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Lebensfragen der österreichischen Wirtschaft

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Die gesetzgebende Tätigkeit des österreichischen Nationalrates hat in letzter Zeit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in besonderem Maße auf sich gelenkt. Die derzeitige Form der Begutachtung der Regierungsentwürfe reicht nach einem Ausspruch des Senatspräsidenten Dr. Klang nicht aus, weil auch diese Gutachten bürokratischen Ursprunges sind und die im praktischen Leben stehenden Menschen überhaupt nicht zu Worte kommen, was dem Wesen der Demokratie widerspreche. Das Mindeste, was verlangt werden müsse, sei die Verlautbarung der Entwürfe und die Möglichkeit einer öffentlichen Kritik; andernfalls trete an Stelle der verfassungsmäßigen Demokratie eine Oligarchie der Kammern, Gewerkschaften und Parteisekretariate. Das mangelhafte Interesse, das der Nationalrat wirtschaftlichen Fragen entgegenbringt, trat erst kürzlich in Erscheinung, als in der Budgetdebatte keine einzige der ihrer Behandlung harrenden wirtschaftlichen Fragen einer meritori- schen Behandlung unterzogen wurde. Ja der Nationalrat hat sogar darauf verzichtet, nähere Aufklärungen über das im Budgetvoranschlag der Bundesbahnen ausgewiesene Milliardendefizit zu verlangen, so daß die im Voranschlag für den Güterverkehr eingesetzte Mehreineinnahme von 1160 Millionen Schilling widerspruchslos zum Beschluß erhoben wurde, obwohl die erforderliche gesetzliche Voraussetzung hiezu noch nicht vorhanden ist.

Der österreichische Nationalrat steht jetzt vor der Aufgabe, sich mit einer Reihe offener Fragen der Wirtschaft befassen zu müssen, um die Ordnung im Staatshaushalt wiederherzustellen. Unter diesen Fragenkomplexen nehmen die Überleitung der Bundesbahnen in einen selbständigen Wirtschaftskörper und die Mitwirkung des Nationalrates bei der Regelung der Eisenbahntarife und Postgebühren einen besonderen Rang ein.

Überleitung in einen selbstständigen Wirtschaftskörper

Das Behördenüberleitungsgesetz vom 20. Juli 1945 enthält im § 51 die Bestimmung: „Die Überleitung der österreichischen Bundesbahn in einen selbständigen Wirtschaftskörper bleibt Vorbehalten. Die Bundesbahnen haben, seit sie im Jahre 1945 aus der zwangsweisen Eingliederung in die Deutsche Reichsbahn und der Unterstellung unter den deutschen Reichsverkehrsminister losgelöst wurden, nicht mehr jene Organisationsform erhalten, die sie in den Jahren 1923 bis 1938 besaßen. Durch das Bundesbahngesetz vom 19. Juli 1923 war die Verwaltung und die Betriebsführung der österreichischen Bundesbahnen von der unmittelbaren staatlichen Verwaltung getrennt und einem selbständigen Wirtschaftskörper „Österreichische Bundesbahnen“ übertragen worden. Diese sogenannte „Kommerzialisierung der Bundesbahnen hatte eine weitgehende Besserung der Verhältnisse mit sich gebracht, so daß die Bundesbahnen in einer Reihe von Jahren sogar B e- triebsüberschüsse nachweisen konnten. Im Jahre 1945 griff man jedoch auf das alte System der unmittelbaren staatlichen Verwaltung zurück. Das Behördenüberleitungsgesetz vom 20. Juli 1945 sah wohl in dem erwähnten § 51 die Überleitung in einen selbständigen Wirtschaftskörper vor, die jedoch bisher nicht zustande gekommen ist. Die gegenwärtige Organisation der Bundesbahnen, in welcher die Generaldirektion eine Sektion des Verkehrsministeriums bildet, war als eine provisorische Lösung gedacht. Nach dem Vorbild der Schweizerischen und der Deutschen Bundesbahnen wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, um die Umwandlung der Bundesbahnen in einen selbständigen Wirtschaftskörper durchzuführen und einen aus Vertretern der Regierung und der Wirtschaft zusammengesetzten V erwaltungsrat einzusetzen. Eine engere Verflechtung der Bundesbahnen mit der Gesamtwirtschaft würde allen Maßnahmen der Bahnen sehr weitgehende Rückwirkungen auf die übrige Wirtschaft geben.

