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Können Gene überspringen?

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Nur unter Extrembedingungen können Gene von einer Lebensform auf eine andere übergehen.

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Nur unter Extrembedingungen können Gene von einer Lebensform auf eine andere übergehen.

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Die Natur kennt zur Weitergabe von Erbinformationen nicht nur die geschlechtliche Vererbung. In den frühen Phasen der Evolution fand unter den lebenden Zellgebilden und Organismen ein Austausch von Erbgut auch auf eine ganz andere Weise statt: durch den sogenannten horizontalen Gentransfer. Bei dieser Form der „Vererbung” nahmen die Mikroorganismen fremdes Genmaterial direkt über die Zellmembran in die eigene DNA (Desoxyribonukleinsäure, der Träger der Erbinformation) auf. So kam es zu einem nicht-geschlechtlichen Austausch von Erbmaterial zwischen verschiedenen Arten, wodurch die Artenvielfalt zusätzlich gefördert wurde und auch heute noch wird. Horizontaler Gentransfer konnte bisher nur unter Mikroorganismen nachgewiesen werden. Es gibt jedoch Hinweise darauf, daß er auch höhere Organismen betrifft. „Es wurden bereits einige DNA-Sequenzen in lebenden Bakterien oder Mikroorganismen gefunden, die aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit wahrscheinlich von anderen Arten, etwa von Pflanzen oder Tieren stammen ”, erklärt Kornel Burg von der Abteilung Agrarfor-schung und Biotechnologie im Forschungszentrum Seibersdorf.

Das Thema „horizontaler Gentransfer” ist damit eine der wichtigsten Fragen für die praktische Anwendung der Gentechnologie, die auch die Seibersdorfer Wissenschaftler seit längerer Zeit beschäftigt: „Wie lange sind DNA-Sequenzen von verrotteten Pflanzen im Boden nachweisbar? Ist ein Übergehen des eingeschleusten Genmaterials von der Trägerpflanze auf Boden-Mikroorganismen feststellbar?

In Laborversuchen konnte unter Simulation naturnaher Bedingungen kein horizontaler Gentransfer festgestellt werden. Nur bei extremem Nachhelfen konnten die Wissenschaftler einen DNA-Transfer von den Trägerpflanzen auf die in der Nährlösung verwendeten Agrobakte-rien erreichen. Dazu wurde in einem osmotisch stabilisierten, ionenfreien Milieu eine Spannung von rund 2.000

Volt erzeugt, um die Zellmembranen der Bakterien porös zu machen. Selbst unter- diesen Extrembedingungen fanden die Seibersdorfer nur einige wenige Bakterien unter insgesamt rund 100 Millionen, die eine bestimmte markierte Gensequenz aufgenommen hatten.

„Im Hinblick auf Freilandversuche mit transgenen Pflanzen sind diese Ergebnisse beruhigend”, meint Burg. Aufgrund der unzähligen Bakterienarten mit ihren verschiedenen Eigenschaften sei weiterführende Forschung aber in jedem Fall notwendig. International noch weitgehend ungeklärt ist der Mechanismus, mit dem fremde Gensequenzen in die DNA von Mikroorganismen durch horizontalen Transfer eingebaut werden. Eine theoretische Möglichkeit ist, daß der Einbau zufällig erfolgt, etwa im Rahmen von DNA-Reparaturmechanismen, die in den Zellen permanent stattfinden.

Horizontaler Gentransfer könnte auch zur zunehmenden Antibiotikaresistenz bei Bakterien beitragen, führt Burg weiter aus. Manche Bakterienarten verfügen über Enzyme, die sie gegen bestimmte Antibiotika-Substanzen - etwa Penizillin - immun machen. Burg: „Es ist möglich, daß solche Bakterien entsprechendes Genmaterial an andere, nicht resistente Bakterienarten übertragen, wenn sie mit diesen in Kontakt kommen.” (Dieser Vorgang ist nicht zu verwechseln mit der permanenten Bildung neuer Arten von Grippeviren, die durch Mutationen im Erbgut und Vermehrung „fehlerhafter” Nachkommen entstehen.)

Beim Menschen und bei höher entwickelten Tieren wird ein horizontaler DNA Transfer nach dem derzeitigen Wissensstand praktisch ausgeschlossen. Zum einen werden von außen aufgenommene Substanzen vom Verdauungssystem verarbeitet und wieder ausgeschieden, zum anderen sind die

Abwehr- und Reparaturmechanismen wesentlich komplexer ausgebildet als bei Kleinstlebewesen.

Auf ähnliche Weise läßt sich auch der Umstand begründen, daß horizontaler Gentransfer vor allem während der frühen Phasen der Evolution eine bedeutende Rolle zur Übertragung von Erbinformation gespielt hat: Die damals lebenden Zellengebilde und Organismen verfügten nur über wenig ausgeprägte Abwehr- und Reparaturmechanismen, die kaum Sch,utz vor eindringenden Fremdstoffen boten.

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