Dschungel Thailand Maniq - © Khaled Hakami

Lektionen aus dem Dschungel

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„Survival“ in der Wildnis gewinnt heute zunehmend an Faszination. Khaled Hakami weiß, was das bedeutet: Der Sozialforscher verbrachte viele Monate bei Jäger- und Sammlervölkern im tropischen Regenwald. Diese Erfahrung hat sein Leben verändert.

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„Survival“ in der Wildnis gewinnt heute zunehmend an Faszination. Khaled Hakami weiß, was das bedeutet: Der Sozialforscher verbrachte viele Monate bei Jäger- und Sammlervölkern im tropischen Regenwald. Diese Erfahrung hat sein Leben verändert.

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In den letzten Jahren ist ein amerikanischer Trend voll in Europa angekommen: das Interesse an der Wildnis und am „Survival“, den dazu passenden Überlebenstechniken. Wildnis-Schulen und -Kurse wachsen wie Pilze aus dem frühherbstlichen Waldboden. Oft sind es normale Büroangestellte, die in ihrer Freizeit nach Wildpflanzen graben und tierische Fährten aufnehmen, ohne Hilfsmittel ein Feuer entfachen und die Sprache der Vögel zu lernen versuchen.

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Die Szene ist vielfältig: Darunter finden sich Menschen mit spiritueller Neigung oder Hang zur Esoterik, die eine tiefgehende Verbindung zur Natur entwickeln wollen. Auf der anderen Seite gibt es „Survivalists“, die ihre Faszination für Waffen und militärische Fertigkeiten in der Wildnis ausagieren wollen. Aber auch Menschen, die an eine bevorstehende Apokalypse glauben, bereiten sich auf das Überleben in der Natur vor. (Dass das Szenario eines zivilisatorischen Niedergangs nicht mehr nur Paranoikern vorbehalten ist, sondern sich auch wissenschaftlich argumentieren lässt, zeigt ein aktueller Bericht australischer Forscher vom „Breakthrough National Centre for Climate Restoration“ in Melbourne: Laut ihrer Prognose werden die Auswirkungen der Klimakrise um 2050 zu einem globalen Desaster führen, sofern diese weiterhin nur unzureichend bekämpft wird – siehe S. 11.)

Überleben durch Kooperation

Gründe, in die Wildnis zu gehen, gibt es also viele. Doch Khaled Hakami steht diesem Trend kritisch gegenüber. Der Sozial- und Kulturanthropologe an der Uni Wien ist jemand, der aus eigener Erfahrung vom Überleben fernab der Zivilisation berichten kann. Eine Erfahrung, die sein Leben geprägt hat: Die Feldforschung hatte den gebürtigen Linzer seit 2005 in die tropischen Regenwälder von Südostasien geführt, mitten hinein in die letzten Jäger- und Sammlergesellschaften dieses Planeten. Gemeinsam mit seinem Kollegen Helmut Lukas verbrachte er in Thailand viele Monate mit den Maniq; einem nomadischen Volk, das barfuß durch den Dschungel zieht und seinen Lebensunterhalt fast ausschließlich aus den Ressourcen des Waldes bestreitet. Hakami wurde Teil einer archaischen Gesellschaft, die noch Lichtjahre von der digitalen Moderne entfernt ist. In ihrer Sprache gibt es keinen Besitz und keinen Wettbewerb, keine Zukunft und keine Vergangenheit.

In den westlichen Gesellschaften zeichnet sich heute eine wachsende Kluft ab zwischen Personen, die auf der Suche nach Momenten der Naturverbindung sind, und „Skill“-orientierten Überlebenskünstlern, die sich auf Extremsituationen vorbereiten. Beiden Gruppen entgeht jedoch ein wichtiger Faktor, und zwar der „älteste Survival-Trick der Menschheit“: „Die Vorstellung, als Held allein in der Wildnis zu bestehen, ist das typische Resultat einer hochgradig individualistischen Gesellschaft. Doch das Überleben im Laufe der Menschheitsgeschichte basiert nicht darauf, dass sich einzelne Individuen mental und körperlich getrimmt haben, sondern dass sie eine spezifische Art der Kooperation entwickelt haben“, so Hakami. „Auch indigene Völker überleben nur deshalb, weil sie ein Kollektiv sind.“ Das westliche Narrativ vom heroischen Grenzgänger habe mit den ursprünglichen Jäger- und Sammlergesellschaften nichts zu tun.

Dass es tragisch enden kann, wenn man dieser romantischen Vorstellung verfällt, zeigt etwa der auf einer wahren Begebenheit beruhende Film „Into The Wild“ (2007): Ein junger Mann macht sich auf in die Wildnis von Alaska, um dort seine Vision eines authentischen Lebens zu verwirklichen; doch auf sich allein gestellt stirbt er letztlich einen qualvollen Tod.