In einer Sitzung des Wiener Wirtschaftsbundes machte kürzlich der damalige Finanzminister Dr. Margaretha aufschlußreiche Mitteilungen über die finanzielle Lage der österreichischen Bundesbahnen. Der Abgang in der laufenden Gebarung, der sich in den Jahren 1948 bis 1950 zwischen 270 bis 360 Millionen Schilling bewegte, wird sich im Jahre 1951 voraussichtlich auf rund 1100 Millionen Schilling erhöhen. Insgesamt hat das Bundesministerium für Finanzen in diesem Jahr für Deckung der Abgänge in der laufenden Gebarung rund 2 Milliarden Schilling und für den außerordentlichen Aufwand den gleichen Betrag, zusammen 4 Milliarden Schilling, bezahlt, hievon 1,2 Milliarden aus ERP- Freigaben. Das Bundesministerium für Finanzen hat also aus eigenen Mitteln beziehungsweise aus den zur Verfügung gestellten 1,2 Milliarden ERP-Geldern für die Bundesbahnen die gesamte Instandhaltung und Erneuerung der Anlagen und des Fahrparks bezahlt, außerdem aber noch die gesamte Elektrifizierung und den Wiederaufbau der zerstörten Anlagen sowie den Wohnhausbau für die Bediensteten. Der letzte Bericht des Rechnungshofes bestätigt diese Kritik an der Betriebs- und Wirtschaftsführung der Bundesbahnen als berechtigt und erblickt in der Schaffung eines eigenen Wirtschaftskörpers den einzigen Ausweg aus den gegenwärtigen unhaltbaren Verhältnissen. Als im Widerspruch mit einer wirtschaftlichen Gebarung stehend, bezeichnet der Rechnungshof auch die in vielen Belangen retardierende Einflußnahme der Personalvertretung. Es sei eine viel erörterte und auch vom Rechnungshof wiederholt festgestellte Tatsache, daß die Personalvertretungen der Bundesbahn ihr Zustimmungsrecht in eiinem Ausmaß ausüben, wie es in keinem sonstigen öffentlichen oder privaten Unternehmen zu beobachten ist. Auch in dieser Beziehung wird von der Schaffung eines eigenen Wirtschaftskörpers ein wohltätiger Einfluß erwartet.

Der Nationalrat und die Tarife

Auf Grund de6 Gesetzes vom 13. April 1920 hat die Neufestsetzung der Tarifgrundlagen der Bundesbahnen sowie der Postgebühren unter Mitwirkung des Nationalrates zu erfolgen. Die Erfahrung hat aber gezeigt, daß ein politisches Forum nicht geeignet ist, auf die Tarifpolitik der Bundesbahnen einen entscheidenden Einfluß auszuüben. Tatsächlich haben die Schweizer und in jüngster Zeit auch die Deutschen Bundesbahnen das Parlament von jeglicher Einflußnahme auf die Tarifpolitik a u s g e- schaltet.

Es ist den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zuzuschreiben, wenn die Bundesbahnen sich in ihrer Tarifpolitik Beschränkungen auferlegen mußten und die erforderlichen Tarifmaßnahmen nicht rechtzeitig durchführen konnten. Gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt macht sich dieses Versäumnis besonders fühlbar, da ihmitten der allgemeinen Preissenkungstendenz eine Erhöhung der Tarife nicht in Frage kommt. Man kann auch an der Tatsache nicht vorübergehen, daß die Einnahmen aus dem Personenverkehr, ungeachtet der mit 1. September verfügten Erhöhung der Fahrpreise, in den letzten Monaten Mindereinnahmen ausweisen. Eine weitere Belastung bilden die Tarife der Arbeiterund Schülerwochenkarten, die auch nach der Erhöhung am 1. September nach pinem Ausspruch des Generaldirektors kaum mehr als eine Anerkennungsgebühr darstellen. Der Anteil der vollzahlenden Personen ist von 54% im Jahre 1947 auf 36% im Jahre 1950 zurückgegangen. Von den 64% nicht Vollzahlern entfallen 45% auf Arbeiter- und Schülerwochenkarten. Die gleiche Frage steht übrigens gegenwärtig auch bei den Deutschen Bundesbahnen auf der Tagesordnung: auch von ihnen wird der niedrige Preis der Berufs- und Schülerkarten als empfindliche Belastung angesehen. Obgleich auf diesen Verkehr fast zwei Drittel aller Reisen entfallen, bringt er nur 20% der Personenverkehrseinnahmen.

