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Magnesit — eine österreichische Besonderheit

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Früher einmal hieß es: „Magnesit, ein österreichisches Monopol“. Tatsächlich hatte die österreichisch-ungarische Monarchie bis zum ersten Weltkrieg auf dem Gebiet des Magnesits praktisch ein Monopol. Diese Situation hat sich jedoch schon während d ersten Weltkrieges stark gewandelt und heute kann von einer Monopolstellung des österreichischen Magnesits in der Weltwirtschaft keineswegs mehr gesprochen werden. Trotzdem ist aber der österreichische Magnesit noch eine vielbegehrte Spezialität. Rohmagnesit (MgCOs) besteht, ähnlich wie Kalkstein, zu ungefähr 50 Prozent seines Gewichtes aus Kohlensäure (CO2). Da er diese bereits bei wesentlidi niedrigerer Temperatur abgibt als der Kalkstein — bei etwa 550 Grad gegenüber 900 Grad —, wurde er früher vielfach in gußeisernen Retorten erhitzt und so besonders reine Kohlensäure für die Herstellung von Sodawasser und dergleichen gewonnen. Inzwischen hat man jedoch gelernt, auch die bei der Verbrennung von Koks entstehende Kohlensäure so vollkommen zu reinigen, daß diese am Verwendungsort meist billigere Kohlensäure auch für den l menschlichen Genuß verwendet werden kann. Lediglich zur Gewinnung von Kohlensäure wird deshalb Magnesit heute wohl nirgends mehr gebrannt. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß in Zukunft die derzeit beim Brennen des Magnesits ungenützt in die Luft entweichende Kohlensäure wieuer als Nebenprodukt gewonnen und zu dfn inzwischen wesentlich zahlreicher gewordenen Anwendungsgebieten genützt werden wird.

Das Hauptprodukt beim Brennnen des Rohmagnesits wird jedoch immer die andere Hälfte seines Gewichtes, nämlich die als fester Rückstand verbleibende Magnesia (MgO) sein. Je nachdem, ob man den Magnesit nur bei der für die Zersetzung notwendigen Temperatur von 600 Grad bis 1000 Gral oder bei einer Temperatur von 1600 Grad und darüber brennt, erhält man zwei grundverschiedene Formen von gebranntem Magnesit: den kaustisch gebrannten Magnesit oder den sintergebrannten Magnesit.

Der kaustisch gebrannte Ma-grfesit stellt ein leichtes, lockeres, reinweißes bis gelblichweißes Pulver von hoher Reaktionsfähigkeit dar, das die Fähigkeit hat, mit magnesiahaltigen Lösungen, zum Beispiel Chlormagnesium, rasch zu einer zementartigen* Masse von großer Festigkeit abzubinden. Dieser sogenannte Sorelzement verbindet sich im Gegensatz zum Portlandzement sehr gut und leicht mit Holz oder anderen organischen Stoffen. Darauf beruht *heute das Hauptanwendungsgebiet des kau-stis.cben Magnesits. Dieser ist daher dazu berufen, beim Wiederaufbau Österreichs und überall in Europa als wichtiger Rohstoff der Bauindustrie eine große Rolle zu spielen. Ein besonderer Vorteil des kaustischen Magnesits ist es, daß er sich in Verbindung mit Sägespänen und Holzmehl zu plattenförmigen Körpern verarbeiten läßt, die geeignet sind, an Stelle von Holzbrettern verwendet zu werden. Der kaustische Magnesit ermöglicht also die Umwandlung von nahezu wertlosen Holzabfällen zu hochwertigen Bauelementen, und damit die Einsparung von Schnittholz, das in ganz Mitteleuropa wegen der Überschlägerung der Wälder vor und während des Krieges überaus knapp geworden ist. Das bekannteste, mit kaustischem Magnesit hergestellte Produkt dieser Art sind einerseits die fugenlosen Steinholzböden und Fußbodenplatten und andererseits die zur Herstellung von Zwischenwänden, Decken und als Wärmeschutz verwendeten Holzfaserplatten, von denen die bekanntesten die sogenannten Heraklith-platten sind.

So wichtig nun auch der kaustische Magnesit besonders unter den heutigen Verhältnissen ist, so ist es doch der sintergebrannte Magnesit, der den österreichischen Magnesit berühmt gemacht hat und der die eigentliche österreichische Spezialität darstellt. Dieser totgebrannte Sinterniagnesit, der ein schweres schokoladebraunes, körniges Produkt ist, zeichnet sich im Gegensatz zum kaustischen Magnesit durch eine auch bei sehr hohen Temperaturen vorhandene große Reaktionsträgheit gegen sehr viele Stoffe aus und wird dementsprechend vor allem als feuerfestes Material in der Eisen-, Metall- und Zementindustrie verwendet. Ja, man kann ohne Übertreibung sagen, daß die Stahlindustrie der Welt etwa von 1885 an ihren Stempel ganz wesentlich durch die Verwendung des österreichischen Magnesits erhalten hat. Nur mit Hjlfe von Sintermagniesit und den daraus hergestellten Magnesitziegeln ist nämlich der Aufbau von basischen Siemens-Martin-Öfen möglich und nur mit Hilfe der basischen Siemens-Martin-Öfen gelingt es, aus den phosphorhaltigen Eisenerzen, welche die Grundlage der heutigen Eisenindustrie bilden, einen hochwertigen Stahl herzustellen: Ohne den basischen Siemens-Martin-Prozeß hätten die größten Eisenerzlagerstätten der Welt, wie zum Beispiel jene von Nordschweden, de Minette-Gebietes von Lothringen und auch die besonders großen Lager am Lake Superior in USA. und viele andere, niemals ihre heutige überragende Bedeutung für die Welteisenerzeugung erhalten können.

Es war im Jahre 1881 als Carl Spaeter bei der Suche nach Manganerzen die große Lagerstätte von kristallinem Magnesit am Sattlerkogel im Veitschgraben in Obersteiermark entdeckte und, was ebenso wichtig war, auf Grund seiner hüttenmännischen Kenntnisse seine Bedeutung für den wenig Jahre vorher erfundenen basischen Stahlprozeß'erkannte. Dieser Prozeß besteht im wesentlichen darin, daß man den für den Stahl so überaus schädlichen Phosphorgehah des Roheisens mit Kalk in -che Schlacke führt. Die Anwendung von Kalk in der Schlacke ist aber nur möglich, wer man den Stahlofen statt wie bisher mit saurem feuerfestem Material (Schamotte oder Silika) mit basischem Material, nämlich Dolomit und Magnesit, auskleidet. Der Magnesit i*t dabei das wesentlich wertvollere und edlere Produkt und hat gegenüber dem Dolomit neben seiner überragenden Feuerfestigkeit und Schlackenbeständigkeit noch den ungeheuren Vorteil gegenüber der Einwirkung von Luftfeuchtigkeit beständig und daher unbeschränkt lagerfähig zu sein. Es ist daher verständlich, daß der von Carl Spaeter auf den Markt gebrachte Magnesit bei de Eisenhüttenleuten der ganzen Welt großes Interesse fand und daß sich in dem stillen Veitschgraben rasch eine sehr bedeutende Magnesitindustrie entwickelte. Trotz ständig vorgenommener Betriebserweiterung konnte Veitsch den aus allen europäischen Ländern und bald auch aus Amerika einlaufenden Aufträgen nicht mehr nachkommen und es mußten neue Betriebsstätten auf inzwischen in den Alpenländern, aber auch in den Karpaten aufgefundenen Magnesitlagerstätten in Betrieb genommen werden. Als solche sind vor allem zu nennen: Eichberg am Semrwering, Breitenau und Trieben in Steiermark, Radenthein in Kärnten und Mayrhofen im Zillertal. Die wichtigsten slowakischen Magnesitwerke liegen in Jolsva, Hnusta, Lovinobana und Kaschau. Eine Spezialität aller dieser auf dem Gebiete der einstigen österreichischungarischen Monarchie gelegenen Magnesite ist es, daß sie einen beträchtlichen, aufs feinste im Magnesit verteilten Eisengehalt aufweisen, sonst aber.nur wenig Verunreinigungen enthalten. Dieser Eisengehalt macht den Magnesit besonders geeignet für die Verarbeitung zu feuerfesten Produkten.

Die österreichischen Magnesitprodukte gewannen infolge ihrer vorzüglichen Qualität bald Weltruf und deckten bis zum ersten Weltkrieg praktisch allein den immer zu-niimenden Bedarf der Stahlindustrie der Welt an diesem edlen und nahezu unentbehrlichen feuerfesten Erzeugnis. Infolge der kriegsbedingten Absperrungsmaßnahmen mußten die außerhalb Mitteleuropas gelegenen Länder dann allerdings trachten, andere Bezugsquellen für Magnesit oder geeignete Ersatzprodukte zu finden. Tatsächlich wurden in den USA, in der Mandschurei, im Ural und in anderen Ländern bedeutende Magnesitlagerstätten gefunden und dort eine Magnesitindustrie ins Leben gerufen, die nach dem ersten Weltkrieg eine sehr fühlbare Konkurrenz für den österreichischen Magnesit wurde. Trotzdem blieben der österreichische Magnesit und besonders die daraus mit Hilfe jahrzehntelang geschulter Kräfte hergestellten Magnesitziegel bezüglich ihrer Qualität unerreicht, so daß diese weiterhin nicht nur in Europa, sondern auch auf so entlegenen Werken, wie es zum Beispiel die Stahlwerke Indiens oder die Kupferwerke Chiles und Rhodesiens sind, in großem Umfang verwendet wurden.

Es ist klar, daß die wirtschaftlichen Erschütterungen, die der zweite Weltkrieg mit sich brachte, eine so exportorientierte Industrie, wie es die österreichische Magnesitindustrie ist, wieder aufs schwerste treffen mußte und daß die übrige Welt neuerlich Mittel und Wege suchen mußte, um auch trotz des Fehlens des österreichischen Magnesits ihre Industrie in Gang zu halten. Dieses Mal ist es besonders der aus dem Meerwasser in großen chemischen Fabriken künstlich hergestellte Magnesit, welcher der Stahlindustrie der Vereinigten Staaten über die Schwierigkeiten hinweghalf, die durch das Fehlen des österreichischen Magnesits zu entstehen drohten. Es läßt sich heute noch nicht mit Sicherheit sagen, welche Rolle der künstlich hergestellte Magnesit in Zukunft auf dem Weltmarkt spielen wird, doch scheinen nach den bisher vorliegenden Berichten die daraus hergestellten Produkte nach ihrer Qualität nicht an die österreichischen Magnesiterzeugnisse heranzureichen. So erklärt es sich, daß auch jetzt, so wie nach dem ersten Weltkrieg, sich überall wieder großes Interesse für unseren österreichischen Magnesit zeigt und daß der Export unserer schönen schokoladebraunen Magnesitziegel sowohl in der seit Jahrzehnten bewährten Standard-Qualität als auch in neuentwickelten, verbesserten Varianten schon wieder in beträchtlichem Umfange aufgenommen werden konnoe.

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