Gesamtausgabe zur Verfügung. Ihre Anordnung folgt Serien (Orchesterwerke, Konzerte, Kirchen-, dramatische Musik usw.), innerhalb deren eine chronologische Reihung stattfindet. Die Textierung resultiert aus dem Vergleich der vorhandenen Quellen. Da die Autographe oft als nicht „druckfähig“ angesehen werden können, mußten auch andere „authentische“ Quellen (von Haydn selbst verwendete Stimmen, von ihm durchgesehene Druckvorlagen und anderes) herangezogen werden.

Wie der vorliegende erste, in der Anlage der Notensysteme sehr übersichtliche und im Stich saubere Band der Gesamtausgabe, deren von der Haydn-Mozart-Presse (Salzburg) geleitete Herstellung von österreichischen Firmen besorgt wird, beweist, haben für die Editionspraxis folgende Gesichtspunkte Geltung: Varianten werden nicht im Text, sondern im Revisionsbericht angeführt. Dynamische Angaben und Ornamente, die einer sekundären Vorlage entnommen oder vom Herausgeber hinzugefügt wurden, stehen in Klammern, nicht verbürgte Stimmen werden im kleineren Stich, wiedergegeben. Die Phra-sierung wird nur sehr sparsam angewendet, da die Vorlagen hier ein ganz besonders widerspruchsvolles Bild bieten. Eigenheiten der älteren Notationspraxis werden in die heute übliche „Zeichensprache“ aufgelöst. Instrumente, die nach alter Generalbaßpraxis „mitgehen“ — das triftf allerdings nur für die früheren Symphonien Haydns zu, bis etwa Nr. 40, die die auch das Fagott einschließende zeitübliche Continuobesetzung aufweisen —, werden in Parenthese angeführt.

Ein Vergleich des vorliegenden Symphonienbandes mit den entsprechenden allgemein zugänglichen Eulenburg-Taschenpartituren, die denen von „Philharmonia“ wie auch im allgemeinen den praktischen Ausgaben von Breitkopf entsprechen, ergibt, daß sich zahlreiche, zum Teil schwerwiegende Abweichungen von den bereits angeführten authentischen Vorlagen im Lauf der Zeit eingeschlichen hatten. Sie beziehen sich nicht bloß auf Phrasierung oder Dynamik, sondern ebenso auf die Besetzung, ja sogar die Textierung selbst. Häufig wurden Instrumente im Unisono verkoppelt, wie Horn und Trompete oder Oboe und Flöte, während das Original nur eines von beiden Instrumenten aufweist. Eine der eklatantesten Textänderungen bezieht sich auf die Stelle Im zweiten Satz von Nr. 83 (S. 78,

2. System, 3. Takt der Gesamtausgabe): das frei einsetzende dissonate „ges“ zum b-moll-Dreiklang wurde weggelassen, während das Baß-„c“ im Takt vorher (dissonant zum „des“ und „f“ in Viola und 2. Violine) in „b“ um-korrigiert worden war, usw.

Welche Bedeutung die neue Gesamtausgabe für die Haydn-Forschung und -Praxis haben wird, erweist bereits der vorliegende Band. Lagen doch Nr. 84 und Nr. 87 (letztere als Privatdruck A. Einsteins) nur einmal im Druck vor und waren bisher praktisch unzugänglich. Und unter den für die nächste Zeit zu erwartenden Symphonien (Nr. 50 bis 57, Nr. 88 bis 92) befinden sich Werke, die seit dem 18. Jahrhundert überhaupt nicht mehr gedruckt worden waren. Als zweiter Band in der Reihenfolge des Erscheinens steht gegen Ende des Jahres der erste Band der Messen bevor, mit der Missa brevis F-dur, der Großen Orgelmesse in Es-dur, Nikolaus-Messe G-dur und Cäcilienmesse C-dur.

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