"Mit Kindern über den Krieg reden"

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Die beliebte Kinder- und Jugendbuchautorin Käthe Recheis feierte dieser Tage ihren 80. Geburtstag. Im Interview mit der FURCHE spricht sie über das literarische Verarbeiten ihrer Kriegserlebnisse, ihre große Verantwortung den Jugendlichen gegenüber, die Sorge um das Schicksal der indigenen Völker Nordamerikas und ihr aktuelles Buchprojekt.

Die Furche: In Österreich wird des "Anschlusses" 1938 an das Deutsche Reich gedacht. Sie waren damals zehn und haben ihre Erfahrungen 1987 im Aufsehen erregenden Jugendbuch "Lena - Unser Dorf und der Krieg" verarbeitet. Wie war es für Sie, nach fast fünf Jahrzehnten, darüber zu schreiben?

Käthe Recheis: Es war ein sehr schwerer Entschluss, weil ich wusste, dass beim Schreiben alles wieder lebendig wird. Das konnte ich nicht distanziert betrachten. Beim Schreiben muss ja die erdachte Realität real werden. Ich habe später die "Wolfsaga" geschrieben, eine Parabel, die das Menschliche anhand von Wölfen zeigt. Da gibt es eine Szene, in der die Wölfe in einer Wüste beinahe am Verdursten sind. Während ich das geschrieben habe, hatte ich das Gefühl, dass die Luft plötzlich ganz heiß wird. Mein Mund trocknete aus. Ich habe angefangen, schwer zu atmen. Dann habe ich die Szene fertig geschrieben. Erst danach habe ich bemerkt, dass draußen vor dem Fenster ein Schneesturm tobt.

Die Furche: Inwieweit sind Kindern und Jugendlichen die Ereignisse von damals zumutbar?

Recheis: Jugendlichen ist das zumutbar. Sie werden auch im Fernsehen mit Grausamkeiten aus der ganzen Welt konfrontiert. Einem Zehnjährigen jedoch würde ich nicht Fotos von Konzentrationslagern zeigen. Aber man kann mit ihnen schon darüber reden. Durch das Schildern von Diktatur und Krieg kann man vermitteln, wie schrecklich das ist. Ich bin sehr glücklich, dass ich mein Buch "Lena" geschrieben habe. Ich habe von sehr vielen Jugendlichen gute Rückmeldungen bekommen, dass sie die damalige Zeit jetzt verstehen.

Die Furche: Was halten Sie von unserer "Gedenkkultur", etwa dass Konzentrationslager wie ein Museum besucht werden können?

Recheis: Jugendlichen muss man das sogar zeigen. Sie sollen wissen, wozu der Mensch fähig ist. Ich denke jetzt beispielsweise an Amerika. Dort weigert man sich zum Teil, die Vergangenheit, die Ausrottung und Vertreibung der Indianer auf dem ganzen Kontinent, aufzuarbeiten. Aber ich bin gegen allgemeine Schuldzuweisungen und ständige Selbstvorwürfe. Die Kinder von heute haben mit den Verbrechen von damals nichts zu tun. Aber: Wissen soll man, was passiert ist, und das Wissen darf nicht verloren gehen, damit man sensibel wird gegen die Anfänge.

Die Furche: Wie gelingt es Ihnen, sich literarisch in die Gedankenwelt von Kindern hineinzuversetzen?

Recheis: Das ist ganz einfach: Ich habe einen ungebrochenen Zugang zu meiner eigenen Kindheit, ohne sie zu verklären, ohne sie nur negativ zu sehen. Durch Krieg und Diktatur war diese Zeit einerseits sehr unglücklich, ich hatte Todesangst bei den Bombenangriffen. Andererseits hatte ich aber auch eine glückliche Kindheit, ich hatte meinen Freundeskreis und meine Familie. Auch in der besten Familie kann es für ein Kind Zeiten geben, in denen es sehr unglücklich ist.

Die Furche: Warum sind Sie Schriftstellerin geworden?

Recheis: Wir waren eine Leserfamilie, und es sind viele Geschichten erzählt worden. Kinder- und Jugendbuchautorin bin ich durch Zufall geworden. Mein Bruder wollte, dass ich eine Indianergeschichte schreibe, damit er sie in der Schule vorlesen kann. Diese Geschichte hat er dann, ohne mein Wissen, an den Herder-Verlag geschickt. Später habe ich einen Anruf bekommen. Der Verlag konnte sich vorstellen, dass ein ganzes Buch aus der Geschichte wird. Dann kam mir die Erkenntnis: Damit kann ich Schriftstellerin werden. Die Themenauswahl bei Kinder- und Jugendliteratur ist unendlich: Es gibt Problemgeschichten, Abenteuergeschichten, reine Nonsens-Geschichten, reale und fantastische Geschichten. Man kommt nie an ein Ende. Man schreibt ja eigentlich für die Zukunft. Ich kann dem Kind viel an Ideen mitgeben, Identifikationsmöglichkeiten. Man hat mehr Verantwortung als ein Autor, der Literatur für Erwachsene verfasst.

