Manifest des kulturellen Gedächtnisses

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1365 ff.

Bereits in der Gründungsurkunde der Universität Wien von 1365 ist die Rede von einem Campus im Zentrum der Stadt. So gesehen wurde mit dem Campus eine Vision des Stifters der Universität Wien, Rudolph IV., Wirklichkeit.

Brigitta Schmidt-Lauber

geb. 1965, Universitätsprofessorin und Institutsvorständin am Institut für Europäische Ethnologie in Wien seit 2009.

Der Universitätscampus ist kein abgeschlossenes Feld am Rande der Stadt, sondern ein zur Stadt hin offener akademischer Raum. Das macht seine Besonderheit aus, sagt die Ethnologin Brigitta Schmidt-Lauber.

HUBERT CHRISTIAN EHALT: Welche Rolle spielt - grosso modo gesprochen -der Universitätscampus AAKH für die Universität Wien, der im Herbst 1998 seinen Betrieb aufgenommen hat?

Brigitte Schmidt-Lauber: Mit dem Universitätscampus wurde gewissermaßen eine Vision Rudolph IV., des Stifters der Universität Wien, realisiert, denn bereits in der Gründungsurkunde 1365 ist vom Plan eines Universitätscampus im Zentrum von Wien die Rede. Das zeigt sich in der Bedeutung, die das Areal für die Universität, aber auch für die Stadt Wien heute in vielfältiger Weise hat. Zum einen hat die Schenkung des Gebäudekomplexes des Alten AKH den notorischen Platzmangel im Hauptgebäude der Universität Wien ein wenig gelindert: Zahlreiche Universitätseinrichtungen konnten hier untergebracht werden, darunter 16 Institute geisteswissenschaftlicher Disziplinen, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ästhetisch renovierten Altbauten ein attraktives, von interdisziplinärer Verständigung geprägtes Arbeitsumfeld gefunden haben. Zum andern ist es gelungen, mit dem Campus einen zentral gelegenen Ort der Begegnung zwischen Wissenschaft und (städtischer) Öffentlichkeit zu schaffen, der darüber hinaus auch eine nicht zu unterschätzende gesellschaftspolitische Rolle spielt: Mit seiner Fülle an alten und neu geschaffenen Denkmalen und Erinnerungsorten ist er ein Manifest des kulturellen Gedächtnisses der Stadt -ich erwähne nur die Transformation der vordem als Traforaum missnutzten ehemaligen Spitals-Synagoge in das Denkmal "Marpe Lanefesh".

EHALT: Wie ist die Erfahrung mit der Durchmischung universitärer und städtischer Öffentlichkeit?

Schmidt-Lauber: Das Alte AKH im 9. Wiener Gemeindebezirk, wie das Campus-Areal im Alltagssprachgebrauch der Stadt auch genannt wird, zieht mittlerweile ganz unterschiedliche Besucherinnen und Besucher an: Eine große Zahl an Lokalen und unterschiedliche Festivitäten -wie das jährlich stattfindende Weihnachtsdorf oder Public-Viewing-Bühnen für Fußballfans -sind gern genutzte Ziele, ebenso bieten die Grünflächen in den verkehrsfreien Innenhöfen wie auch der Spielplatz in Hof 1 beliebte Aufenthaltsplätze für Familien mit kleineren Kindern oder für Pausierende aus der Umgebung. Neben diversen Versorgungseinrichtungen, die sich auf dem Gelände finden, laden die Durchgänge heute auch zur Abkürzung städtischer Wege ein: Während früher die langen Gebäudefronten des ehemaligen Allgemeinen Krankenhauses das Areal wie eine Festung von der Umgebung abgeschlossen haben, durchqueren heute Fahrradfahrer und Fußgänger die Höfe -Zeichen dafür, wie die Adaption des AAKH die Topographie des öffentlichen Raumes und damit auch das Alltagsleben im 9. Bezirk und in den benachbarten Bezirken gewandelt hat.

EHALT: Was sind die Besonderheiten des Universitätscampus, der hier entstanden ist?

Schmidt-Lauber: Der Campus Altes AKH ist tatsächlich ein besonderes Beispiel für einen Universitätscampus. Er ist -wie das vielfach in den USA der Fall ist -kein abgeschlossenes akademisches Feld außerhalb der Stadt, in dem sich universitäres Leben konzentriert und absondert, sondern mit ihm ist auf gemeinsamen Wunsch von Stadt, Bürgerschaft und Universität ein in die Stadt geöffneter akademischer Raum entstanden. Er ermöglicht so eine in der Stadtplanung mittlerweile hoch geschätzte Multifunktionalität und Durchmischung und realisiert die Idee der Stadt der kurzen Wege. Insofern spielt der Campus auch stadtpolitisch eine wichtige Rolle und könnte geradezu Vorbildfunktion haben, zumal die Campus-Idee aktuell vielfach - auch jenseits des akademischen Feldes -eine Konjunktur erfährt.

EHALT: Welche Fächer sind in der interdisziplinären Zusammenarbeit für die Europäische Ethnologie am wichtigsten?

Schmidt-Lauber: Als Schnittstellenfach im besten Sinne des Wortes bietet die Europäische Ethnologie, die eine historisch argumentierende empirische Alltagskulturwissenschaft ist, Anschluss- und Verständigungsmöglichkeiten zu sehr vielen Disziplinen. Ein besonderes Naheverhältnis besteht zweifellos zur Kultur-und Sozialanthropologie, wie die (besonders außereuropäische Räume thematisierende) Ethnologie in Österreich genannt wird, aber ebenso stark zur Geschichtswissenschaft und Soziologie, zu denen es thematische wie methodisch-theoretische Verbindungen gibt, und aus fachgeschichtlicher Perspektive besonders zur Germanistik. Aber auch Kunstgeschichte, Politik-und Bildungswissenschaft bis hin zu zahlreichen naturwissenschaftlichen Disziplinen sind je nach Thema wichtige Kooperationsfächer -sichtbar etwa in den florierenden "Science and Technology Studies".

Man sieht, wie die Adaption des AAKH die Topographie des öffentlichen Raumes und damit auch das Alltagsleben im 9. Bezirk und in den benachbarten Bezirken gewandelt hat.

Die Serie "Enzyklopädie des Wiener Wissens" erscheint in Kooperation mit den Wiener Vorlesungen. www.wienervorlesungen.at

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