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Krieg mobilisiert die Kreativität der Ameise

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Insekten, die den Menschen bisher nur in tropischen Gebieten gefährdeten, etwa die Malaria übertragende Moskitos, könnten durch die globale Erwärmung bald auch in Südeuropa vorkommen. Auch die Vermutungen über bisher nicht berücksichtigte Übertragungswege von Krankheiten wirken auf viele Menschen beunruhigend - vom „Rinderwahnsdinn” BSE hieß es kürzlich, Übertragung durch Insekten sei nicht auszuschließen.

Das Beich der Insekten kommt dem Menschen immer schon sehr fremdartig vor. „Alien Empire - Das Reich der Insekten” nennt Christopher O'Toole denn auch sein Buch über sie. Aliens sind Fremdlinge. Doch bei Bert Hölldobler und Edward 0. Wilson, die das Buch „Ameisen -Die Entdeckung einer faszinierenden Welt” schrieben, mutet uns manches sehr vertraut an. Zum Beispiel, daß es die Demutsgeste, die freiwillige Unterwerfung des Unterlegenen bei Bangkämpfen, und dessen Schonung durch den Überlegenen, über die Konrad Lorenz soviel schrieb, sogar bei den Ameisen gibt.

Was uns ein weiteres Mal über deren Reichtum an Verhaltensweisen und die Kompliziertheit ihres Zusammenlebens staunen läßt. Im kleinen Bild links oben setzt eine siegreiche Königin der Gattung Myrmecocystus navajo ein Bein auf den Rücken der Unterlegenen, die sich duckt und ihre Kiefer öffnet, was bedeutet: Ich gebe auf.

Beide Bücher faszinieren auf den ersten Blick durch ihr Bildmaterial. O'Toole faßt das Thema weiter. Der für die Bienen und Wespen zuständige Kurator der Insektensammlung in Oxford führt zwar nicht in die ganze Bandbreite derJLnsektenwelt ein, das TVäie UTnnoghch, gibt aber einen großen Überblick und schreibt auch interessant über das Zusammenleben zwischen Menschen und Insekten. Verschwänden die Insekten von der Erde, wäre dies auch für den Menschen eine Katastrophe. Selbstverständlich informiert er auch über die Ameisen.

Bei Hölldobler und Wilson ist das Bildmaterial naturgemäß einförmiger: Sie behandeln „nur” einen Ausschnitt der Insektenwelt, wenn auch einen der faszinierendsten, vielleicht den faszinierendsten überhaupt. Nämlich die Ameisen. Beide befassen sich mit den Ameisen seit ihrer Kindheit. Zwei Bücher also, die einander bestens ergänzen.

Die Biomasse sämtlicher auf der Welt lebender Ameisen entspricht vermutlich jener des Menschen, das heißt, alle Ameisen der Erde dürften zusammen etwa genausoviel wie alle Menschen wiegen. Doch wiegt eine Arbeiterin nur ein bis fünf Milligramm. Es gibt vermutlich zehntausend Billionen Ameisen. In den Amazonas-Regenwäldern ist ihre Biomasse sogar viermal so groß wie die aller Säugetiere, Vögel, Beptilien und Amphibien. Bund um den Globus ist die ganze Erdoberfläche von ihnen durchsetzt — wohl möglich, daß es sich bei ihnen um die erfolgreichsten Überlebenskünstler handelt, welche die Evolution bisher überhaupt auf der Erde hervorgebracht hat.

Daß sie in komplizierten gesellschaftlichen Systemen leben, weiß jeder. Aber während sie einst einfach als „Instinktautomaten” betrachtet wurden, sehen die rund 500 Ameisenforscher, die es weltweit gibt, die

Ameisen umso ratloser, erklärungsloser, freilich auch mit umso mehr Bewunderung, je mehr sie über sie wissen. Denn nicht nur die Leistungen, die sie vollbringen, sind unter Äus-klammerung des Begriffes Intelligenz schwer erklärbar. Seit man weiß, daß in einem Ameisenvolk Arbeiterin nicht gleich Arbeiterin ist, sondern eine Palette individueller Verhaltensweisen existiert, wird dies noch schwerer.

Auch von den Superkolonien hat man bis vor relativ kurzer Zeit nichts geahnt: 1980 wurde im Schweizer Jura ein 25 Hektar großes System miteinander verbundener, kooperierender, Arbeiterinnen austauschender Ameisenvölker entdeckt, das noch heute existiert.

Sogar so etwas wie ein Suchtproblem gibt es im „Ameisenstaat”. Bekanntlich halten sich manche Arten bestimmte Läuse, die einen berauschenden Saft absondern. Manche Arbeiterinnen sprechen ihm zu ausgiebig zu und werden zur „Ausnüchterung” ins Freie geschafft.

Wie beim Menschen, aber auch bei den Schimpansen, mobilisiert der Krieg alle Kreativitätsreserven. Einige Strategien der Ameisen könnten Feldherren alle Ehre machen. Manche Völker bekämpfen einander sogar mit Steinen, die sie von einem erhöhten Punkt auf den Feind rollen lassen. Ameisenarten, die ihr Verbreitungsgebiet ausweiten, rotten aus, was sich ihnen in den Weg stellt - mitunter im kontinentalen Ausmaß.

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