Die Furche: Letztes Jahr hat man Ihnen den Adalbert-Stifter-Preis verliehen. In Ihren Dankesworten haben Sie Bezug genommen auf die Wichtigkeit der kulturellen Identität eines Landes. Was verstehen Sie unter diesem Begriff?

Recheis: Erstens einmal die Vertrautheit mit dem Land, in dem ich lebe und aufgewachsen bin. Dazu gehört die Sprache. Es würde mir sehr leid tun, wenn durch das Fernsehen bei den Kindern das österreichische Sprachgefühl verloren ginge, denn das Sprachgefühl hat auch etwas mit unserer Mentalität zu tun. Bei uns in Österreich sagt man "Guglhupf" - das klingt nach etwas Leichtem, nach etwas, das in die Höhe geht. In Norddeutschland sagt man "Napfkuchen" - da denke ich immer an etwas Zusammengefallenes. Wir haben etwas vom Slawischen, vom Italienischen, vom Ungarischen. Unsere Identität ist sehr geprägt von dieser Durchmischung.

Die Furche: Sie bevorzugen die Schreibmaschine?

Recheis: Die Schreibmaschine schreibt von selber, da weiß ich nicht, was meine Hände tun, da kann ich mich ganz konzentrieren. An die Computer-Tastatur könnte ich mich nicht gewöhnen. Schon während des Krieges habe ich auf der Schreibmaschine Rundbriefe geschrieben. Viele unserer Freunde waren schon beim Militär. Um uns gegenseitig Mut zu machen, haben wir von Priestern verfasste Rundbriefe verschickt. Wir mussten vorsichtig sein, weil diese Rundbriefe zum Teil an die Front gingen, wo jeder Brief geöffnet wurde. Wir benutzten als geheimen Code die Formulierung "Christus ist unser König", was so viel bedeutete wie "Nicht Hitler".

Die Furche: Woran schreiben Sie gerade?

Recheis: Ich habe eine Großfamilie und einen Freundes- und Kollegenkreis. Dann habe ich noch das Hilfsprogramm für Indianer in Bolivien und Nordamerika, das auch sehr viel Arbeit macht. Ich habe das Gefühl, dass ich das, was mir unbedingt wichtig war, bereits geschrieben habe. Ich will auch das Älterwerden genießen. Es gibt die Vorteile des Älterwerdens: Jetzt kann ich ohne Stress arbeiten. Ich schreibe keine umfangreichen Bücher mehr, sondern kürzere Sachen für Jüngere, zurzeit einen Katzenkrimi.

Das Gespräch führte Agathe Gansterer.

Ein großes Herz für Kinder und Indianer

Käthe Recheis wurde am 11. März 1928 als jüngstes von vier Kindern geboren, die Schule besuchte sie in Hörsching und Linz. Nach der Matura arbeitete sie als Redaktionssekretärin, von 1956 bis 1960 leitete sie das österreichische Büro der "International Catholic Migration Commission" in Genf. 1954 erscheint erstmals eine Geschichte von ihr in Hans Weigels "Stimmen der Gegenwart". Seit 1961 ist Käthe Recheis als freie Schriftstellerin tätig und lebt abwechselnd in Wien und Hörsching. Ebenfalls 1961 erschien ihr erstes Kinderbuch "Kleiner Adler und Silberstern". Seit den 1960er Jahren pflegt Käthe Recheis enge Kontakte und Freundschaften mit indianischen Autorinnen und Autoren und engagiert sich seither stark für deren Anliegen. Sie hat mehr als 60 Bücher, darunter zahlreiche Kinderbücher, publiziert, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden. Darüber hinaus veröffentlichte sie 13 Titel mit indianischen Originaltexten und übersetzte 53 Bücher aus dem Englischen. Recheis erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen, darunter den Adalbert-Stifter-Preis des Landes Oberösterreich (2007), und ist zehnfache Preisträgerin des Österreichischen Staatspreises für Kinder- und Jugendliteratur.

Anlässlich ihres 80. Geburtstages

findet am 27. März das Symposium "Welt(en)bilder" statt.

Linz, Stifter-Haus, Adalbert-Stifter-Platz 1, 10 Uhr bis 17.30 Uhr.

Referentinnen u. a.: Veronika Brandstätter, Ernst Seibert, Wolfgang Quatember

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