Liebes Tagebuch ...
FOKUSLegendenbildungen in der Antike: „Und man siehet die im Lichte …“
Biografien haben Wirkmacht: In der Antike wurden sie genutzt, um Legendenbildungen voranzutreiben. Doch wie viel Wahres steckt in den Geschichten? Ein philosophischer Rundgang.
Biografien haben Wirkmacht: In der Antike wurden sie genutzt, um Legendenbildungen voranzutreiben. Doch wie viel Wahres steckt in den Geschichten? Ein philosophischer Rundgang.
In der „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht kommen die berühmten Zeilen vor: „Denn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht. / Und man siehet die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Bei genauerem Hinsehen ließe sich aus der Brecht’schen Moritat nicht nur eine Kulturgeschichte kleiner Gaunerbiografien, sondern ein Erzählpanorama großer Geschichtsbeweger herausspinnen. Hier müssen einige Schlaglichter genügen.
Beginnen wir mit einem, der „im Lichte“ stand wie kaum ein anderer: Jesus von Nazaret. Es lässt sich für unseren Kulturkreis keine prägendere Gestalt benennen. Jesu Leben und Sterben wird schon die ersten zwei Jahrhunderte hindurch ins Übergroße projiziert. Der Nazarener erscheint als „Sohn Gottes“ im wörtlichen, wenn auch geheimnisvollen Sinne. Als solcher ist er geboren aus dem Schoß der Jungfrau Maria, und in den vorkonziliaren Dogmatiken lässt sich nachlesen, was dies bedeutete: Marias Hymen blieb unbeschädigt. Jesus vollbrachte Wunder, er stand am dritten Tage von den Toten auf, nachdem er ins Totenreich abgestiegen war.
Kurz gesagt: Erst sogenannte seriöse Historiker mussten die menschliche Biografie des „Menschensohnes“ aufspüren. Bei Tacitus gibt es nur den Hinweis darauf, dass ein Mann namens „Christus“, der eine jüdische Sekte namens „Chrestianer“ anführte, unter Pontius Pilatus hingerichtet wurde. Spätere Historiker kommen zu dem Schluss, dass das meiste, was von Jesus überliefert ist – auch seine Worte, wie sie in den Evangelien stehen –, keiner Überprüfung standhält. Eine Biografie als Ergebnis fiebrigfrommer Einbildungskraft! Aber dadurch geriet Jesus, der Rabbi, in den Rang eines Religionsgründers, der er gewiss nie sein wollte, und wurde damit zu einem die Welt verändernden Kulturstifter.
Großer Brand Roms
Konträr dazu der römische Kaiser Nero. Er war gewiss ein Tyrann, der eine lokale Christenverfolgung mit aller Grausamkeit betrieb, weil er Schuldige für den großen Brand von Rom im Juli 64 benötigte. Von Nero ist überliefert, er habe das Feuer selbst gelegt und von seinem nahegelegenen Palast das Inferno beobachtet, Lieder gesungen und die Leier gezupft (unvergessen die Darstellung Peter Ustinovs als Nero im Film „Quo vadis?“). Dies alles ist eine Erfindung, wenn auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass Söldner mit der Brandlegung beauftragt wurden.
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