7114709-1996_11_06.jpg
Digital In Arbeit

Mit dem Raumschiff ins Paradies

Werbung
Werbung
Werbung

Frank J. Tipler ist ein anerkannter Physiker. Er hat an der Oxford University und am Max-Planck-Institut in München gelehrt und geforscht. Er hat mit Stephen Hawking und Roger Penrose, den vielleicht bedeutendsten Physikern der Gegenwart, zusammengearbeitet. Sein Ruch „Die Physik der Unsterblichkeit" hat jedoch seine Fachkollegen verdutzt, denn er versucht etwas, was selbst die Theologie schon vor geraumer Zeit aufgegeben hat: „Eine beweisbare physikalische Theorie, die besagt, daß ein allgegenwärtiger, allwissender, allmächtiger Gott eines Tages jeden einzelnen von uns zu einem ewigen Leben an einem Ort auferwecken wird, der in allen wesentlichen Grundzügen dem jüdisch-christlichen Himmel entspricht" - einen kosmologischen Gottesbeweis.

Tipler ist Reduktionist. Das bedeutet, er ist der Ansicht, daß alles - und zwar wirklich alles - mit den Mitteln der Physik hinreichend beschrieben werden kann. „Entweder ist Theologie blanker Unsinn, eine Wissenschaft ohne Gegenstand, oder aber die Theologie wird letzlich ein Teilbereich der Physik", lautet die Konsequenz, die er daraus zieht.

Als Spezialist für die Relativitätstheorie ist Tipler am neusten Stand der Kosmologie. Demnach entstand das Universum vor zwölf bis 20 Milliarden Jahren in einer gewaltigen Explosion, dem Urknall. Seither dehnt es sich unaufhörlich aus, wie ein Luftballon, der aufgeblasen wird. Was die Zukunft betrifft, läßt die Kosmologie mehrere Möglichkeiten offen. Ein Szenario lautet, daß sich das Universum für alle Zeit weiter ausdehnen wird, ein anderes, daß sich die Ausdehnung immer mehr verlangsamen wird, bis es eines Tages stillsteht.

Tipler forciert eine andere der möglichen Varianten, jene des „geschlossenen Universums". Das heißt, daß das Universum, nachdem es sich noch weiter ausgedehnt hat, irgendwann wieder in sich zusammenfällt und dort endet, wo es begann: In einem Punkt mit unendlich kleinem Volumen und unendlich hoher Temperatur; in einer sogenannten Singularität, die Tipler den Omegapunkt nennt.

Auch wenn Tipler über die Zukunft der Erde spricht, hält er sich zu Beginn an die Physik. In spätestens sieben Milliarden Jahren, so lautet eine beklemmende wissenschaftliche Erkenntnis, wird unser Planet in der Sonne verglühen. Dann wird sich dieser Stern auf ein vielfaches seines jetzigen Umfangs zu einem „roten Riesen" aufblähen , bevor er zu einem „weißen Zwerg" schrumpfen wird.

In der Folge schrumpft auch der wissenschaftliche Gehalt von Tiplers Ausführungen: Wolle die Menschheit überleben, schreibt er, müsse sie die Erde verlassen. Mit Robotersonden, die dann in anderen Teilen des Universums neue Menschen züchten, solle die Menschheit den gesamten Kosmos erobern, fordert er. Ob Lebensformen, die möglicherweise anderswo im Weltall existieren, dies goutieren, diskutiert Tipler nicht. Für ihn steht fest: Leben gibt es allein auf der Erde. Doch Undank ist der Menschen Lohn: Als Rohstofflieferant für die menschliche Expansion werde „der gesamte Planet in seine Einzelteile zerlegt", prophezeit der amerikanische Wissenschaftler.

Bevor das Universum wieder zu einer Singularität schrumpfe, müsse der Mensch vom gesamten Kosmos Besitz ergriffen haben, erklärt Tipler. Denn Leben könne nur dann bis zum Ende, bis zum Omegapunkt, weiterexistieren, wenn das Universum nicht einfach wie ein schlapper Ballon in sich zusammenfalle. Vielmehr müsse der Kosmos dazu gebracht werden, nach einem bestimmten Muster - kontrolliert - zu kollabieren.

