6680493-1961_41_14.jpg
Digital In Arbeit

KONZERTE IN ÖSTERREICH

Werbung
Werbung
Werbung

Der Präsident des Österreichischen Statistischen Zentralamtes, Dr. Hans Fuchs, ist dafür bekannt, daß er „Zahlenfriedhöfe” verabscheut und bestrebt ist, der amtlichen Statistik auch bisher verschlossene Gebiete zu eröffnen. Ein Beispiel dafür ist die von ihm angeregte Musikstatistik, die den durchaus „unamt- lichen” und „unstatistischen”, dagegen eher musikalisch anmutenden Titel „Konzerte in Österreich” trägt.

Mag es Musiksachverständigen und Musikliebhabern im ersten Moment auch unverständlich oder vielleicht sogar als Sakrileg erscheinen, Musik und Statistik in irgendeine Relation zueinander zu setzen, so- sei vorweggenommei., daß es sich bei dieser Arbeit weder um eine Wertung der Musik an sich handelt noch um den Versuch, die Kunst zahlenmäßig zu zerpflücken, sondern daß damit die Kuiturstatistik, die bereits über Theater, Film, Rundfunk und Fernsehen berichtet hat, um ein neues Kapitel bereichert werde, aus dem wir erfahren, wie es um das Konzertleben in Österreich bestellt ist. Abgesehen von dem praktischen Nutzen, den Konzertveranstalter eventuell aus dieser jüngsten Statistik ziehen mögen, kommt ihr doch bei aller Sachlichkeit vor allem ideeller Wert zu, ?veil sie in ihrer Art eine Reverenz vor dem aus allen Zeitwirren immer wieder aufs neue sich erhebenden musischen österreichischen Geist symbolisiert.

Während es bisher nur möglich war, einzelne Ausschnitte aus dem österreichischen Konzertleben streiflichtartig zu beleuchten, liegt nun erstmals eine Übersicht über das gesamte österreichische Bundesgebiet vor, die sich auf die Spieljahre von 1956 57 bis 1958 59 erstreckt. Wenngleich die statistischen Erhebungen nicht jede einzelne Gemeinde Österreichs zu erfassen vermochten, so wurde die Auswahl sorgfältig genug getroffen, um repräsentative Ergebnisse zu gewährleisten.

Wer der Meinung sein sollte, das österreichische Konzertleben konzentriere sich ausschließlich auf Wien und Salzburg, wird wahrscheinlich davon überrascht sein, daß, obwohl Wien den Schwerpunkt des österreichischen Konzertwesens bildet, es außer den beiden genannten Städten noch hunderttausende Konzertbesucher in Österreich gibt und daß auch kleinere, international unbekannte Städte sich die Pflege der Konzertmusik angelegen sein lassen. Außer in Wien und Salzburg konnte in 72 österreichischen Städten Konzerttätigkeit festgestellt werden. Niederösterreich allein meldet in 27 Städten

Konzertbetrieb, die Steiermark in 17, Oberösterreich in elf Städten. In den übrigen Bundesländern gibt es jeweils zwischen einer bis fünf Städte, in denen Konzertmusik gepflegt wird. In 165 Konzertsälen wurden für 317.057 Besucher 871 Konzerte veranstaltet. In den insgesamt 74 österreichischen „Konzertstädten wurden fast 1600 Konzerte mit jährlich über 750.000 Besuchern aufgeführt. Wien veranstaltete fast 700 Konzerte, die von rund 500.000 Menschen besucht wurden. Trotz der rund achtzigmal so großen Menge der Kinobesuche immerhin eine sehr beträchtliche Zahl!

Die Statistik glaubt zwischen der Größe der Städte und dem Umfang der Konzerttätigkeit eine positive Relation her- stellen zu können. Zum Beweis dessen wird angeführt, daß es in Städten mit mehr als 10.000 Einwohnern fast ausnahmslos überall ein Konzertleben gibt — allein die Städte über 50.000 Einwohner vereinigen zwei Drittel der Konzertbesucher auf sich —, daß selbst in kleineren Städten noch relativ rege Konzerttätigkeit herrscht, daß aber dagegen Städte mit weniger als 1000 Einwohnern sich in ihrer Gesamtheit davon ausschließen. Die Konzerte in den kleineren Städten besitzen auch einen erheblich geringeren Wirkungskreis.

