"Magic Moments" am Berg: Wenn der Gipfel lockt
Beim steinigen Weg auf die Berge sind Sternstunden nie ganz auszuschließen. Betrachtungen eines schreibenden Alpinisten, der soeben einen eisigen Koloss in den USA bezwungen hat.
Beim steinigen Weg auf die Berge sind Sternstunden nie ganz auszuschließen. Betrachtungen eines schreibenden Alpinisten, der soeben einen eisigen Koloss in den USA bezwungen hat.
Der Gipfel glich dem Rand einer schlampig aufgeschnittenen Blechdose: Statt einer markanten Erhebung gab es viele Zacken, die den Vulkankrater umschlossen. Ich stand auf dem Mount Rainier, die Ureinwohner im heutigen US-Bundesstaat Washington nannten ihn Tahoma, Schneeberg: ein eisiger Koloss, 4400 Meter hoch, von Gletschern eingepackt wie andere Berge in den USA nur in Alaska. Die Sommerhitze beim Aufstieg am 21. Juli dieses Jahres zum Ausgangslager ließ mich aber eher an Florida denken. Denn ich war am weltweit heißesten jemals gemessenen Tag unterwegs.
Nebelfetzen trübten meine Gipfelaussicht. Ich war froh, es ganz nach oben geschafft zu haben, aber Hochgefühl überkam mich keines. Während ich mich ins Gipfelbuch eintrug, kreisten meine Gedanken um den Abstieg: Wind und Nebel sollten nicht stärker werden, die Schneebrücken über die Gletscherspalten stabil bleiben…
Eintauchen in den Sonnenaufgang
Am höchsten Punkt zu stehen, heißt nicht zwangsläufig, in Hochstimmung zu sein. Das bewies mir der Mount Rainier erneut. Zufrieden, glücklich bin ich ganz oben oft, aber einen Quasi-Automatismus, dass mich der höchste Punkt in ein magisches Bergerlebnis einhüllt, gibt es nicht. Ausschließen lässt sich solch Gipfelzauber freilich nicht. Am 5. September 1985, der Tag schrieb sich als Sternstunde in mein Tourenbuch ein, stand ich bei Sonnenaufgang allein auf dem Mont Blanc; der Wind hatte Schneetürmchen geformt; ich hockte mich in diese Runde, Menschenzwerg zwischen Eiszwergen, am Horizont tauchte die Sonne auf und ich in einen Zauberberg-Moment ein.
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