Das Gesetz vom 13. April 1920 über die Mitwirkung des Nationalrates bezieht sich auch auf die Postgebühren, für deren gesetzliche Regelung noch immer das Postgesetz vom 5. November 1837 die Grundlage bildet. Seit dem Jahre 1946 wurden die Postgebühren wiederholt erhöht, zuletzt mit 1. September 1951 in einem Ausmaß, das den stärksten Widerspruch in der Öffentlichkeit auslöste. Das Briefporto wurde im Ortsverkehr um 66%, im Fernverkehr um 150%, die Postkarten im Ortsverkehr um 133%, im Fernverkehr um 233% erhöht. Die neuen Gebühren betragen im Durchschnitt 387% der Gebühren vom März 1938 beim Ortsverkehr und 557% beim Fernverkehr.

Im Nationalrat erklärte der Verkehrsminister, er müsse zugeben, daß es sich bei der Erhöhung der Postgebühren um eine ernste und einschneidende Maßnahme handle, er könne aber nicht sagen, ob die vorgeschlagene Erhöhung auch wirklich das gewünschte Ergebnis bringen werde. Ein besonderes Interesse kommt aber der Erklärung des Verkehrs- ministers zu, wonach der Brief- und Postkartenverkehr fast zu 90% die Wirtschaft berühre. Der gemeinwirtschaftliche Charakter der öffentlichen Betriebe setzt voraus, daß der finanzielle Erfolg dieser Betriebe in erster Linie durch die Unterstützung der Wirtschaft angestrebt werden muß und nicht durch Tarif- und Gebührenerhöhungen geschädigt werden darf.

Die Auswirkung dieser letzten vom Nationalrat bewilligten Erhöhung der Postgebühren ist in den letzten Weihnachtsfeiertagen besonders deutlich geworden. In Wien würden vom 17. Bis 21. Dezember 8,737.000 Briefsendungen gegenüber 10,531.000 in der gleichen Zeit des Jahres 1950 aufgegeben. Der Rüdegang von 1,794.000 Stück, das ist im Tagesdurchschnitt rund 350.000, ist nach Mitteilung der Generalpostdirektion auf die Erhöhung der Postgebühren zurückzuführen.

Als vorbildlich für eine Neuregelung der Verhältnisse der Postverwaltung könnte das Schweizer Postverkehrsgesetz vom 2. Oktober 1924 gelten; es wurde im Jahre 1948 dahin erweitert, daß die Festsetzung der Gebühren von der Bundesversammlung an den Bundesrat übertragen wurde. Da begründete Aussicht besteht, daß im Zuge der Verwaltungsreformen der österreichischen Bundesbahnen eine Änderung der Tarife in Hinkunft an die vorherige Genehmigung der Bundesregierung gebunden sein wird, darf man sich der Hoffnung hingeben, daß das Gesetz vom 13. April 1920, das sich sowohl auf die Eisenbahntarife wie auf die Postgebühren bezieht, die gleiche Abänderung auęh hinsichtlich der Postgebühren erfahren wird. In diesem Zeitpunkt wäre endlich ein Zustand hergestellt, in welchem dem Bundesministerium für Verkehr der ihm zukommende Einfluß und damit auch die Verantwortung für die Gebarung der Post- und Telegraphenanstalt zufällt.

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