Wenn das Leben bis zum Ende durchhalte, dann gingen alle Informationen, die es im Laufe seiner Geschichte gesammelt habe, in den Omegapunkt ein. „Man kann daher sagen, daß der Omegapunkt allwissend ist", schließt Tipler. Ebenso könne er als allmächtig bezeichnet werden, da das Leben ja dann die totale Kontrolle über den Kosmos besitze. Da sich das Universum weiters, wie Tipler meint, durch eine quantenmechanische Wellenfunktion darstellen lasse, sei der Omegapunkt auch der Schöpfer des Kosmos: „Denn die Eigenschaften des Omegapunktes bestimmen die universelle Wellenfunktion und die Wellenfunktion bestimmt alles andere." Aus diesen Gründen, so Tipler, sei der Omegapunkt mit Gott gleichzusetzen.

In dieser Funktion läßt der Omegapunkt auch die Toten auferstehen. Da Tipler als Physiker die Existenz einer immateriellen Seele verneint, läßt er die längst zu Staub zerfallenen Menschen als Computerprogramme, als perfekte Simulationen in einer perfektsimulierten und perfektionierten Welt wiedererstehen. In diesem Paradies ist für alles gesorgt: „Wer Sex wünscht, wird ihn haben", weiß Tipler. Wer nach der Auferstehung keine Lust mehr dazu hat, kann platonischere Beziehungen pflegen: „Auch die geliebten Haustiere werden wiedererweckt, weil ihre menschlichen Besitzer es so wollen." Dieses Glück werde selbstverständlich ewig dauern, versichert Tipler.

„Das ist Science Fiction" lautet der Kommentar von Peter C. Aichelburg, Professor am Institut für angewandte Physik der Universität Wien, der Tipler persönlich kennt. Während Tiplers Gastprofessur an jenem Institut waren dessen Ideen oft Thema beim gemeinsamen Mittagessen. Als Physiker habe Tipler Hervorragendes geleistet, betont Aichelburg, doch jenes Buch sei „teilweise einfach ärgerlich". Dazu gehöre zum Beispiel die absurde Vorstellung, der Mensch könne den Kollaps des Universums steuern. Der Mensch scheitert schon an einfacheren Aufgaben: Köche wären überglücklich, könnten sie den Kollaps eines mißlungenen Souffles beeinflussen.

„Das Buch gibt sich einen streng wissenschaftlichen Anstrich, ist aber nicht wissenschaftlich. Tipler wirft alles hinein, was gut und teuer ist und rührt dann um", kritisiert Aichelburg. Daß etwa das Universum durch eine Wellenfunktion dargestellt werden könnte, hält Aichelburg für pure Spekulation, da dies eine Synthese von Belativitätstheorie und Quantenmechanik voraussetze - das hat bisher jedoch kein Physiker fertiggebracht. Auch die Forschungsdisziplin der künstlichen Intelligenz (Siehe auch Dossier, Seiten 13-16) mit ihrer Grundannahme, daß die perfekte Simulation von Bewußtsein mit natürlichem Bewußtsein gleichzusetzen sei, muß für die Tiplersche Auferstehungstheorie herhalten.

Zu Tiplers theologischen Ausführungen könne er sich nicht äußern, räumt Aichelburg ein, doch auch als Physiker hat er einiges einzuwenden: Es gebe viele andere, laut Relativitätstheorie ebenso wahrscheinliche Möglichkeiten, wie sich das Universum weiterentwickeln wird, als die Zukunft, die Tipler ausmalt. Selbst unter der Annahme, das Universum sei geschlossen, müsse es keineswegs als Punkt enden. Genausogut könne es -für den Hausverstand schwer vorstellbar, aber mathematisch nachweisbar - als Linie enden.

Auch Tiplers Behauptung, im Omegapunkt währe die Zeit ewig, kann Aichelburg nicht nachvollziehen: „Mit der Endsingularität endet die physikalische Zeit. Jene Zeit, die durch Uhren angezeigt wird, ist endlich." Abgesehen davon werde es kurz vor dem endgültigen Kollaps des Kosmos' überhaupt keine Uhren mehr geben. Denn das Ende eines geschlossenen Universums müsse man sich so vorstellen wie seinen Beginn, wo derart hohe Temperaturen herrschten, daß die Existenz von fester Materie unmöglich ist. „Daß es unter solchen Umständen geordnete Strukturen gibt, ist schwer vorstellbar", erklärt Aichelburg. Und Leben, egal in welcher Form, bedarf einer bestimmten Ordnung.

Gefragt, was er dem Buch an Positivem abgewinnen kann, antwortet Aichelburg: „Tipler hat den reduktio-nistischen Standpunkt konsequent zu Ende gedacht." Doch daraus scheint eher Schadenfreude als Lob zu sprechen.

DIE PHYSIK DER UNSTERBLICHKEIT

Von Frank J. Tipler. Piper Verlag 1994, 605 Seiten, öS 389,-(erhältlich auch als dtv- Taschenbuch um öS 184,-)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung