Schilf am Neusiedlersee - © iStock / Zwilling330

Studium am Neusiedlersee

19451960198020002020

Moore speichern doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder zusammen. Ausgetrocknete Moore zu renaturieren, wäre daher ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Unterwegs in kaum erforschtem Gebiet am Neusiedlersee.

19451960198020002020

Moore speichern doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder zusammen. Ausgetrocknete Moore zu renaturieren, wäre daher ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Unterwegs in kaum erforschtem Gebiet am Neusiedlersee.

Werbung
Werbung
Werbung

In der Nähe der Biologischen Station Neusiedlersee in Illmitz steht ein etwa sechs Meter hoher Turm im Schilf. Verschiedene Geräte sind darauf montiert, man hört das leise Surren einer Pumpe. Die Anlage arbeitet üblicherweise selbsttätig. Doch gelegentlich muss Stephan Glatzel über eine Aluleiter auf den Turm steigen und sauber machen, denn die Spinnen nutzen den Turm begeistert für ihre Netze. Damit stören sie die Forschung des Geoökologen.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Der Turm in Illmitz ist eine sogenannte Eddy-Kovarianz-Messanlage und Teil des Projekts LTER-CWN: Das steht für "Long Term Ecological Research", also ökologische Langzeitforschung, die Abkürzung CWN für Kohlenstoff, Wasser und Stickstoff. Es geht hier darum, wie sich durch den Klimawandel hervorgerufene Extremereignisse auf verschiedene Ökosysteme auswirken. "Eddy" ist das englische Wort für Wirbel oder Strudel - und hier zugleich die Basis für die Messungen. Baugleiche Messanlagen stehen auch im Pürgschachen Moor im steirischen Ennstal, an verschiedenen Waldstandorten in Österreich und auf einer Grünlandfläche in Tirol. Stephan Glatzel, Professor am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien, koordiniert das Projekt, an dem mehrere Forschungsstellen beteiligt sind. Sein eigenes Spezialgebiet sind Moore und deren Wechselwirkung mit dem Klimawandel.

Langfristige Kohlenstoffspeicher

"Der Turm ist in der Lage, kontinuierlich den Austausch von CO2, Methan und Wasser zwischen dem Ökosystem und der Atmosphäre zu messen", erklärt er, "und zwar sowohl die Flüsse, die hineingehen, als auch die, die hinausgehen." Die Anlage misst mittels der Abschwächung von Infrarot-und Laserstrahlen zehn Mal in der Sekunde die Geschwindigkeit und Richtung von Luftverwirbelungen sowie die Konzentration von CO2, Methan und Wasserdampf in der Luft. Deshalb müssen auch die Spinnennetze von den Messgeräten entfernt werden. Aus den Messdaten kann dann errechnet werden, wieviel in das System von Pflanze und Boden hineingeht und herauskommt. Die Messergebnisse und die ebenfalls gemessenen Wetterdaten werden dann nach Wien übertragen.

"Der Schilfgürtel des Neusiedlersees ist genau genommen kein Moor, zumindest nicht im klassischen Sinne", räumt Glatzel ein, "er ist es aber im funktionalen Sinne, denn er speichert Kohlenstoff in Form von abgestorbenen Pflanzenteilen und schließt diesen mehr oder weniger dauerhaft weg." In welchem Maße das geschieht, ist eine der Forschungsfragen des Langzeitprojekts. Es geht darum, wie sich Hitze, Trockenheit und Stark-Niederschläge, die in Folge des Klimawandels verstärkt auftreten, auf die Speicherfunktion des Moors bzw. Schilfs auswirken.
"Moore sind die einzigen natürlichen langfristigen Kohlenstoffspeicher, die wir haben", sagt Glatzel. Zwar sind auch Wälder solche Speicher, allerdings nur für 100 oder 200 Jahre. Danach wird ein Baum zumeist gefällt und irgendwann verbrannt, oder er stirbt und wird von verschiedenen Organismen zersetzt. So geht der Kohlenstoff wieder in die Atmosphäre. In einem Moor gibt es nur sehr wenig Sauerstoff, weshalb abgestorbene Pflanzen nicht auf oxischem Weg abgebaut werden und somit auch fast kein CO2 entsteht. In einer sauerstofffreien Umgebung werden Abbauprozesse von anaeroben Mikroorganismen durchgeführt. Dabei entsteht Methan und sehr wenig CO2 - beides sind Treibhausgase, wobei Methan ein wesentlich höheres Treibhausgaspotential hat als Kohlendioxid.

Laut Schätzungen werden 90 Prozent der Moorböden in Österreich falsch genutzt. Sie tragen deshalb zur Freisetzung von Treibhausgasen bei.

Die große Frage für Glatzel ist nun, was genau im Schilfgürtel des Neusiedlersees passiert: "Der Neusiedlersee hat Brackwassereigenschaften, weil der Boden einen hohen Anteil leicht löslicher Salze enthält. Wir haben also viel Sulfat im Wasser des Sees, weshalb eigentlich kein Methan produziert werden sollte, weil die Mikroorganismen lieber Sulfat abarbeiten als die Vorläufersubstanzen von Methan", so der Geoökologe. "Es gibt aber eine frühere Untersuchung, die zeigt, dass doch ein bisschen Methan freigesetzt wird. Das wollen wir nun überprüfen." Es könnte nämlich sein, dass dieses Methan nicht aus dem Abbau organischer Substanz stammt, sondern aus einer geologischen Verwerfung austritt, die durch den See verläuft. Aus welchen Quellen das eventuell austretende Methan stammt, wollen die Forscher nun mit einem speziellen Gerät feststellen.

Forscher mit Gummistiefel

Doch warum ist das alles so wichtig? Der Schilfbereich des Neusiedlersees ist, abgesehen von seiner Bedeutung für die Vogelwelt, noch kaum erforscht, weil er schwer zugänglich ist, wie Glatzel anschaulich beschreibt: "Die Limnologen gehen dorthin, wo sie mit dem Boot hinkommen. Die terrestrischen Ökologen ziehen sich vielleicht Gummistiefel an, aber Wathosen meist nicht." Ins Schilf hineinzusteigen, ist schwierig, außerdem würde man damit die Forschung beeinträchtigen. Der Turm für das LTER-CWN-Projekt wurde deshalb auch im Winter aufgestellt, als Eis den See bedeckte. Bis zu Beginn der ersten Messungen im Frühjahr 2018 sah das seichte Wasser zwischen den Schilfhalmen wieder so schlammig-flockig aus wie immer. Halme und Wurzeln, die absterben, bleiben hier eingeschlossen und werden nur sehr langsam abgebaut. Im Frühjahr und Sommer wächst wieder sehr viel nach.

Stephan Glatzel - Der Geoökologe ist Professor am Institut für Geographie und Regionalforschung der Uni Wien. Am Neusiedlersee betreibt er ökologische Langzeitforschung. - © Universität Wien

Stephan Glatzel

Der Geoökologe ist Professor am Institut für Geographie und Regionalforschung der Uni Wien. Am Neusiedlersee betreibt er ökologische Langzeitforschung.

Der Geoökologe ist Professor am Institut für Geographie und Regionalforschung der Uni Wien. Am Neusiedlersee betreibt er ökologische Langzeitforschung.

Würde der Wasserspiegel des Neusiedlersees nicht durch den Einserkanal auf einem gleichmäßigen Niveau gehalten und das Schilf durch Eisgang oder Schnitt im Zaum gehalten, wäre hier schon längst alles zugewachsen und ein Niedermoor entstanden. Weil Wasser und Nährstoffe ständig im Übermaß vorhanden sind, sind Schilfflächen und Moore die weltweit produktivsten Ökosysteme. Obwohl Moore nur etwa drei Prozent der weltweiten Landfläche ausmachen, speichern sie rund 30 Prozent des erdgebundenen Kohlenstoffs -das ist doppelt so viel wie alle Wälder zusammen. Und sie tun das in erdgeschichtlichem Maßstab dauerhaft, also für Tausende von Jahren. Das funktioniert aber nur so lange, wie das Moor ausreichend feucht ist. Sinkende Niederschlagsmengen, längere Trockenperioden, steigende Temperaturen oder künstliche Entwässerung können dieses Gleichgewicht stören -und das Moor zum großen Kohlenstoff-Emittenten machen.

Paludikultur am "Meer der Wiener"

In der Vergangenheit wurden zahlreiche Moore drainagiert, um sie für landwirtschaftliche Zwecke nutzen zu können. Wenn der Moorboden austrocknet, sinkt er jedoch immer tiefer ein und verdichtet sich. Irgendwann ist er nicht mehr brauchbar für die Landwirtschaft. Geradezu absurd ist es, wenn Moore trockengelegt werden, um darauf Mais für Biodiesel anzubauen. Denn ein ausgetrockneter, umgepflügter Moorboden wird von aeroben Mikroorganismen abgebaut und gibt deshalb Unmengen von Treibhausgasen ab: 50 Tonnen CO2-Äquivalent pro Hektar und Jahr. Wird der drainagierte Moorboden mit Stickstoff gedüngt, entsteht sogar Lachgas, das schlimmste Treibhausgas.

Nach Schätzungen von Glatzel werden 90 Prozent der Moorböden in Österreich falsch genutzt und tragen deshalb drei bis vier Prozent zur Freisetzung von Treibhausgasen bei. "Das ist die wichtigste Quelle nach den fossilen Brennstoffen", sagt der Geoökologe. Ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz wäre es deshalb, wenn die drainagierten Moore renaturiert würden oder zumindest wieder mehr Wasser erhielten. Wenn man nicht auf die Nutzung dieser Fläche verzichten will, könnte man sie zur Paludikultur verwenden, also für den Anbau von Torfmoosen oder Schilf. Am Neusiedlersee hat das Schneiden des Schilfs ja Tradition: Das Material ist gefragt als traditionelle Dachbedeckung, als nachwachsender Brennstoff oder zur Herstellung von Dämmmaterial.

Die Autorin ist freie Journalistin in Wien

Navigator

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung