6638182-1957_28_04.jpg
Digital In Arbeit

Nachfolger für Hammarskjöld gesucht

Werbung
Werbung
Werbung

Vereinte Nationen, Ende Juni 1957

Wenn die Generalversammlung der Vereinten Nationen in diesem Herbst zu ihrer zwölften jährlichen Sitzungsperiode Zusammentritt, wird einer der wichtigsten Punkte auf ihrer Tagesordnung lauten: „Bestellung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen“. Im April 1958 läuft nämlich die gegenwärtige Amtsperiode des jetzigen Generalsekretärs Dag Hammarskjöld ab. Als die Generalversammlung am 7. April 1953 beschloß, den Schweden Hammarskjöld für die nächsten fünf Jahre zum Generalsekretär zu bestellen, ahnte wohl noch kaum jemand, wie wichtig diese Stellung gerade während der Amtsperiode Hammarskjölds werden sollte.

Im ursprünglichen Konzept der Vereinten Nationen war die Hauptverantwortlichkeit für den internationalen Frieden an den Sicherheitsrat vergeben worden, dem damit sowohl legislative als auch exekutive Funktionen übertragen wurden. Nach der Verfassung war die Generalversammlung einzig nur eine Art moralisches Weltparlament, in Hinsicht auf politische Fragen nur ermächtigt, Empfehlungen auszuarbeiten. Das internationale Sekretariat der Vereinten Nationen, mit dem Generalsekretär als dem höchsten internationalen Beamten an der Spitze, war fast ausschließlich ein rein administratives Organ. Bald zeigte sich, daß der Sicherheitsrat, gegründet auf die Einmütigkeit der Großmächte, den Ansprüchen der politischen Entwicklung nicht gewachsen war. Das Vetorecht diente mehr und mehr dazu, den Sicherheitsrat lahmzulegen, anstatt seine Mitglieder dazu zu zwingen, allseits annehmbare Kompromißlösungen auszuarbeiten.

Seit etwa 1950 versucht man, die Stellung des Sicherheitsrates weniger exklusiv zu machen. Juridisch ließ sich an der Struktur der Organisation natürlich nichts ändern; jede Revision unterlag dem dem Veto des Sicherheitsrates, so daß das Vetorecht auch sich selber beschützte. Aber innerhalb der Charta gab es verschiedene Möglichkeiten, die nicht ungenützt gelassen wurden.

Der entscheidende erste Schritt wurde im Spätherbst 1950 unter dem Eindruck des Koreakrieges, in den der Sicherheitsrat nur auf Grund der zufälligen Abwesenheit des sowjetischen Delegierten eingreifen konnte, unternommen. Das neue System kam aber erst sechs Jahre später zur Anwendung, nämlich Ende 1956. Sowohl der Einsatz britischer und französischer Truppen in Aegypten als auch die Ereignisse in Ungarn wurden zu Prüfsteinen der neuen Politik. In beiden Fällen versagte der Sicherheitsrat, im ersten Fall durch ein britisch-französisches, im Fall Ungarn durch ein russisches Veto. Beide Male erklärte sich der Sicherheitsrat mit einfacher Stimmenmehrheit als unfähig, die entstandenen Probleme zu lösen, und beauftragte die Generalversammlung auf Grund der „Uniting-for- Peace"-Resolution, alle weiteren Schritte zu unternehmen.

Und hier begann der entscheidende Aufstieg des internationalen Sekretariats der Vereinten Nationen von seiner bisherigen untergeordneten administrativen Rolle zu einer seltsamen Mischung von administrativen und exekutiven Befugnissen. Die Generalversammlung konnte nach wie vor nur empfehlen; im Generalsekretär aber fand die Generalversammlung jenes langgesuchte Organ, welches den Empfehlungen Gewicht verleihen und sie in Wirklichkeit umsetzen würde.

Heute ist der Generalsekretär der Vereinten Nationen bei weitem nicht mehr bloß „der höchste Verwaltungsbeamte" der Organisation, wie es die Charta der Vereinten Nationen im Jahre 1945 vorsah. Er ist Politiker und Diplomat ersten Ranges; er spricht im Namen der gesamten Organisation; er reist als Vertreter der Vereinten Nationen in die politischen Krisengebiete der Welt; er — und nicht der Sicherheitsrat — hat den nominellen Oberbefehl über die derzeit zwischen Aegypten und Israel stationierten Truppen der Vereinten Nationen; er führt nicht nur die Resolutionen der Generalversammlung aus, sondern ihm ist auch die feinere Interpretation dieser Resolutionen übertragen; seine Kompetenz ist praktisch unbeschränkt.

Juridisch steht einer zweiten Bestellung Ham- marskjölds zum Generalsekretär der Vereinten Nationen nichts entgegen; es ist am Sitz der Organisation in New York auch bekannt, daß Hammarskjöld mit seinem Arbeitsgebiet sehr zufrieden ist und gegen eine neuerliche Bestellung keine persönlichen Einwände vorbringen würde.

Einem aufmerksamen Beobachter kann aber die Tatsache nicht entgehen, daß Hammarskjölds Wiederbestellung nicht gesichert ist. Der Umstand, daß es auch andere Kandidaten für diesen Posten gibt, spielt hier .vielleicht eine geringere Rolle, obwohl man nicht vergessen darf, daß seit 1953 die Mitgliederzahl der Vereinten Nationen von 60 auf 81 angewachsen ist, was sich heute hauptsächlich in einem überaus starken Einfluß der asiatischen und afrikanischen Mitgliedstaaten bemerkbar macht, die nicht unbedingt einen Europäer als die ideale Person für den Posten des Generalsekretärs ansehen. Der neue Generalsekretär, sei es nun Hammarskjöld oder ein anderer Kandidat, müßte aber wieder durch den Sicherheitsrat nominiert werden und zu diesem Zweck die Stimmen der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates auf sich vereinigen. Und hier droht Hammarskjöld Gefahr von einer Seite, von der man es eigentlich am wenigsten erwarten würde, nämlich von Frankreich, von demselben Staat, der einst Hammarskjöld im Jahre 1953 dem Sicherheitsrat vorschlug.

Der Grund für ein mögliches französisches Veto gegen Hammarskjöld ist natürlich im Konflikt zwischen Aegypten und Israel und im Problem des zukünftigen Betriebes des Suezkanals zu suchen. Frankreich bekennt sich offen zu Israel und ist derzeit dessen stärkste Stütze, während Hammarskjöld dazu neigt, die Probleme des Mittleren Ostens eher in Gesprächen in Kairo zu lösen.

Als voraussichtlicher französischer Kandidat wird in New York am häufigsten der ehemalige belgische Außenminister Paul-Henri S p a a k genannt, der aber kaum Aussicht hat, die notwendige russische Zustimmung zu erhalten. In etwas geringerem Ausmaß trifft das auch auf einen anderen möglichen Kandidaten, den kanadischen Außenminister Lester B. Pearson, zu; obwohl Pearson während der letzten Generalversammlung als Vertreter einer eher neutralen kanadisch-skandinavischen Richtung auftrat und auch als Urheber des sowohl von der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten gebilligten Planes für UN-Truppen in Aegypten gilt, wird er doch noch zu sehr als Exponent einer westlichen Politik angesehen, um auf die einmütige Zustimmung aller fünf Mitglieder des Sicherheitsrates rechnen zu dürfen.

Anderseits dürften sich die Vereinigten Staaten mit großer Wahrscheinlichkeit gegen jeden nichteuropäischen, insbesondere asiatischen Kandidaten wenden, wodurch ein solcher Kandidat nicht die notwendige Mehrheit von sieben aus insgesamt elf Stimmen im Sicherheitsrat erhalten würde.

Wie die Dinge zur Zeit stehen, darf Hammar-

skjöld nach wie vor als der aussichtsreichste Kandidat für den Posten des Generalsekretärs angesehen werden, vor allem deswegen, weil er derzeit kaum einen ernsten Konkurrenten besitzt. Selbst im Falle eines französischen Vetos gegen Hammarskjöld bliebe noch immer die Möglichkeit offen, die bereits einmal — im Jahre 1950 — auf den ersten Generalsekretär Trygve Lie angewandt wurde, der bekanntlich in seinen Bemühungen um eine zweite fünfjährige Amtsperiode auf den Widerstand der Sowjetunion stieß und dessen erste Amtsperiode dann von der Generalversammlung ohne Empfehlung des Sicherheitsrates provisorisch auf weitere drei Jahre verlängert wurde. Dag Hammarskjöld ist aber nicht Trygve Lie und es taucht die Frage auf, ob Hammarskjöld für ein solches, vom juridischen Standpunkt zumindest zweifelhaftes Arrangement zugänglich wäre, welches überdies seine tatsächliche Stellung als Generalsekretär erheblich schwächen würde. Unter solchen Umständen ist es wahrscheinlicher, daß Hammarskjöld durch seine Weigerung Frankreich vor die Alternative stellen würde, entweder ihn oder gar keinen Generalsekretär für die Vereinten Nationen zu haben. Ob dann Frankreich zu einem Verzicht auf sein Einspruchsrecht bewogen werden kann, würde von verschiedenen Umständen abhängen: von der Stärke des Druckes, den die Vereinigten Staaten zweifelsohne auf Frankreich ausüben würden, von dem allgemeinen Interesse Frankreichs am Bestehen der Vereinten Nationen überhaupt — dieses Interesse ist bekanntlich gerade jetzt auf dem Nullpunkt angelangt —, von der Entwicklung der Lage im Mittleren Osten, und schließlich sicherlich auch von der Art und Weise, in der die nächste Generalversammlung der Vereinten Nationen das Algerienproblem behandeln wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung