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Kaum Zügel für die Bioforschung

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Was ist Bioethik? Nicht die Lehre von der Ethik in der Biologie, sondern der Versuch, gentechnische Eingriffe zum Nutzen der Wissenschaft zu legitimieren. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls der Entwurf zur Bioethik-Konvention...

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Was ist Bioethik? Nicht die Lehre von der Ethik in der Biologie, sondern der Versuch, gentechnische Eingriffe zum Nutzen der Wissenschaft zu legitimieren. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls der Entwurf zur Bioethik-Konvention...

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Das heißt: alles was der Wissenschaft und der Medizin nützt, ist gut, vertretbar, gerechtfertigt. Seit Jahren hat ein Sachverständigenausschuß des Europarates - genannt Lenkungsausschuß für Bioethik - geheim an einem internationalen Vertrag zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin (Bioethik-Konvention) gearbeitet und einen nahezu vollständigen Entwurf erstellt.

Im Sommer 1994 wurde die Geheimhaltung zwar vom Ministerkomitee aufgehoben, die Sache blieb der Öffentlichkeit dennoch nahezu verborgen. Dabei weist der Entwurf einen äußerst brisanten Inhalt auf ...

Wieweit darf nach der Bioethik die Gentechnik beim Menschen gehen, ohne die Menschenrechte und die Menschenwürde zu verletzen?

Der Entwurf gibt darauf teilweise höchst bedenkliche Antworten, die im Ergebnis auf eine Aushöhlung der Menschenrechte zugunsten dieses „Nutzungsdenkens” für Forschung und Medizin hinauslaufen. Hier die großen Knackpunkte: ■ Gebührt dem einzelnen Menschen oder der Wissenschaft der Vorrang? Die Konvention sagt, die Interessen und die Wohlfahrt des Menschen sollen Vorrang vor den ausschließlichen Interessen der Gesellschaft und der Wissenschaft haben.

Das heißt nichts anderes, als daß Forschungen zulässig sind, die nicht zum Nutzen der Versuchsperson sind, es genügt ein Interesse der „Gesellschaft” oder der Wissenschaft. Vom Menschen wird fast wie von einer Tierart gesprochen („des Menschen” und nicht „jedes Menschen”). ■ Gefragt werden muß nur, wer einwilligungsfähig ist: Eingriffe bei Kindern, Jugendlichen oder Menschen unter Sachwalterschaft sind ohne Zustimmung möglich! Diese Gruppen sind aufgrund ihrer Entwicklung und ihres Alters nicht einwilligungsfähig. Sie werden aber nicht besonders geschützt. Bei Geborenen muß bloß ein hinreichender Schutz der geschäftsunfähigen Person gewährleistet sein (worin? durch wen? womit?), dann dürfen Eingriffe, die diesen keinen Nutzen bringen, vorgenommen werden: 1.) im Fall der medizinischen Forschung, wenn für die betroffene Person das Bisiko unerheblich und die Belastung geringfügig ist, soweit eine gleichermaßen wirksame Forschung an voll geschäftsfähigen Personen nicht vorgenommen werden kann und es eine gleichermaßen wirksame Alternative Methode zu den Forschungsvorhaben nicht gibt.

Forschung reicht aus, wenn das Bisiko unerheblich und die Belastung geringfügig ist. Eltern oder der Vormund von Kindern und Jugendlichen brauchen überhaupt nicht gefragt zu werden! Stimmen Erwachsene nicht zu oder sind die Alternativen weniger wirksam, kann locker auf Kinder gegriffen werden. Föten können verwertet, an Kindern und Jugendlichen Experimente ausgeführt werden. 2.) im Fall der Entnahme von regenerierbaren Geweben zum Zwecke von Transplantationen zwischen Personen, die sich persönlich' oder verwandtschaftlich nahestehen, wenn es einen voll geschäftsfähigen Spender oder eine gleichermaßen wirksame alternative Methode nicht gibt: Beschaffung von Örganmaterial für Onkel und Tanten gegen den Willen des betroffenen Kindes oder Jugendlichen ist möglich. Der beträchtliche Nutzen für einen Verwandten reicht! ■ Forschung an außerhalb (in vitro) erzeugten Embryonen ist bis zum 14. Tag erlaubt!

Damit wird das Klonen von Zellen (= Abtrennung von Zellen etwa zur künstlichen Erzeugung eines Zwillings oder eines künftigen Organlieferanten) sowie eine Frühfeststellung von Erbanlagen oder des Geschlechtes mit allen denkbaren Folgen ermöglicht. Die Erzeugung von Embryonen allein zu Forschungszwecken ist zwar verboten, was ist aber mit den „überschüssigen Embryonen bei künstlich herbeigeführter Schwangerschaft, oder mit Embryonen, die für nicht für die Forschung, sondern als Genmaterial (zum Beispiel zur Medikamentenherstellung) verwendet werden sollen? Das ist erlaubt! Schließlich soll vorhandenes Material auch nutzbringend verwertet werden können.

■ Weiterverwendung entnommener Körperteile ohne Zustimmung ist nicht ausgeschlossen: Entnommene Körperteile dürfen konserviert und für andere Zwecke verwendet werden. Eine Aufklärung und Einwilligung ist nicht zwingend erforderlich. Über die Verwendung von Föten schweigt die Konvention. Die Konvention enthält auch keinerlei Hinweise, daß Embryonen und Föten Menschen sind.

■ Es gibt keinen ausreichenden Datenschutz, kein Verwertungsverbot von Daten, kein Diskriminierungsverbot: Letztlich sind durch den Hinweis auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit oder die Bechte und Freiheiten anderer die Ergebnisse genetischer Tests weitgehend nicht dem Datenschutz unterworfen. Es besteht auch kein Verbot der Diskriminierung von Personen aufgrund der Erkenntnisse aus derartigen Tests (zum Beispiel bei Anstellungen, bei Versicherungen) und kein Verwertungsverbot für derartige Zwecke. Den Druck auf Beschaffung oder Vorlage derartiger Daten an Arbeitgeber, Versicherungen und so weiter übergeht der Entwurf.

■ Schadenersatz gebührt nur dann, wenn staatliches Becht dies anordnet. Das heißt, es würde den Menschenrechten entsprechen, wenn ein Staat keine Entschädigung vorsieht.

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