Meine Lunge und ich

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Transplantationsmedizin einmal anders. Über den alltäglichen Umgang mit fremden Organen.

Der Doktor fand es schade, dass der Empfänger die Spenderlunge nicht so gut zu vertragen schien. Es sei doch eine "sportliche Lunge" von einer jungen Frau. Doch dann erholte sich der Patient so weit, dass er anfing, Sport zu treiben - etwas, wozu er sich früher nicht hatte aufraffen können. Woher der Gesinnungswandel? "Ich dachte, die Lunge mag das vielleicht."

Seltsame Geschichte?

Die Episode hört sich ungewöhnlich an - und ist dennoch der realen Welt entnommen. Ulrike Felt hat sie im Rahmen der Konferenz Engineering European Bodies, die letzte Woche in Wien stattfand, erzählt. Die Wissenschaftsforscherin wollte damit darauf hinweisen, dass vielfältige Beziehungen zwischen Organspender und-empfänger existieren - und dass Beziehungen nicht so unmittelbar gedacht werden müssen, wie es die Vortragenden Karin Amelang und Costas Constantinou dargestellt haben.

Den beiden Forschern zufolge ist das Beziehungsmanagement von Deutschen und Zyprioten nahezu gegensätzlich. Laut Amelang bemühen sich in Deutschland die Empfänger, die Beziehung zum Spender zu negieren. "Er starb ja nicht wegen mir", wurde die Haltung einer Patientin zitiert. In Zypern hingegen entwickelt der Organempfänger eine enge Verbundenheit mit seinem Spender, wie Constantinou ausführte. Dabei fühlt sich der Patient umso weniger in der Schuld des Spenders, je besser sich die zwei Menschen kennen. "Von einer Mutter wird erwartet, dass sie Knochenmark spendet. Tut sie das nicht, ist sie keine Mutter", resümierte Constantinou.

Zwei Lebensformen?

Die beiden Sozialwissenschafter begründeten den Unterschied nicht mit nationalen Stereotypen - deutsche Kühlheit versus zypriotische Leidenschaft -, sondern führten sie auf die unterschiedliche Gesetzgebung zurück: In Deutschland sind die Spender anonym; in Zypern hingegen nicht. Das klingt irgendwie plausibel, jedoch zeigten sich nicht alle im Publikum überzeugt. Zu holzschnittartig schien manchen der Staatenvergleich. Einer bemängelte etwa die ungleiche Herangehensweise: Man könne nicht für Zypern noch lebende Knochenmarkspender heranziehen und diese mit tödlich verunfallten deutschen Spendern vergleichen.

Constantinou erwähnte auch, wie einige griechische Zyrioten es ablehnen, Knochenmark von Türken oder Homosexuellen anzunehmen. Natürlich zeigt sich hier ein latenter Rassismus und Schwulenhass. In anderer Hinsicht ist die Art, wie hier Beziehungen konstruiert werden, dem Beispiel der "sportlichen Lunge" verwandt: Menschen schreiben biologischem Material menschliche Charakteristika zu. Im Falle des "türkischen Knochenmarks" unter negativem Vorzeichen: Hier wird vom minderwertigen Menschen auf minderwertiges Spendermaterial (mit eventuell infiziösen Eigenschaften) geschlossen.

Diese emotionale, nicht rein mechanistische Sichtweise, hält die Diskussionsleiterin Silke Schicktanz für weit verbreitet. Im Furche-Gespräch verweist die Medizinethikerin auf eine vielfach akzeptierte und sehr subjektive Hierarchie der Köperteile. An der Spitze ist dabei stets das Gehirn - das menschlichste aller Organe.Dann folgen die Genitalien, deren Sonderstellung sich auch daran zeigt, dass sie nie als ganzes verpflanzt werden. Eng verknüpft mit der Identität eines Menschen werden auch die Augen gedacht; sie gelten bekanntlich als Spiegel der Seele. "Wenn es darum geht, welches Organ nicht gespendet werden soll, kreuzen viele deutsche Spender die Augen an", erzählt Schicktanz. Das Herz hingegen hat - anders wie etwa noch zur Zeit der Romantik - heute keinen allzu speziellen Status mehr.

Die vielen Leben der Hüfte

Auch Klaus Hoeyer von der Universität Copenhagen faszinieren Zuschreibungen des Menschen auf das (Bio-)Material und umgekehrt. Konkret ging er den "vielen Leben der Hüfte" nach. Menschen, die eine Hüftprothese erhalten, können ihr Knochenmaterial (nicht: Knochenmark) spenden. Doch wer wird tatsächlich gefragt? "Jemanden mit vielen Tattoos bitte ich nicht um eine Knochenspende", meinte ein Arzt zum Sozialwissenschafter.

Gefährliche Spender identifiziert auch ein in Übereinstimmung mit einer EU-Direktive entwickelter Fragebogen: Ist der Spender homosexuell, so wird das begehrte Biomaterial nicht verwendet. Begründet wird dies mit einem (angeblich) erhöhten HIV-Ansteckungsrisiko. Doch was haben Knochen mit Aids zu tun? Hoeyer erklärt: "In den späten 1990er wurden in den USA vier Menschen mit Spendermaterial infiziert, weil diese Knochen nicht sauber gewaschen wurden."

Bis der Tod euch scheidet

Bis zum Ende verfolgte der Sozialwissenschafter auch den Lebensweg der Prothese. Seit einigen Jahren sollen die edlen Metallimplantate wiederverwertet werden. Doch in Dänemark verweigern sich drei von 41 Krematorien der Regelung. Die artifizielle Hüfte gehöre genauso zum Menschen wie die goldenen Zähne.

Zugegeben ein gesellschafliches Mini-Drama. Aber es zeigt beispielhaft wie ökonomische Überlegungen, legale Rahmenbedingungen und menschliche Eigenheiten ineinander greifen. Ja, auch die kleinen weltlichen Konflikte können spannend sein.

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