Migrantisch, innovativ und SELBSTSTÄNDIG

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Migranten werden nicht nur in Österreich überproportional häufig zu Gründern. So manche aus der Jobnot entwickelte Idee öffnet die Tür für ein eigenes Unternehmen.

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Migranten werden nicht nur in Österreich überproportional häufig zu Gründern. So manche aus der Jobnot entwickelte Idee öffnet die Tür für ein eigenes Unternehmen.

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Gemahlene Melonenkerne, Kinkélibaund Uzizablätter aus Westafrika, in der Obstund Gemüseabteilung Wasserspinat, Bittermelone, Flaschenkürbis und Stinkfrucht, vietnamesische Austernsauce über mexikanischen Tortilla-Chips. Mehr als 8000 Produkte füllen im Wiener Ethnosupermarkt "Prosi" einen ganzen Häuserblock aus. Prosi-Chef Augustin "Prince" Pallikunnel, der Sohn eines südindischen Kautschuk-Bauern, ist heute ein österreichischer Vorzeigeunternehmer. Und er ist nicht allein: Mehr als jeder dritte Unternehmer in Österreich kommt laut Wirtschaftskammer aus dem Ausland.

Die hohen Selbstständigkeitsraten von Migranten in Österreich sind kein Einzelfall. Rund um die Welt gründen Einwanderer durchschnittlich häufiger Unternehmen als Einheimische. Nicht zuletzt etwa die Internet-Giganten Google, eBay und Yahoo!, deren Gründer aus Frankreich (eBay) und Taiwan (Yahoo!) auswanderten oder vor dem virulenten Antisemitismus in der Sowjetunion flohen (Google). Experten verweisen dabei auf die Bedeutung der Selektion: Risikofreudigkeit ist nicht nur bei der Migrationsentscheidung, sondern auch bei der Unternehmensgründung ein entscheidender Faktor.

Pluspunkt Auslandserfahrung

Dass Migration mehr als nur ein Nullsummenspiel sein kann, zeigen auch Nikolaus Franke und Peter Vandor von der Wirtschaftsuniversität Wien. Interkulturelle Erfahrungen können die Fähigkeit der Identifikation vielversprechender Geschäftsideen fördern, denken die Gründerexperten. So wurden etwa in einer von ihnen durchgeführten Studie die Geschäftsideen jener Studierenden, die ein Semester im Ausland verbracht hatten, deutlich besser bewertet. Unternehmer mit Migrationshintergrund kopieren und adaptieren häufig erfolgreiche Businesskonzepte aus anderen Ländern. So geschehen auch beim wohl berühmtesten österreichischen Unternehmer: Dietrich Mateschitz lernte 1980 bei einer Thailand-Reise den bei Lastwagenfahrern beliebten Energy-Drink Krating Daeng kennen. Dem österreichischem Geschmack angepasst avancierte das nunmehr als Red Bull verkaufte Gebräu schnell zum Verkaufs-und Exportschlager.

Pallikunnel kam ursprünglich zum Studieren nach Wien. "Damals war kein indisches Geschäft hier in dem Grätzel", erzählt der Unternehmer. "Wir haben mit einem ganz kleinen Lebensmittelgeschäft angefangen." Zunächst konnte Pallikunnel vor allem auf den Kundenstock der indischen Community aufbauen, bald schon lockte das exotische Warenangebot aber auch österreichische Kunden an. "Wenn ich jetzt in die U-Bahn steige, sagen sie 'Hallo Herr Prosi' zu mir", lacht der indische Unternehmer, der seit mittlerweile 16 Jahren ein beliebtes Straßenfest im Wiener Bezirk Neubau organisiert.

Auch die gebürtige Ukrainerin Oksana Stavrou kam im Jahr 2000 als Studentin ans Wiener Juridicum. Mit ihrem griechischen Ehemann einigte sie sich später darauf, sich in der österreichischen Hauptstadt "auf neutralem Territorium" niederzulassen. Er war es dann auch, der sie durch Zufall auf ihre erfolgreiche Geschäftsidee brachte.

Als ihr Mann eines Tages durchnässt von der Arbeit nach Hause kam, bat er sie, ihm einen Regenschutz fürs Radfahren zu besorgen. "Ich habe mir ganz genau vorgestellt, wie er auszusehen hatte", erinnert sich Stavrou. Doch sie fand kein passendes Modell. Und da Stavrou gerade in Karenz war und für ihr Masterstudium einen Businessplan als Hausaufgabe zu analysieren hatte, beschloss sie kurzerhand, selbst aktiv zu werden. "Wenn ich die Idee jetzt nicht ausprobiere, dann schaffe ich das nie mehr", dachte sich Stavrou. So gründete sie 2011 die ORAIN GmbH und entwickelte das innovative Design für den Raincombi Overall, einen Ganzkörper-Regenschutz für Radfahrer. Juristische Ausbildung und Erfahrung in einem Versicherungsunternehmen waren ihr bei den Formalitäten der Unternehmensgründung eine große Hilfe.

