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Mit der INorecrin II Super auf Probeflug

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Das Fliegen, auch das private Fliegen, ist heute ebensowenig wie das Autofahren vorzugsweise eine sportliche Betätigung. Die für den privaten Gebrauch in den Handel kommenden Maschinen sind daher vor allen Dingen als Reiseflugzeuge gedacht. Hier gibt es natürlich Unterschiede in der Charakteristik. So finden wir Maschinen mit ausgesprochen sportlichen Eigenschaften, ohne daß sie jedoch ausschließliche Sportgeräte darstellten, dann aber auch Konstruktionen, die als ausgesprochene Tourenmaschinen bezeichnet werden müssen, wenn wir zum besseren Verständnis den Vergleich zum Kraftfahrzeug zu Hilfe nehmen wollen.

Eine Flugzeugtype, die, obwohl nicht kunstflugtauglich, doch eine sehr sportliche Note besitzt, ist die französische Norecrin II. Bei ihrem Anblick hat man unweigerlich das Empfinden, daß es sich hier um eine saubere Weiterentwicklung der Messerschmitt-Taifun, auch unter dem Namen Me 108 bekannt, handelt. Sie bietet vier Personen bequem Platz. Der Einstieg in diesen Tiefdecker erfolgt über die Tragflächen. Die Kabinenhaube ist zweiteilig und beide Hälften können nach vorn geklappt werden, wodurch der Einstieg auch für weniger sportliche Passagiere einfach wird, namentlich dadurch, daß die vorderen Sitze nach vorn geklappt und in dieser Stellung fixiert werden können. Bei dieser Gelegenheit sei auch gleich erwähnt, daß durch einen Spezialverschluß die zum Einstieg zu öffnenden Kabinenhaubenteile im Notfall abgeworfen werden können, so daß ein Aussteigen mit Fallschirm ohne weiteres möglich ist. Um gleich den zweiten großen Vorteil, den diese Maschine im Notfall bietet, vorwegzunehmen, sei erwähnt, daß durch den verstärkten Unterteil des Rumpfes bei Notlandungen auf Landeflächen, auf denen mit dem Fahrgestell Bruch gemacht würde, ohne weiteres Bauchlandungen möglich sind. Bei abgestellter Maschine bleibt der Propeller stets in horizontaler Richtung stehen, wodurch keine Gefahr besteht, daß er bei Bauchlandungen beschädigt und ein neuerliches Aufsteigen der Maschine damit unmöglich gemacht wird.

Die Norecrin II Super, die wir Gelegenheit hatten, während einiger kurzer Rundflüge und eines längeren Ueberlandfluges kennenzulernen, ist ein Ganzmetall-Tiefdecker mit V-förmig angestellten Tragflächen und einziehbarem Bugrad-Fahrwerk, das mittels eines Hebels zwischen den vorderen Sitzen mechanisch ein- und ausgefahren werden kann. Es sind zirka 36 bis 40 pumpenähnliche Handgriffe erforderlich, sobald ein- und ausgefahren werden soll. Das Hauptfahrwerk, die beiden Räder unter den Flügeln,

sind hydraulisch einzeln bremsbar, wodurch die Maschine beim Rollen gut steuerbar ist. So konnten wir feststellen, daß sie praktisch im Stand um das jeweils voll gebremste Rad um 360 Grad herumgedreht werden kann. Außerdem läßt sich die Norecrin II Super mit sehr hoher Geschwindigkeit rollen. Obwohl die minimale Startgeschwindigkeit, die zum Abheben erforderlich ist, 90 km/h beträgt, ist sie mit 80 bis 8 5 km/h am Boden noch einwandfrei zu beherrschen. Das Bugrad ist um einen Drehpunkt frei beweglich, jedoch nicht steuerbar.

Der Antrieb erfolgt durch einen Regnier-4100-Motor SNCMA, der eine Startleistung von 147 PS bei 2340 U/min abgibt. Er ist ein hängender luftgekühlter Vierzylinder-Reihenmotor und bei einer Bohrung von 120 mm und einem Hub von 140 mm ein Langhuber. Der Inhalt beträgt 6,33 Liter. Die relativ geringe Leistung für diesen an sich großhubigen Motor bietet die Gewähr für lange Lebensdauer, die auch daran erkenntlich wird, daß er erst nach 800 Betriebsstunden zur Generalüberholung muß. Es handelt sich demnach also um einen durchaus nicht hochgezüchteten Motor. Der Verbrauch ist relativ niedrig, er beträgt zwischen 30 und 35 Liter pro Flugstunde. Angelassen wird der Motor entweder elektrisch oder mittels Schwungkraftanlassers von Hand. Bei zirka 90 bis 100 km/h hebt die Maschine, wie erwähnt, vom Boden ab. Die Startstrecke beträgt über ein Hindernis von 15 m etwa 500 m, die Landestrecke über das gleiche Hindernis zirka 340 m bei einer Landegeschwindigkeit von zirka 100 km/h auf Hartbahn. Die Steigleistung der vollbesetzten Maschine beträgt 5 m/sec, während die Dienstgipfelhöhe bei 5300 m liegt. Die Norecrin II Super ist eine ausgesprochen rasche Maschine, denn ihre höchstzulässige Geschwindigkeit beträgt 300 km/h, die Reisegeschwindigkeit bei 2120 U/min 240 km/h. Erwähnenswert erscheint uns die Feststellung, daß dieses ansprechende Flugzeug in der Steuerung sehr sensibel ist und bereits auf kleinste Steuerbewegungen reagiert (Knüppelsteuerung). Selbstverständlich ist dieses „Klein“ relativ, denn bekanntlich verändern sich ja die Steuerausschläge mit der Geschwindigkeit bei sonst gleichem Flugverhalten. Je schneller also die Maschine, um so sparsamere Steuerbewegungen sind erforderlich. Auch bei hohen Geschwindigkeiten ist die Maschine ohne besonderen Kraftaufwand steuerbar. Obwohl die Norecrin II Super sehr angenehme Flugeigenschaften aufweist, ist es zweckmäßig, sie keinem unerfahrenen Piloten in die Hand zu geben, bevor er nicht darauf eingeschult wurde, da sie

