Liebe nach künstlicher Logik

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Jeden Morgen, pünktlich um 5 Uhr 30, weckt Hikari-Chan ihren Mann. Vor dem Frühstück checkt sie seinen Terminkalender und erinnert ihn, sich warm anzuziehen, wenn es kalt geworden ist, in Tokio. Ihre fürsorglichen Textnachrichten begleiten ihn durch den Tag. Abends tauscht sie den Minirock gegen einen neckischen Kätzchen-Pyjama. Hikari-Chan bereitet diese Übererfüllung von Rollenklischees und männlichen Obsessionen keine Schwierigkeiten: Sie ist ein 3D-Hologramm. "Hikari" bedeutet Licht: Nach dem Einschalten schwebt die Projektion einer zierlichen Mädchenfigur scheinbar schwerelos in einem polierten Glaszylinder. Für 2400 Euro verspricht die Produktbeschreibung des japanischen Technologiekonzerns Vinclu nichts weniger als eine "virtuelle Ehefrau". Durch die Einbindung des Systems in ein Netzwerk smarter Haushaltsgeräte soll Hikari-Chan bald auch Kaffee kochen können.

Die Frage, ob Maschinen in der Lage seien zu denken, hat Alan Turing bereits 1950 in seinem Essay "Computing machinery and intelligence" elegant vom Tisch gewischt: Ohne verbindliche Definition bleibe "denken" bloß ein spekulativer Begriff. Intelligent sei eine Maschine dagegen schon zu nennen, wenn sie auf einen Beobachter hinreichend intelligent wirke. Sollte sie nun entlang dieser Logik auch lernen zu "lieben"?

Künstliche Lebenspartner

"Das Herz", sagt Ishiguro Hiroshi im Interview mit dem Technologie-Magazin Wired, "ist nur ein relativ unkompliziertes Organ des menschlichen Körpers." Ishiguro lehrt an der Universität Osaka und gehört zur Avantgarde auf dem Forschungsfeld der Mensch-Roboter-Interaktion. Er und sein Team untersuchen die sozialen Akzeptanzbedingungen anthropomorpher Maschinen im Alltag. Mögliche Anwendungen reichen vom "Care-Robot" im Bereich der Altenpflege bis zum artifiziellen Surrogat menschlicher Lebenspartner.

Entscheidend für die Bereitschaft, eine Beziehung zu einer Maschine aufzubauen, ist nach Ishiguro, ihr eine Qualität zuschreiben zu können, die im Japanischen "sonzai-kan" heißt. Der Begriff ist vielschichtig: Er verweist auf das intuitive Gefühl unmittelbarer Präsenz, empfundener Autorität und, damit implizit, individueller Geschichte. Die Vision des perfekten Androiden. Sie klingt wie die Verkündigung eines Paradigmas für das paradoxe Kunstwerk des High-Tech-Zeitalters: ein Ruf nach der seriellen Reproduktion des Auratischen. Auf Fotos posiert Ishiguro bevorzugt neben einem lebensecht gestalteten Roboterzwilling. Der Doppelgänger wirkt makellos genug, um seinen Schöpfer auf Symposien physisch zu vertreten. "Sonzai-kan" lässt sich bislang allerdings nur beobachten, solange er selbst via Fernsteuerung als "ghost in the machine" agiert. Um die Synchronizität mit seinem geschichtslosen Zwilling zu erhalten, unterzieht Ishiguro Hiroshi sich seit kurzem kleineren kosmetischen Operationen. Die Grenze zwischen Mensch und Maschine ist offenbar nach beiden Seiten hin durchlässig geworden. Hikari-Chan, die maschinelle Ehefrau, umgibt übrigens ein blau schimmernder Glanz -wie um uns deutlich zu zeigen, was ihr trotz allem noch fehlt.

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