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Kapitulation vor dem Irrtum

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Es dürfte am Hatz sein, den Stand der Auseinandersetzung um die Abtreibung noch einmal ganz knapp darzustellen, um das Bild plastischer zu gestalten.

Bis 1937 zeigte das österreichische Strafgesetz noch keinerlei Spuren der heftigen Auseinandersetzung um das Lebensrecht der Ungeborenen und war durchaus konservativ. Die Zahl der Abtreibungen in Österreich war damals schon sehr hoch. Wegen Abtreibung angeklagte Ärzte verteidigten sich immer wieder mit dem Hinweis auf die schwere Gefährdung der kranken Mutter durch Schwangerschaft oder Geburt. Diese Verteidigungen zielten auf die Anwendung der Bestimmungen über die Straflosigkeit im Falle unwiderstehlichen Zwanges ab und waren, namentlich dann, wenn die Tat weiter zurücklag, zumeist unwiderleglich.

Der Ausweg, den der Gesetzgeber in der Strafgesetznovelle 1937 und gleichzeitig ‘im Bundesgesetz zum Schutz des keimenden Lebens fand, war folgender: Neben einer Regelung, die die Straflosigkeit des Arztes im Falle echter Lebensgefahr oder der Gefahr eines schweren, dauernden Gesundheitsschadens für die Mutter verfügte, wurden Kontroll- vorschriften geschaffen, die ein Begutachtungsverfahren durch Ärztekommissionen vorsahen. Die Lösung war auch mit den damals maßgebenden Moraltheologen abgeklärt worden; es handelte sich nicht um eine Anordnung und nicht einmal um eine förmliche Billigung der Tötung der Ungeborenen im Falle medizinischer Indikation, sondern nur um die Prüfung der Gefahr, um die rechtzeitige Begutachtung der Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für ein strafloses Handeln gegeben seien. Selbstverständlich konnte die Begutachtung für den Fall der unmittelbaren Gefahr, die sofortiges Handeln erfordert, nicht vorgeschrieben werden. Die Ärztekommissionen wurden auf Grund des Gesetzes zum Schutz des keimenden Lebens gebildet; ihre Tätigkeit war aber kaum angelaufen, als die politischen Veränderungen eine entscheidende Wendung brachten.

1939 wurde das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in Österreich eingeführt, welches neben dem ln seinem Titel enthaltenen Zweck auch die Kontrolle der medizinischen Indikation einschloß. Das Gesetz zum Schutz des keimenden Lebens wurde aufgehoben; die nach diesem Gesetz tätig gewesenen Kommissionen wurden vorübergehend mit Aufgaben nach dem neuen Gesetz betraut.

Die Auslegung der Mediziner

1945 fiel das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, ein typisches Produkt des Nationalsozialismus, der Aufhebung anheim, das Gesetz zum Schutz des keimenden Lebens wurde nicht wieder eingeführt, während die auf dieses Gesetz abgestellten Änderungen im Straf- recht, die die Straflosigkeit ärztlicher Eingriffe bei Gefährdung der werdenden Mutter betrafen, aufrecht lieben.

In den darauf eintretenden rechtspolitischen Auseinandersetzungen zeigten sich zwei Tendenzen: die eine, von jenen getragen, die angesichts der massenhaften Abtreibungen den Schutz der Ungeborenen und auch den der Mütter vor den Gefahren der Abtreibung rechtlich gesichert wissen wollten, ging dahin, wieder eine Kontrolle einzuführen. Die andere Tendenz zielte darauf ab, im Sinne der Entwicklung in den skandinavischen Ländern mehrere Gründe für eine Straflosigkeit der Abtreibung zuzulassen, also die verschiedenen Indikationen, vor allem die sogenannte ethische, die soziale und eugenische Indikation einzuführen.

In den Entwürfen der Strafrechts- kommission wurde im Rahmen der medizinischen Indikation auf das soziale Moment und auf die Furcht der Mutter vor mißgebildeten oder vor rechtswidrig gezeugten Kindern als ein Gefährdungsmoment psychischer Art hingewiesen. Die Verfechter dieser Lösung betonten, daß mit ihr Maß gehalten worden sei, denn es handle sich nur um nähere Präzisierung der medizinischen Indikation. Die Gegner dieser Lösung aber waren der Meinung, daß diese scheinbar maßhaltende Lösung praktisch die Einführung jener Indikationen bedeuten würde, auf die mittelbar auf dem Umweg über die Berücksichtigung der Furcht, Bedacht genommen worden war.