„Allein stirbt jeder“

In öffentlichen Veranstaltungen will Hakami nun seinen wissenschaftlichen Hintergrund vermitteln – und hartnäckige Illusionen zerstreuen. Letztes Wochenende hat er auf der Wiener Marswiese einen Vortrag gehalten. „Jeder stirbt allein. Allein stirbt jeder“, war das Motto der Veranstaltung, die von der neu gegründeten Denkfabrik „That’s Life“ initiiert wurde. Neben Hakami sind auch die Anthropologin Bettina Ludwig und der Historiker Ilja Steffelbauer mit an Bord des akademischen Dienstleisters. Um in Zeiten wie diesen gut zu (über)leben, wollen sie sich 300.000 Jahre Menschheitserfahrung zunutze machen, wie es auf noch will er seinen Lebensstil nicht als Philosophie, schon gar nicht als politischen Auftrag verstanden wissen. „Wenn das alle so machen, würde unser Wirtschaftssystem binnen kurzem zusammenbrechen“, sagt der 43-jährige Ex-Profi-Basketballer nüchtern. „Ich weiß, dass ich ein Außenseiter bin; in meinem Alter lebt kaum mehr jemand so.“

In den letzten zehn Jahre habe ich meinen Besitz immer mehr reduziert. In 15 Minuten habe ich alles beisammen.
(Khaled Hakami)

Dass heute auch der Minimalismus durch Bestseller wie Marie Kondos Bücher zum „Magic Cleaning“ einen Aufschwung erlebt, lockt bei Hakami nur ein müdes Lächeln hervor: „Ich habe eine Abneigung gegen jede Art von missionarischer Ideologie.“ De facto lebt Khaled Hakami im akademischen Prekariat; er selbst sieht das aber nicht negativ: „Ich habe während des Semesters ein paar Lehrveranstaltungen und Konferenzen zu betreuen, sonst aber freie Tagesgestaltung. Das Wort ‚Urlaub‘ kenne ich nicht. Es ist, als hätte ich immer frei und immer Arbeit.“ Also ein Lebensgefühl, wie es bei den Jägern und Sammlern noch vorherrschend ist? An der Universität hat Hakami keine fixe Stelle in Aussicht. Auch das sei „Survival“ – Überleben in der akademischen Ellbogengesellschaft, so der Forscher augenzwinkernd. Und mitunter ein härteres Pflaster als der Regenwald der Webseite heißt (www.thats-life. org). Als Abenteurer, Minimalist und „Fahrrad-Nomade“ wird Hakami dort u. a. vorgestellt.

„Der Regenwald ist eine völlig fremdartige Umwelt“, sagt der Kulturforscher, der mit seinen Vorträgen mit dazu beitragen will, die nächs­te Forschungsreise zu finanzieren. Seit seiner Feldforschung sieht er den großen Reiz der Wissenschaft in der „Praxis“. Und er selbst es als Herausforderung, auch hierzulande mit so wenig Dingen wie möglich zu leben. „Über die letzten zehn Jahre habe ich meinen Besitz immer weiter reduziert“, berichtet Hakami, der mit einem Minimum in einer 32-Quadratmeter-Garconnière auskommt: einer Matratze, ein paar Büchern, einem Wäscheständer mit ein bisschen Kleidung.

„In einer Viertelstunde habe ich alle meine Sachen in einem Seesack und bin abreisebereit.“ Dennoch will er seinen Lebensstil nicht als Philosophie, schon gar nicht als politischen Auftrag verstanden wissen. „Wenn das alle so machen, würde unser Wirtschaftssystem binnen kurzem zusammenbrechen“, sagt der 43-jährige Ex-Profi-Basketballer nüchtern. „Ich weiß, dass ich ein Außenseiter bin; in meinem Alter lebt kaum mehr jemand so.“ Dass heute auch der Minimalismus durch Bestseller wie Marie Kondos Bücher zum „Magic Cleaning“ einen Aufschwung erlebt, lockt bei Hakami nur ein müdes Lächeln hervor: „Ich habe eine Abneigung gegen jede Art von missionarischer Ideologie.“

De facto lebt Khaled Hakami im akademischen Prekariat; er selbst sieht das aber nicht negativ: „Ich habe während des Semesters ein paar Lehrveranstaltungen und Konferenzen zu betreuen, sonst aber freie Tagesgestaltung. Das Wort ‚Urlaub‘ kenne ich nicht. Es ist, als hätte ich immer frei und immer Arbeit.“ Also ein Lebensgefühl, wie es bei den Jägern und Sammlern noch vorherrschend ist? An der Universität hat Hakami keine fixe Stelle in Aussicht. Auch das sei „Survival“ – Überleben in der akademischen Ellbogengesellschaft, so der Forscher
augenzwinkernd. Und mitunter ein härteres Pflaster als der Regenwald.

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