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Jugendfrsorge oder Pressepolizei?

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Der Laie, der an den Zeitungsverkaufsständen mit Verwunderung die geringen Veränderungen wahrnimmt, welche die Lex Tschadek, das G e-setz vom 3 0. März 1950 zum Schutz der Jugend, gegenüber der lustig weiterwuchernden Gangsterpresse hervorgebracht hat, und täglich die nichtaufhörende Reihe jugendlicher Opfer dieser „Literatur“ in der Verbrechenschronik vorüberziehen sieht, glaubt vor einem Rätsel zu stehen. Wie kommt es, daß das zweifellos von guten Absichten getragene Gesetz weitab von seinem Ziele bleibt, unsere Jugend vor dem Seuchenherd zu bewahren? Es ist in diesen Blättern schon darauf hingewiesen worden, daß das Gesetz durch seine strafrechtlichen Bestimmungen, das pornographische Pressegewerbe empfindlich getroffen hat; zu gleicher Zeit aber erweist es sich, daß die vom Gesetz vorgesehenen, bloß rein verwaltungsbehördlichen Maßnahmen gegen die jugendvergiftende Gangsterliteratur versagen.

Zu dem grundsätzlichen Unterschied dieser Schutzmaßnahmen — dort strafrechtliche Verfolgung, hier nur bürokratische Verbreitungsbeschränkungen — gesellen sich, wie sich mit steigender Eindringlichkeit erweist, eine Reihe konstruktiver Fehler der Gesetzestechnik. Zunächst fällt abträglich ins Gewicht:

Wohl ist die Begutachtung der Kolportageliteratur auf ihre die Jugend gefährdende Wirkung in Wien zentralisiert und liegt in den Händen eines erfahrenen Jugendbildners, der ehrenamtlich (I) sein gewaltiges Arbeitspensum zu bewältigen hat; aber die Anordnung von notwendig erscheinenden Verbreitungsbeschränkungen ist höchst unzweckmäßig, nicht von einem Bundesministerium für das ganze Bundesgebiet verfügt, sondern ist länderweise aufgeteilt, obwohl die gegenteilige Möglichkeit in 11, Abs. 3, des Gesetzes ausdrücklich vorgesehen ist. Während also dem Verleger von Bordelliteratur durch eine gerichtliche Verurteilung das Handwerk gelegt werden kann, ist seinKollege, der Verleger der Gangster-Jugendliteratur, in einer wesentlich günstigeren Stellung, weil der Kampf gegen ihn tatsächlich nicht zentral, sondern bezirksweise und sogar, in günstigsten Fällen, länderweise geführt wird, sein schmutziges Gewerbe wird nie entscheidend getroffen. Denn das Interesse, das dem Jugendschutz auf diesem Gebiete entgegengebracht wird, ist natürlich bezirksweise verschieden und es ist menschlich nur verständlich, wenn sich ohnehin überlastete Beamte nicht um neue Arbeit bemühen, für die sie meist auch keineswegs die erforderliche Schulung besitzen; denn die Verbreitungsbeschränkungen werden nach dem Gesetze von den Polizeibehörden, nicht von den Jugendreferaten verfügt.

Hier beginnt schon die Unklarheit des Gesetzes: Gehört sein Gegenstand zur „Jugendfürsorge“ oder zur „Pressepolizei“? Dem juristischen Laien mag die Frage müßig vorkommen, aber sie ist von entscheidenden Bedeutung: denn „Jugendfürsorge“ gehört zu jenen Gegenständen, bei denen dem Bunde nur das Recht der Grundsatzgesetzgebung zusteht, während die Länder das Recht haben, Ausführungsgesetze zu erlassen und das Gesetz zu vollziehen (Art. 12 (1), Ziff. 3, BVG). Stellt man sich nun auf diesen Standpunkt, so sind wesentliche Bestimmungen des Artikels II verfassungswidrig, wie zum Beispiel die in 11 (3) erwähnte Möglichkeit einer Verbreitungsbeschränkung für das ganze Bundesgebiet durch das Innenministerium! Auch kann dann nicht, wie es im Gesetz heißt: „Der Landeshauptmann“, das heißt das Organ der mittelbaren Bundesverwaltung, als erste oder zweite Instanz für ein Verbreitungsverbot fungieren, sondern es müßte „Die Landesregierung“ heißen, was bekanntlich ein großer Unterschied ist.

Aber auch wenn- man meint, dieses Jugendschutzgesetz falle nicht unter die „Jugendfürsorge“, sondern gehöre zur „Pressepolizei“, gerät man verfassungsrechtlich vom Regen in die Traufe. Denn die „Pressepolizei“ gehört nach 15 des Behördenüberleitungsgesetzes, das eine Verfassungsbestimmung ist, zum Geschäftsbereich der Sicherheitsdirektionen, das heißt zurunmittelbaren Bundesverwaltung, und diese Kompetenz kannnicht durch ein einfaches Bundesgesetz, wie eben das Gesetz vom 30. März 1950, b e-schränkt werden! Erst nachträglich scheint man im Bundeskanzleramt daraufgekommen zu sein, daß Verbreitungsbeschränkungen als pressepolizeiliche Maßnahme vom Landeshauptmann weder verfügt noch in der Berufungsinstanz bestätigt werden können; eshilftsichnun mit der „Interpretation“, „Landeshauptmann“ bedeute in Wirklichkeit „Sicherheits dlr e k t o r“ I So wird die Polizeibehörde zur maßgeblichen Instanz.

Die Verleger der „einschlägigen“ Literatur haben natürlich diese Unklarheit, die leicht zu vermeiden gewesen wäre, wohl bemerkt und zum Gegenstand zahlreicher Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof gemacht. So suchen jetzt die Behörden einmal den Ausgang dieser Verfahren abzuwarten. Die obersten Gerichtshöfe aber untersuchen gründlich und brauchen dazu Zeit.

Aber das ist noch nicht alles. Der Jxtrist muß sich fragen, wie er eigentlich die im Gesetz vorgesehene „Verbreitungsbeschränkung“ in die üblichen Begriffe des öffentlichen Rechts einzuordnen hat: Ist die Verbreitungsbeschränkung ein „Bescheid“, das heißt ein Verwaltungsakt, der in einem konkreten Einzelfall zwischen dem Staat und dem einzelnen Staatsbürger Recht schafft, oder aber eine „Verordnung“, das heißt eine allgemeine Regelung füreinenichtvonAnfang an bestimmte Zahl von Personen? Für die Annahme eines Bescheides spricht, daß gegen die von der Bezirksverwaltungsbehörde verfügte Verbreitungsbeschränkung Berufung eingelegt werden kann, was bei Verordnungen nicht üblich ist. Dagegen aber spricht, daß die Verbreitungsbeschränkung sich nicht gegen den Verleger oder Herausgeber, sondern an den unbestimmten Personenkreis der Kolporteure richtet, die nunmehr bestraft werden können, falls sie der Verbreitungsbeschränkung zuwiderhandeln, während der schuldige Verleger selbst außer Spiel bleibt. Man müßte diesen Mängeln durch eine klarere Fassung des Gesetzes begegnen. Denn wenn es sich um „Verordnungen“ handelt, gibt es kein Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Frage ist also von großer praktischer Bedeutung. ,

Wenn das Gesetz einen Sinn erhalten und nicht ein übles Gewerbe aus ihm einen Jux machen soll, dann ist eine Heilung seiner wunden Stellen Sache einer gewissenhaften, ihrer Verantwortung bewußten Rechtspflege. Judex

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