Der Bedeutung Wiens als Musikstadt entsprechend, wurde der Bundeshauptstadt in der Publikation des Österreichischen Statistischen Zentralamtes ein eigenes Kapitel gewidmet. Seit 1946 stehen in allen Jahren die Örchesterkonzerte mit der höchsten Besucherzahl an der Spitze der Konzertveranstaltungen. Für das Jahr 1958 59 ergaben sich: 191 Orchesterkonzerte mit 343.426 Besuchern. Bei den Kammerkonzerten gab es 104 Aufführungen mit 48.943 Besuchern, und 97 Instrumentalkonzerte wurden von 56.533 Personen besucht. Wesentlich weniger Aufführungen und auch dementsprechend geringere Besucherzahlen zeigten im gleichen Jahr die Chor-, Gesangsolisten- und gemischten Konzerte, einschließlich der Schülerkonzerte; 13 Sommerkonzerte wurden im Arkadenhof des Rathauses abgehalten.

Den Wienern standen im Spieljahr 1958 59 29 Konzertsäle zur Verfügung. Die rapide Vergrößerung des Fassungsraumes von 17.933 Sitzplätzen im Jahre 1957 58 auf 36.774 im Jahre 1958 59 ist fast ausschließlich auf das Konto der Stadthalle zu buchen, deren Halle D zum Beispiel allein infolge eines variablen Fassungsraumes entweder 8990 oder 10.455 Besuchern Sitzplätze bietet, während Halle E über 2400 Sitzplätze verfügt. 700 Stehplätze ermöglichen auch den weniger Bemittelten, auf den Besuch eines Konzertes nicht verzichten zu müssen. Es darf aber auch die Bedeutung verschiedener Wiener Palais’ in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, wie Schwarzenberg, Auersperg, Rasumofsky, Pallavicini, Liechtenstein und Palffy, denn sie bieten zusammen rund 2000 Konzertbesuchern Platz. Die eigentlichen Stätten der Musikpflege sind aber das Musikvereinsgebäude und das Konzerthaus mit zusammen sechs Sälen und 5843 Plätzen.

Daß, wenn auch naturgemäß in beschränktem Maße, dem Jazz ein Platz innerhalb der ernsten Musik eingeräumt wird, beweisen neun Jazzkonzerte von insgesamt 647 Orchesterkonzerten im Jahre 1958 59, bei denen 99 Dirigenten, 356 Solisten, 19 Orchester sowie 36 Kammermusik- und 46 Chorvereinigungen mitwirkten. In Höfen und auf dem Heiligenstädter Pfarrplatz standen bei Konzertveranstaltungen mehr als 6000 Sitzplätze zur Verfügung. Entscheidend für die Bedeutung des Wiener Konzertlebens ist aber weniger die Platzkapazität im Einzelfall, sondern die Häufigkeit der veranstalteten Konzerte. Von 1956 57 bis 1958 59 wurden 85 Prozent aller Konzerte in den Sälen des Musikvereinsgebäudes und des Konzerthauses aufgeführt, 5 Prozent in den erwähnten Palais, der P est von 10 Prozent verteilte sich auf Großveranstaltungen in der Stadthalle und auf Darbietungen auf Plätzen und in Höfen (zu denen auch die von Wien aus gestalteten Konzerte im Hof der Burg Kreuzenstein zählen).

Während im Musikverein und im Konzerthaus Konzerte aller Art veranstaltet wurden und im großen Sendesaal von Radio Wien fast nur Orchesterkonzerte stattfinden, eignen sich die kleineren Säle, wie jene in den Palais, nicht für die gleichen Zwecke und bleiben vor allem Kammer- und Solistenkonzerten Vorbehalten. — Über das Angebot an Plätzen wurden recht interessante Berechnungen angestellt: bei voller Kapazitätsausnützung, also bei stets ausverkauften Häusern, hätten theoretisch während der drei beobachteten Jahre rund 850.000 Besucher im Jahr die

Möglichkeit gehabt, Konzerte zu besuchen; dazu kommen für die Spieljahre 1957 58 und 1958 59 noch rund 55.000 theoretisch errechnete Besucher von insgesamt 22 Jazzkonzerten.