Im Zuge der rechtspolitischen Arbeiten verschwanden die eb.en erörterten Hinweise aus dem Entwurf; ebenso gelang es, zahlreiche Verschlechterungen des Rechtsschutzes für die Ungeborenen wieder aus den Entwürfen zu beseitigen. Schon die unter Minister Dr. Broda erstellten Entwürfe zeigten stufenweise die Tendenz, den Einwänden gegen die Entwürfe der Strafrechtskom- mission Rechnung zu tragen. Der unter Minister Dr. Klecatsky erstellte Entwurf berücksichtigte einen noch größeren Teil der Einwände gegen die Entwürfe der Strafrechts- kommission.

Entscheidende Kontrolle

Offen ist derzeit vor allem die Einführung von Kontrollvorschriften. Man wirft die Frage auf, ob solche Vorschriften angesichts der Entwicklung der medizinischen Wissenschaft und der zurückgehenden Zahl der Fälle echter medizinischer Indikation und in Anbetracht der Pille noch sinnvoll und aktuell wären. Die vielen Staaten, in denen Kontrollvorschriften bestehen, sind aber von ihnen trotz dieser Entwicklung nicht abgegangen. In der Bundesrepublik Deutschland, in der derzeit die Kontrolle nur teilweise besteht, soll sie sotgar nach dem Material zum offiziellen Strafrechtsentwurf umfassend eingeführt werden. Auch im Zeitalter der Pille werden ja immer wieder unerwünschte Kinder unterwegs sein. Kontrollvorschriften zeigen, wie ernst der Staat das Lebensrecht der Ungeborenen nimmt. Ohne Kontroll- yorsthriften ergibt sich das ‘folgende- Bild: es wird nur fallweise selten beswaftpin-den-meistert Fällütfkiehfr dar Staat der Tötung der Ungeborenen tatenlos zu. Mit den Kontrollvorschriften jedoch kann soziale Hilfe in jenen Fällen verbunden werden, in denen die medizinische

Gefahr durch soziale Umstände erhöht wird. Dies ist nicht Theorie. So hat in Schleswig-Holstein die Ärztekammer für jene Fälle, in denen die Begutachtung ergab, daß die medizinische Voraussetzung für das straflose Töten der Ungeborenen nicht gegeben sei, ein sehr wirkungsvolles System der Hilfe mit Mitteln des Bundes und des Landes aufgebaut. Auch derzeit wird in Österreich, vor allem vom Verein „Rettet das Leben — Gemeinschaft zum Schutz der Ungebarenen“ und der SOS-Ge- meinschaft, Referat Mütterhilfe, die die eigentliche Trägerin der praktischen Arbeit ist, vielfach mit Erfolg getrachtet, durch Zuspruch und Hilfe gefährdeten Ungeborenen das Leben zu erhalten. Dies geschieht zwar nicht ohne jede staatliche Hilfe, da Subventionen für die Vereinstätigkeit gegeben werden, im Grund genommen aber doch ohne eigentliches Engagement des Staates.

Die Kernfrage bleibt die nach der biologischen Beurteilung der Ungeborenen. Beginnt tatsächlich das menschliche Leben mit der Vereinigung des Samens und der Eizelle oder muß doch angenommen werden, daß es damit beginnt, weil sich ein anderer Zeitpunkt naturwissenschaftlich nicht festlegen läßt, so gehört es zur Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst, nicht nach Belieben über dieses menschliche Leben zu verfügen. Wer sich aber zu dieser Ehrfurcht bekennt, ist auch verpflichtet, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Er kann daher nicht teilnahmelos zusehen, daß eine werdende Muiter, die mit dem Gesetz in Konflikt gerät, hie und da gestraft wird, in einer unverhältnismäßig größeren Zahl von Fällen jedoch unter der Tarnung medizinischer Indikation ungeborene Kinder in großer Bequemlichkeit uind Sicherheit vor Strafe getötet werden. Diese Frage ist nicht nur eine Frage des Strafreohtes, sondern eine Frage des “Sozialen Engagements,, der Ehrlichkeit und der Liebe. Der Verzicht auf die Strafe wäre die Kapfcuia-tiori’-’vör Irrtum und Ehrfurchtslosigkeit. Die Strafe ist aber zu wenig. Sie muß durch eine andere Aktivität, nämlich die der Aufklärung und der Hilfe, ergänzt werden.

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