Problematik Schubladendenken

"Ich kann mich nicht an irgendwelche gröbere Hindernisse erinnern", sagt Stavrou heute. Auch Diskriminierung hat die mittlerweile erfolgreiche Unternehmerin in Österreich "so gut wie keine gespürt" und sich hier "aufgrund meiner Kenntnisse und Erfahrungen immer respektiert gefühlt".

So geht es allerdings nicht allen Unternehmern mit Migrationshintergrund. "Du wirst wegen deiner Herkunft und deiner Hautfarbe in eine Schublade gesteckt", meint Ali Mahlodji, Gründer der beliebten Internetplattform "Watchado", österreichischer Integrationsbotschafter und EU-Jugendbotschafter. Tatsächlich ist Diskriminierung am Arbeitsmarkt vielen Experten zufolge der Hauptgrund für die hohen Selbstständigkeitsraten von Migranten.

Die inspirierende Geschichte von Ali Mahlodji zieht Zuhörer auf amerikanischen TED-Talks und in österreichischen sogenannten "Brennpunktschulen" in den Bann. Sie beginnt in Teheran, das Mahlodjis Eltern nach dem Protest gegen die Khomeini-Diktatur Hals über Kopf verlassen müssen, und im Flüchtlingslager Traiskirchen, als die Familie beschließt, dauerhaft in Österreich zu bleiben.

"Die geilste Entscheidung, die meine Eltern je getroffen haben", sagt Mahlodji, der damals erst zwei Jahre alt war. Aber es ist auch eine Geschichte voller Rückschläge und Bruchlandungen. Mahlodji, der seit der Scheidung seiner Eltern stottert, bricht aus Angst vor der mündlichen Abschlussprüfung mit 17 die Schule ab. Er findet schließlich eine Anstellung in einer Apotheke: Zuerst putzt er die Böden, später mischt er von früh bis spät Pulvergemische im Labor. Doch damit gibt sich Mahlodji nicht zufrieden. Nach einem Jahr wird er Produktionsleiter, berufsbegleitend besucht er jetzt eine HTL-Abendschule von 17.45 Uhr bis 22.00 Uhr. "Wenn du etwas immer und immer wieder versuchst, hängst du irgendwann die Leute ab, die aufgeben", sagt Mahlodji.

Der plötzliche Tod seines Vaters verändert das Leben des jungen Überfliegers von Grund auf. "Ich bin im schwarzen Anzug im Spital gestanden, draußen das fette Firmenauto, und hab mir nur gedacht: ich hab mich nicht einmal von ihm verabschieden können", erinnert er sich. Mahlodji will "etwas Sinnvolles machen" und wird Lehrer.

Niedriger Status trotz Erfolgs

Die Gespräche mit seinen Schülern über ihre Zukunftspläne rufen ihm eine Idee aus Kindheitstagen in Erinnerung - Jugendliche bei der Berufsorientierung durch kostenlos zugängliche Interviews mit Berufstätigen in verschiedenen Feldern zu unterstützen. "Ein Freundebuch für Erwachsene" nennt es Mahlodji.

Im Jänner 2012 geht die Karriereplattform "Whatchado" - amerikanischer Slang für "was machst du?" - online. Medien und Unternehmen sind begeistert. "In Österreich gibt es ein paar Wahnsinnige, die wollen die Welt verändern", erinnert sich Mahlodji an die Reaktion der Öffentlichkeit. Heute erzählen über 5000 Menschen in den Videos auf Whatchado über ihr Leben, Werdegang und Beruf - von der Busfahrerin bis zum Bundespräsidenten.

Für den österreichisch-iranischen Doppelstaatsbürger sind die nach Österreich gekommenen Asylwerber eine große Chance: "Die meisten Unternehmenschefs wünschen sich Leute, die dynamisch, flexibel und mehrsprachig sind und mit mehreren Kulturen können." Ein Anforderungsprofil, auf das jeder Flüchtling passt, der notwendigerweise multikulturell ist und harte Zeiten kennt.

Auch der niedrige Status des Unternehmerberufs in Österreich mag Einwanderer vom Sprung in die Selbständigkeit abhalten. "Wenn ich mit Bekannten spreche, trauen sie ihren Ohren nicht", erzählt Raincombi-Geschäftsführerin Stavrou. Ihre österreichischen Juristenkollegen empfinden ihren Erfolg als Unternehmerin offenbar als sozialen Abstieg. Stavrou selbst sieht das aber ganz anders: "Ich habe mich gefunden und möchte mein jetziges Unternehmerleben nie wieder gegen einen Bürojob tauschen." Auch Ali Mahlodji hörte von allen Seiten nur, warum sein Unternehmenskonzept nicht aufgehen könne. Ein Glück, dass er sich die Worte seines Vaters zu Herzen nahm: "Alles, was die erwachsenen Leute kennen, ist die Vergangenheit. Das hat nichts mit deiner Zukunft zu tun."

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