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Kassenkrieg ist nicht notwendig

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In der „Furche“ vom 15. Oktober 1960 wurde unter der Uberschrift „Ist der Kassenkrieg notwendig?“ eine von ärztlicher Seite verfaßte Darstellung des neuerlichen Konfliktes zwischen der Wiener Cebietskrankenkasse und der Ärztekammer für Wien abgedruckt. Zu diesem Bericht wird von Seiten der Krankenkasse wie folgt widersprochen.

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In der „Furche“ vom 15. Oktober 1960 wurde unter der Uberschrift „Ist der Kassenkrieg notwendig?“ eine von ärztlicher Seite verfaßte Darstellung des neuerlichen Konfliktes zwischen der Wiener Cebietskrankenkasse und der Ärztekammer für Wien abgedruckt. Zu diesem Bericht wird von Seiten der Krankenkasse wie folgt widersprochen.

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Im März konnte ein vertragsloser Zustand nur dadurch in letzter Minute verhindert werden, daß die Forderung der Ärzte, die Honorare rückwirkend mit 1. Jänner 1960 um 20 Prozent zu erhöhen, voll erfüllt wurde. In der auf Bundesebene darüber abgeschlossenen Vereinbarung wurde es den Krankenkassen und den Länderärztekammern freigestellt, gleichzeitig die Honorarordnung umzubauen. Die Initiative hierzu ging von den Kassen aus, die eine Lok-kerung des starren und unbefriedigenden Pauschalsystems durch eine separate Vergütung bestimmter Leistungen anstreben; dies ist ein Versuch, das bewährte Hausarztsystem neu zu beleben.

Die Ärztekammer für Wien hat ein solches System gleichfalls ab richtig anerkannt, seine Verwirklichung aber von der Erfüllung finanzieller Forderungen abhängig gemacht, die weit über die zwanzigprozentige Honorarerhöhung hinausgehen. Hauptverband und Österreichische Ärztekammer haben aber vereinbart, daß eine Änderung der Honorarordnung keine Überschreitung der zwanzigprozentigen Honorarerhöhung zur Folge haben darf. Die Ärztekammer für Wien verlangt also etwas, was die Österreichische Ärztekammer gemeinsam mit dem Hauptverband als unzulässig erklärt hat. Dieses Verlangen mußte daher abgelehnt werden; weil es abgelehnt wurde, hat die Ärztekammer für Wien den Gesamtvertrag gekündigt.

Der Verfasser des Artikels „Ist der Kassenkrieg notwendig?“ befaßt sich insbesondere mit der Art der Honorierung der von den praktichen Ärzten geleisteten physikalischen Therapie. Er bezeichnet die geltende Regelung als unmoralisch und versucht, dies durch einen Vergleich mit der Entlohnung von Dienstnehmern plausibel zu machen. Dazu ist festzustellen, daß die besondere Art der Vertragsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und der Ärzteschaft einen Vergleich mit dem Arbeitsrecht für Dienstnehmer a priori ausschließt. Die Ärzte haben bisher größtes Gewicht darauf gelegt, daß ihre freie Berufstätigkeit durch die Krankenkassen unangetastet bleibt, und die Kassen respektieren diesen Wunsch. Der dargestellte Vergleich hinkt also.

Im übrigen trifft der Vorwurf, der Gesamt-vertrag enthalte „unmoralische“ Bestimmungen, die Ärztekammer für Wien selbst, die diese Bestimmungen seinerzeit verlangt hat. Eine weitere Diskussion darüber erübrigt sich aber, weil die Kasse der Forderung, der Aufwand für die physikalische Therapie dürfe nicht zu einer Verminderung des Fallpauschales führen, bei der letzten Verhandlung im vollen Umfang nachzukommen bereit war.

Ein unrichtiges Bild ergibt sich ferner aus der Behauptung, die Krankenkasse verlange, daß sich die Ärzte bestimmte Leistungen selbst bezahlen. Die Kasse hat lediglich vorgeschlagen, daß der sich aus der zwanzigprozentigen Honorarerhöhung ergebende Betrag nicht dazu verwendet wird, einfach das Pauschalhonorar um zwanzig Prozent zu erhöhen, sondern daß mit einem Teil dieser Summe, welche allein bei der Wiener Gebietskrankenkasse 35 Millionen Schilling pro Jahr ausmacht, Hausbesuche und Injektionen gesondert bezahlt werden. Dabei hat sich die Kasse sogar bereit erklärt, für diese Sonderhono-rierung auch selbst einige Millionen beizusteuern.

Der Wiener Gebietskrankenkasse eine starre und unnachgiebige Haltung gegenüber „berechtigten“ Forderungen der Ärzteschaft vorzuwerfen, ist ungerecht, denn schließlich wurden die Honorare für die Vertragsärzte von den Wiener ASVG-Krankenkassen seit dem Jahre 1955 um 60,9 Prozent erhöht. Da die Kassen aber keineswegs aus dem Vollen schöpfen können, müssen Forderungen, die über ihre finanzielle Leistungskraft hinausgehen, abgelehnt werden. Das gilt nicht nur für die Ärzte, sondern für alle Vertragspartner.

Dieser Situation ist sich die Ärztekammer für Wien wohl auch voll bewußt, denn sie hat gebeten, die Kündigung des Vertrages nicht als einen unfreundlichen Akt anzucehen.

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