durch ihre Wendigkeit und sportliche Note zu Unvorsichtigkeiten verleiten kann. Es gilt hier ungefähr das gleiche wie bei ähnlich konstruierten Kraftfahrzeugen. Einem Anfänger sollte man nicht unbedingt einen zu schnellen Sportwagen oder eine Sportmaschine ohne vorhergehende gründliche Instruktion anvertrauen.

Die Trimmung (ins Gleichgewicht bringen) der Maschine um ihre Hochachse erfolgt durch eine fix eingestellte kleine Flettner-Klappe, die Trimmung um die Querachse wird durch eine am linken Höhenruder angeordnete, vom Führersitz aus verstellbare Flettner-Klappe durchgeführt. Beim Starten zeigt die Maschine die Tendenz, nach links auszuweichen und muß durch Gegensteuern mittels des Seitenruders in Fahrtrichtung gehalten werden. Der Grund hierfür dürfte sein, daß die Maschine entweder mit einem rechtslaufenden Renault-Motor oder einem linkslaufenden Regnier-Motor (wie es bei dem in Rede stehenden Flugzeug der Fall war) geliefert wird.'

Anläßlich eines unter sehr stürmischen Verhältnissen durchgeführten Ueberlandfluges konnten wir uns davon überzeugen, daß die Maschine auch bei stärksten Spitzenböen, die bis zu 65 Knoten bzw. 120 km/h betrugen, tadellos zu fliegen und ohne Schwierigkeiten in Flugrichtung zu halten wie auch abzufangen ist. Bei diesen schlechten Wetterverhältnissen, die über gebirgigem Gelände besonders unangenehm in Erscheinung traten, war niemals das Gefühl einer LInsicherheit gegeben. Die Maschine reagierte sauber und präzise auf alle Ruderausschläge und war stets unter Kontrolle zu halten. Das Verhalten der Maschine wurde aber auch beim „Ucberziehen“ kennengelernt. „Ueberziehen“ bedeutet so steiles Aufrichten des Flugzeuges,

daß die Luftströmung um die Tragfläche Wirbel bildet, abreißt und keinen Auftrieb mehr erzeugt. Die Fahrt (Fluggeschwindigkeit) vermindert sich hierbei bei der Norecrin II Super bis auf 80 km/h, bei welcher Geschwindigkeit ein leichtes Schütteln merkbar wird, der Augenblick des Abreißens der Luftströmung. Nachher sackt die Maschine über den Motor allmählich nach vorne durch, gewinnt Fahrt und ist sofort wieder voll steuerbar. Zu erwähnen wäre noch, daß die Norecrin II Super beim „Ueberziehen“ bis zum letzten Augenblick um die Längsachse voll steuerbar bleibt, wodurch ein durch atmosphärische Umstände verursachtes Abkippen verhindert werden könnte. Bei leerlaufendem Motor und ausgefahrenen Ladeklappen reißt die Strömung bei etwa 75 km/h ab. Auch bei dieser Geschwindigkeit sackt die Maschine über die Nase ab und fängt sich sofort wieder.

Die Landeeigenschaften sind ebenfalls sehr gut. Namentlich beim Aufsetzen wirkt sich die tiefe Schwerpunktlage und breite Spur sowie gute Stoßdämpfung des Fahrwerks positiv aus. Die Maschine bleibt auf Anhieb sitzen. Die Kontrolle, ob das Fahrwerk ausgefahren ist, erfolgt optisch, indem oberhalb der Haupträder Knöpfe aus den Tragflächen herausragen, während das Bugrad durch ein im Boden des Flugzeugrumpfes befindliches Schauglas beobachtet werden kann. Bei nicht komplett ausgefahrenem Fahrwerk verhindert eine selbstsperrende Schneckenübertragung ein Umknicken desselben.

Die Sicht ist von allen Sitzen nach allen Seiten hin sehr gut. Auch große Strecken können relativ ermüdungsfrei zurückgelegt werden. Sämtliche Bedienungsinstrumente liegen gut im Blickfeld des Piloten, und alle zum Flugbetrieb

erforderlichen Handgriffe sind leicht und bequem durchzuführen. Ein am oberen Teil der Kabinen-verglasung vorgesehener Vorhang sorgt für Schutz vor zu starker Sonnenbestrahlung, während vier Lufthutzen für die ausreichende Belüftung jedes Platzes sorgen. Namentlich die Norecrin II in Standardausführung, also mit relativ einfacher Instrumentierung, ist ein billiges, sehr sportliches und sparsames Reiseflugzeug; es stellt gewisse Anforderungen an das fliegerische Können des Piloten, denen aber nach einer Schulung auf dieser Maschine ohne weiteres in kürzester Zeit entsprochen wird.

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