Meditation vermessen - Der tibetisch-buddhistische Mönch und Bestseller-Autor Matthieu Ricard wird für eine EEG-Messung vorbereitet. - © Foto: AFP Photo / Jeff Miller/ University Of Wisconsin-Madison

Meditation: Direkt in den Geist blicken

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Philosoph Evan Thompson formuliert wertvolle Kritik an typisch westlicher Sicht auf den Buddhismus. Doch mit vielen seiner Postulate gerät er genau in dieselbe Falle. Ein Gastkommentar.

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Philosoph Evan Thompson formuliert wertvolle Kritik an typisch westlicher Sicht auf den Buddhismus. Doch mit vielen seiner Postulate gerät er genau in dieselbe Falle. Ein Gastkommentar.

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Ich bin mir bewusst, dass ich mich mit diesen Entgegnungen auf ein schwieriges Gebiet begebe. Das beginnt schon damit, dass wir zunächst nicht einmal von dem Buddhismus sprechen können, weil dieser so nicht existiert und dieser Begriff eine Vereinfachung des Westens darstellt. Die Lehre des Buddha hat in den letzten zweieinhalb Jahrtausenden eine differenzierte Entwicklung erfahren, und diese setzt sich auch heute noch fort. Unter den drei Hauptrichtungen Theravada, Mahayana und Vajrayana ist der tibetische Buddhismus (Vajrayana) die jüngste Tradition und wohl auch jene, mit der Evan Thompson bei den „Mind & Life“-Dialogen zum Austausch von Buddhismus und Wissenschaft hauptsächlich in Berührung gekommen ist.

Seit mehr als einem Jahrhundert spielt bei der weiteren Entfaltung des „Buddhismus“ auch der Westen eine stärker werdende Rolle. Hier formuliert Thompson durchaus wichtige Kritikpunkte. Allein der Hype mit der „Achtsamkeit“ findet zu Recht eine kritische Anmerkung. Es gehört auch zum Wesen des „Buddhismus“, dass er sich quasi wie ein Werkzeugkasten darstellt, aus dem diverse „Tools“ entnommen werden können, um vor allem moderne Krankheiten des Geistes unserer Zeit zu heilen. Das mag ja gut und hilfreich sein, birgt jedoch eine enorme Gefahr: Diese liegt darin, dass viele Menschen übersehen, dass einzelne Methoden, isoliert angewandt, niemals die Wirkung erzielen können, für die sie im Gesamtkonzept angelegt sind. Das führt dann dazu, dass Fragmente der Lehre von manchen als „der Buddhismus“ missverstanden werden.

Achtsamkeit: fragmentiertes Werkzeug

Ein wesentlicher Mangel der säkularen Achtsamkeitsbewegung besteht vor allem auch im fehlenden ethischen Kontext zur Gesamtheit der Lehre des Buddha. Hier ist Kritik durchaus angebracht und wichtig. Damit will ich nicht sagen, dass solche, nur fragmentarischen Konzepte a priori schlecht wären; nein, im Gegenteil, wenn sie für Menschen heilsam sind, ist das gut. Es darf aber keinesfalls dabei außer Acht gelassen werden, dass es sich eben nur um ein Fragment handelt, das damit außerhalb der buddhistischen Lehre steht.

Insofern kann ich die kritische Sicht von Thompson durchaus als fundiert verstehen; sonst beruht dieses Fundament aber auf falschen Sichtweisen bzw. es übersieht wesentliche Fakten: erstens die Illusion eines Selbst. Der Kern der buddhistischen Lehre besteht im Postulat von „Anatta“ (oft übersetzt als „Nicht-Selbst“) im Gegensatz zum „Atman“ des Hinduismus. Seine Entsprechung findet das in der Lehre des „Entstehens in Abhängigkeit“ („Paticcasamuppada“) – vereinfacht gesagt, dass eben nichts von sich allein, sondern nur in gegenseitiger Bedingtheit besteht. Auch der Mensch besitzt weder physisch noch psychisch einen fixen und unveränderlichen Kern. Sein „Ich“ ist, wieder sehr vereinfacht, nur eine Vorstellung, eine Illusion. Thompson spricht davon, dass das Selbst aus seiner Sicht keine Illusion ist, beschreibt es wissenschaftlich aber trotzdem so: als „dynamischen Prozess“. Er spricht dabei allerdings von einem „stabilen“ Prozess, was per se einen Widerspruch darstellt, da Prozesse immer dynamisch sind. Die Behauptung, der Buddhismus würde diese Dynamik bestreiten, ist falsch. Im Gegenteil, genau das ist die buddhistische Sicht. Bestritten aber wird ein starres, unveränderliches, stabiles und aus sich selbst heraus, völlig unabhängig existierendes „Selbst“ oder „Ich“.

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