TVie überragende Bedeutung des Musikvereinssaales und des “ großen Konzerthaussaales zeigt sich auch darin, daß diese beiden Säle allein jährlich rund drei Viertel aller Sitzplätze anzubieten hatten. Relativ große Breitenwirkung kommt auch den Arkadenhofkonzerten im Wiener Rathaus zu, bei denen pro Konzert den Musikfreunden rund 3000 Plätze zur Verfügung stehen. Von geringerer Bedeutung sind der Kammermusiksaal des Musikvereines und der Schubertsaal des Konsmhauses. — An der Spitze def-’ Konzertveranstalter Stehen dfs; Wiener Konzerthausgesellschaft und die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Zusammen veranstalten sie etwas über ein Viertel sämtlicher Konzerte in Österreich. — In der Hauptsaison, von Oktober bis Juni, finden in Wien pro Tag zwei Konzerte statt, in der Zeit der regsten Konzerttätigkeit, in den Monaten November, März und Mai, drei Konzerte täglich.

lVie veranstalteten Konzerte bieten ein sehr reichhaltiges Pro- gramm, das nahezu alle großen Musikepochen umfaßt. Aus dieser Vielfalt der aufgeführten Werke erklärt sich, daß selbst die Werke Beethovens und Mozarts, der beiden am meisten in Wien aufgeführten Komponisten, trotzdem im Jahre 1956 57 maximal zusammen nur einen Anteil von 17 Prozent an der Gesamtzahl aller Aufführungen erreichten. Er geschah sogar, daß die zehn meistaufgeführten Komponisten gemeinsam durchschnittlich nur etwas mehr als 40 Prozent der gesamten Aufführungen bestritten. Obwohl unter den am öftesten aufgeführten Komponisten die Klassiker im Vordergrund standen, kam doch in der Gesamtheit aller Aufführungen der romantischen Musik mit 35 Prozent der erste Platz zu. Jedoch wird auch dem Musikschaffen des 20. Jahrhunderts breiter Raum gewidmet. 1957 58 und 1958 59 nahm es den zweiten Platz ein. In allen drei Spieljahren gab es zehn Komponisten, deren Werke zum eisernen Bestand der Konzertprogamme gehören und am meisten aufgeführt wurden, es waren: Brahms, Haydn, Tschaikowsky, Schumann, Bartök, Strawinsky, Prokofieff, Debussy, C. M. v. Weber und Ravel.

TT- on den früher außer Wien erwähnten übrigen 73 österreichi- V sehen Städten, die eine Konzerttätigkeit meldeten, wurden nur 5 5 erfaßt, weil nur von ihnen lückenlose Angaben über Konzertaufführungen und Konzertbesucher Vorlagen. In diesen 55 Städten wurden in 139 Konzertsälen vor 298.5 39 Besuchern 779 Konzerte veranstaltet. Die größeren Städte bevorzugen Kammermusik — allein vier Fünftel der Kammerkonzertbesucher konzentriert sich auf die Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern. Im Vergleich zu Wien zeigen die Städte in den übrigen Bundesländern stärkere Neigung zur Kammermusik, während die Vorliebe für die Musik des 20. Jahrhunderts wesentlich weniger stark ist als in der Bundeshauptstadt.’Dem romantischen Hang der Wiener steht der Hang zur Klassik in den Bundesländern gegenüber, wo fast die Hälfte aller Konzerte klassische Musik darbietet; die drei meistgespielten Komponisten sind Mozart, Haydn und Beethoven. Die zehn meistaufgeführten Komponisten, die in Wien, wie erwähnt, durchschnittlich 40 Prozent aller Aufführungen bestritten, erreichen in den Bundesländern einen gemeinsamen Anteil von durchschnittlich 57 Prozent. Die Bundesländer unterscheiden sich also von Wien durch größeren Konservativismus in der Programmgestaltung, durch stärkere Konzentration auf die „ganz Großen” in der Musik, besonders auf Mozart, und durch wenig Ambition für die modernen Komponisten. Hindemith zum Beispiel scheint erst an fünfzehnter Stelle auf. pv ie erste österreichische Musikstatistik ist von Dr. Füchs als ein Experiment gedacht, das beweisen sollte, die Statistik wüßte nicht nur mit handfesten, sondern mitunter auch mit subtileren Dingen umzugehen. Dieses Experiment scheint ihm und der Verfasserin. Dr. Edith Schmutzer vom Statistischen Zentralamt, gelungen zu sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung