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Lockerer Umgang mit Fragen der Ethik

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Wird über etwas besonders lange beraten, so steigt die Wahrscheinlichkeit, daß eine gute Lösung gefunden wird. Ist dies auch beim Gentechnikgesetz der Fall?

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Wird über etwas besonders lange beraten, so steigt die Wahrscheinlichkeit, daß eine gute Lösung gefunden wird. Ist dies auch beim Gentechnikgesetz der Fall?

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Zur Vorbereitung des Gentechnikgesetzes fand in Österreich erstmals eine „Parlamentarische Enquetekommission betreffend Technikfolgenabschätzung am Beispiel der Gentechnologie“ im Jahr 1992 statt. In neun meist ganztägigen Sitzungen wurde intensiv diskutiert. Die Empfehlungen der Kommission sind im Oktober 1992 veröffentlicht worden und dokumentieren über weite Strecken einen beachtlichen Konsens zwischen Abgeordneten aller Fraktionen und Experten. Im folgenden seien einige Anmerkungen zu den Unterschieden der Ergebnisse der Enquetekommission (EK) und dem nun vorliegenden Gentechnikgesetzentwurf angeführt, soweit sie grundsätzliche ethische Fragen berühren.

Die Regierungsvorlage für ein Bundesgesetz, mit dem „Arbeiten mit gentechnisch veränderten Organismen, das Freisetzen und Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen und die Anwendung von Genanalyse und Gentherapie am Menschen geregelt werden“ (GTG) beschränkt im Paragraph 3 (5) das ethische Prinzip auf die Bedachtnahme der Wahrung der Menschenwürde. Die EK hingegen hatte ausdrücklich und prinzipiell die ethische Verantwortung darüber hinaus auch auf Tiere, Pflanzen und das Ökosystem ausgedehnt.

Haben sich mehr als 20 Jahre ethische Sensibilisierung dafür, daß es sich auch bei gravierenden Eingriffen in die außermenschliche Natur um eine ethische Frage handelt, noch nicht herumgesprochen? Weiterhin bezeichnet das GTG in den Grundsätzen (§3 (1)), Arbeiten und Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen in die Umwelt dann als zulässig, wenn keine nachteiligen Folgen für die Sicherheit zu erwarten sind (Vorsorgeprinzip).

Die EK hingegen ging von einem hohen Schutzniveau für Leben, Gesundheit und Umwelt aus. Ein entsprechend formuliertes Vorsorgeprinzip müßte daher darauf dringen, daß Gefährdungen und Schäden nicht nur nicht zu erwarten sind („es wird eh nichts passieren“), sondern daß gentechnische Arbeiten nach dem Stand der Wissenschaft wirklich gefahrlos sind. Nur wenn das Vorsorgeprinzip in vielen anderen Paragraphen des GTG in diesem Sinne durchgehalten würde, hätte das Gesetz eine Chance mitzuhelfen, daß bei der Bevölkerung unbegründete irrationale Ängste überwunden werden können.

In der medizinischen Forschung gibt es weltweit verankerte ethische Standards, die im GTG nicht unterboten werden sollten, zumal die Risiken hier vielfach unkalkulierbarer sind als in der Medizinforschung. Dazu gehört nach dem Europadokument „Good clinical practice“ eine adäquate Haftungsversicherung für den Versuchsleiter und zusätzlich eine verschuldensunabhängige Schadensversicherung für den Probanden. Im GTG (§ 76) findet sich mir für den Bereich der somatischen Gentherapie am Menschen ein sehr summarischer Hinweis auf das Arzneimittelgesetz, das seinerseits eine sehr allgemein gehaltene Versicherungsbestimmung kennt. Für sämtliche weiteren gentechnischen Arbeiten ist weder eine Haftpflicht- und schon gar nicht eine Schadensversicherung vorgesehen.

ES HAFTET DER STEUERZAHLER

Wiederum zeigt sich, wie sehr die ethisch begründete Verantwortung für die Umwelt zu wünschen übrig läßt und wie wenig das Verursacherprinzip für eventuelle Umweltschäden emstgenommen wird. Was dann (trotz anderer Möglichkeiten) faktisch bleibt, ist eine Staatshaftung und die betrifft dann unmittelbar jeden Steuerzahler. Die EK hingegen hatte eine Gefährdungshaftung und eine Deckungsvorsorge durch den Verursacher gefordert.

Das GTG gestattet die Herstellung von transgenen Wirbeltieren unter Durchbrechung der Artgrenzen zum Zweck der medizihischen und entwicklungsbiologischen Forschung. Damit unter dem letzthin genannten Zweck aber nicht alles gerechtfertigt wird, bedarf es hier einer Differenziemng. Die EK hat hier differenziertere Vorschläge gemacht.

Die Beteiligung der Öffentlichkeit und die damit gegebene Transpa renz wurde von Entwurf zu Entwurf reduziert - kein schönes Zeichėn für eine Demokratie. Wie soll denn die in Paragraph 63 festgehaltene Rücksicht auf soziale Unverträglichkeit operationalisiert werden, wenn nicht durch ein Optimum an Transparenz und Diskussion nicht nur der Grandsätze, sondern auch am Einzelfall? Die EK hatte sich für eine Beteiligung der Öffentlichkeit mit Parteienstellung bei der Kontrolle gentechnischer Arbeiten mit größerem Risikopotential sowie bei Freisetzungen ausgesprochen.

Im GTG-Entwurf vermißt man jeden Hinweis darauf, daß Überschußdaten bei Genanalyse am Menschen unverzüglich zu vernich ten sind; eine Forderung, die von der EK erhoben wurde. Bei der Zusammensetzung des Ausschusses, der für Genanalyse zuständig ist, sollte auch ein für den Datenschutz kompetenter Jurist beigezogen werden. Bei der Beschlußfassung der Kommissionen (Paragraph 83) scheint eine einfache Mehrheit zu wenig qualifiziert und eine Zweidrittelmehrheit wünschenswert.

Das auch im letzten Entwurf dankenswerterweise festgehaltene Verbot von Eingriffen in die menschliche Keimbahn (§ 64) erfährt in Paragraph 74 eine Einschränkung. Sollen damit Hintertüren geöffnet werden? Gibt es dafür eine klare medizinische Indikation?

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