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Nochmals: Herkunft des Menschenleibes

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Als Nichtbiologe hatte ich in meinen Ausführungen zum heutigen Stand der Frage nach der Herkunft des Menschenleibes („Die Warte“, 30. November 1946) zu dieser Seite des Problems nur einleitend und unter Spezieller Berufung auf die bekannten Schweizer Fachleute. Professor Kälin und Professor Portmann, Stellung genommen. Was Primarius Dr. Hauser („Warte“, 21. Jänner 1947) vom biologischen und medizinischen Standpunkte aus dazu zu sagen hat, beinhaltet nun zum Teil eine dankenswerte Ergänzung, entkräftet aber anderseits nicht die speziell von Professor Kälin aufgestellte und von mir übernommene Notwendigkeit einer Zusatzhypothese. Diese Zusatzhypothese, um es kurz zu wiederholen, besagt: „Zur Menschwerdung konnte es nicht dadurch kommen, daß einem höchstentwickelten Tierleib einfach an Stelle der Tierseele eine Menschenseele eingesetzt wurde. Der Eintritt des menschlichen Geistes in einen solchen Leib hätte unbedingt auch ganz grundlegende Änderungen in rein körperlicher Hinsicht notwendig gemacht.“

Die zwischen dem tierischen und menschlichen Körper bestehenden Ähnlichkeiten (Primarius Dr. Hauser weist auf diese besonders hin) werden von den genannten (und natürlich auch von anderen) Autoren nicht geleugnet, aber sie heben mit allem Nachdruck hervor, daß die einseitig ent-wicklungstheoretisdi orientierte Blickrichtung vielfach über die doch ebenfalls gegebenen und bedeutungsvollen Unterschiede nur allzusehr hinwegsehen ließ. „Denn — was immer wieder vergessen wird — das Besondere, nicht das Übereinstimmende bedarf ja bei deszendenztheoretischert Verknüpfungen der Erklärung!“ (Kälin in „Schweizer Rundschau“ 1946/47. Sonderabdruck, Seite 6). „Weil aber die meisten Übereinstimmmungen des Menschenleibes mit den anthropoiden Affen im allgemeinen Bauplan liegen, also vor allem in der allgemeinen I agebexiehung der Teile, so springen die entsprechenden Ähnlichkeiten ohne weiteres in die Augen. All die tiefgreifenden Untersdiiede dagegen, wie sie sich in der Differenzierung der Organe, in der Dyna-

mik der Formbildung und in funktionellen Bereichen ausdrücken, wurden deshalb durch die ältere deszendenztheoretisch p r ä-orientierte morphologische Betrachtungsweise in hohem Maße verdeckt, übertönt.“ (A. a. O.)

Es ist weiter offenbar, daß bei all dem eine Schwäche, die dem biologischen Argumentationsverfahren v.on Haus aus anhaftet, für gewöhnlich nicht gesehen oder doch zu wenig beachtet wird. Professor Fr. Dessauer (Freiburg, Schweiz), formulierte vor kurzem das. was hier in Frage steht, in folgender 'Weise: „Wenn Gott den Menschen geschaffen hat, und zwar als ein Geschöpf, das auch der animalischen Sphäre angehört, dann muß er in körperlicher Beziehung notwendig einer Tierart ähnlicher sein als einer anderen; infolgedessen muß er einer am ähnlidisten sein. Dieser Schluß scheint mir ganz unvermeidlich, und er schwächt mehr oder weniger das biologische Argument.“ Ja, er entkräftet, jedenfalls bis zu einem gewissen Grade, das biologische Argument und rückt andererseits die entscheidende Bedeutung in den Vordergrund, welche in bezug auf diese ganze Angelegenheit unzweifelhaft dem historischen Argument, das heißt also, den objektiv gegebenen und greifbaren historischen Tatsächlichkeiten, nach wie vor zukommt. Auf diese habe ich als Ethnologe und Kulturhistoriker in meinen Ausführungen denn auch das Hauptgewicht gelegt. Was Primarius Hauser dazu zu bemerken hat, trifft nicht in aller% das Richtige, zum Teil wird nicht recht klar, was er meint, was mir auch von verschiedenen Kollegen bestätigt wurde.

Die Auffassung, daß der Pekingrnensch vom Vertreter der Gattung Homo sapiens getötet (und, wie einige meinten, verspeist) sein könnte, hat nie viele Anhänger unter Jen Fachleuten gehabt. Nachdem jetzt Boule. Montandon und Obermaier gestorben sind, ist mir überhaupt kein lebender Fachmann bekannt, der noch dieser etwas seltsamen Meinung huldigte. Wie man zu dieser Meinung kam. ist ja bekannt. Einige hatten im Anfang (nach ^929, wo der Pekingmensch entdeckt worden war) in diesem doch eine Art Missinglink sehen wollen. Als dann einige Jahre später im Zusammenhang

damit cfie Existenz einer Kultur (Feuergebrauch, Werkzeuge aus Knochen und Stein) unzweideutig nachgewiesen werden konnte, verfielen etliche Forscher auf den Ausweg, diese einem Homo sapiens gutzuschreiben, dessen gleichzeitiges und gleichörtliches Dasein einfach supponiert wurde. Ja, man nahm weiter an, daß dieser Homo sapiens den Pekingmenschen getötet und verzehrt haben müsset denn nur. so erkläre es skh, daß bis jetzt nur Skelettreste von diesem

und Kulturobjekte, die offenbar jenem zugeschrieben werden müßten, zutage getreten seien. Der Homo sapiens habe seine Toten jedenfalls anderswo bestattet.

Es liegt längst klar zutage, daß wir es hier mit einer ziemlich bemühenden Konstruktion und mit keinem besonderen Ruhmesblatt der neuzeitlichen Urmensdien-forsdiung zu tun haben. Der Pekingmensch gilt heute so gut wie allgemein als voller Mensch. Das gleiche gilt übrigens vom Trinil-menschen (siehe zum Beispiel Professor Clark in ..Nature“, London 1946, Seite 428: Pithecanthropus is definitly human). Ist auch die Schädelkapazität in beiden Fällen eine relativ geringe, so überragt sie doch jene des Menschenaffen im Durchschnitt uro das Zweieinhalbfache. Für den vollmenschlichen Charakter spricht unter anderem weiter der nachgewiesene aufrechte Gang wie auch das Gebiß (vergleiche Kälin in „Experimentia“, 1946, Seite 280 ff.). Angesichts alles dessen besteht also auch von dieser Seite her keinerlei Hindernis, in dem Pekingmenschen den Träger der dort gefundenen Kultur zu sehen. Daß schließlich dieser Mensch auch über eine Sprache verfügte, nimmt selbst der sonst so evolutio-nistisch eingestellte Forscher Professor Fr. Weidenreich an. Und was den suppo-nierten Kannibalismus des supponierten Homo sapiens anbetrifft, so hat der gewiß unverdächtige französische Anthropologe Vaufrey schon vor Jahren mit Recht darauf

aufmerksam gemacht, daß der KannibaTrsannis

eine verhältnismäßig junge Erscheinung in der Menschheitsentwicklung darstellt, dahes auch aus diesem Grunde nicht sa leichter“ hand ins Frühpleistozän hineinprojiziefi werden darf.

Unverständlich ist es mir, daß Primarius) Dr. Hauser beim Pekingmenschen von „tertiären Lebewesen“ spricht, bei denen ein Abstammungsverhältnis zum Homo sapiens weder bejaht noch verneint werden

könnte. Daß der Pekingmensch ins Quartäc (nach den Forschungen des chinesischen Geologen Pei ins Günz-Mündel-Interglazial) hineingehört, wird doch nicht ernstlich angezweifelt. Da jetzt auf Grund der Forschungen von Königswald, Möhler und anderen ein jüngeres, mittelpleistozänes Alter des Trinilmenschen hinreichend gesichert ist, könnte man höchstens auch für den dem Trinilmenschen morphologisch nahestehenden Pekingmenschen den Nachweis eines jüngeren Alters erwarten. Ob dieser Nachweis einmal erbracht werden kann, muß die Zukunft zeigen. Da aber ferner die überwiegende Mehrzahl der in Betracht kommenden Forscher heute auf monophyletischem Standpunkte steht (also mit der Einheit des Menschengeschlechtes rechnet), muß infolge alles dessen irgendein Abstammungsverhältnis zwischen diesem und dem Homo sapiens natürlich als unbedingt bestehend angenommen werden. Es geht also jetzt nicht mehr an, zu sagen: Dieses Abstammungsverhältnis könne weder bejaht noch verneint werden. Daß im Lichte dieser neuen Forschungsergebnisse der Pekingmensch die Bezeichnung Homo sapiens natürlich ebensowohl verdient wie irgendein anderer Mensch, ist selbstverständlich.

Für alles übrige erlaube ich mir, nochmals auf meine ausführlichen Darlegungen in „Wissen und Bekenntnis“ (Herausgeber Professor Dr. Fr. Dessauer), zweite Auflage, Ölten (Schweiz) 1946, zu verweisen.

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