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Nochmals Humanae vitae

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Darf der Mensch alles das tun, was er tun könnte,'vor allem mit Hilfe der anscheinend unbegrenzten Möglichkeiten der Technik? Diese Frage stellt sich in zunehmend drängender Weise. An den notwendigen Differenzierungen im Vorfeld dieser Problematik wird sich das Schicksal und der zukünftige Weg der gesamten Menschheit entscheiden. Niemand wird leugnen, daß es angesichts der atomaren Vernichtungskraft geboten ist, die dahinterstehende Energie verantwortungsbewußt nur zum Wohle der Menschheit einzusetzen. Haben nicht die ungezügelten Kräfte der Sexualität eine ähnliche Sprengkraft zum Zerstören der menschlichen Person? Es steht außer Zweifel, daß die Geschlechtlichkeit menschlich geformt werden muß. Sicherlich stellt sich zunächst die Frage, in welchem Bereich und bis zu welchem Ausmaß die Sexualität bewüßt zu gestalten ist, bzw. innerhalb welchen festgelegten Rahmens spontane und legitime echt gemütshafte Zuwendungen zum Ehepartner ohne Reflexion als Liebesausdruck in Erscheinung treten dürfen und sollen.

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Darf der Mensch alles das tun, was er tun könnte,'vor allem mit Hilfe der anscheinend unbegrenzten Möglichkeiten der Technik? Diese Frage stellt sich in zunehmend drängender Weise. An den notwendigen Differenzierungen im Vorfeld dieser Problematik wird sich das Schicksal und der zukünftige Weg der gesamten Menschheit entscheiden. Niemand wird leugnen, daß es angesichts der atomaren Vernichtungskraft geboten ist, die dahinterstehende Energie verantwortungsbewußt nur zum Wohle der Menschheit einzusetzen. Haben nicht die ungezügelten Kräfte der Sexualität eine ähnliche Sprengkraft zum Zerstören der menschlichen Person? Es steht außer Zweifel, daß die Geschlechtlichkeit menschlich geformt werden muß. Sicherlich stellt sich zunächst die Frage, in welchem Bereich und bis zu welchem Ausmaß die Sexualität bewüßt zu gestalten ist, bzw. innerhalb welchen festgelegten Rahmens spontane und legitime echt gemütshafte Zuwendungen zum Ehepartner ohne Reflexion als Liebesausdruck in Erscheinung treten dürfen und sollen.

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Auf dem Weg zu verantworteter Elternschaft steht das Ehepaar vor dem Problem der Methoden der Empfängnisregelung. Welche Methode ist der menschlichen Natur angemessen beziehungsweise entspricht ihr am ehesten oder wird vielleicht sogar von der menschlichen Gesamteatur gefordert? Übereinstimmung besteht, daß es bei der Frau in jedem Zyklus nur etwa vier fruchtbare Tage gibt, da der Mensch keine Brunftzeiten hat, da der Mensch sich willentlich und gemütshaft disponieren kann zu einem freien Wählen der ehelichen Vereinigung entweder an Tagen, die fruchtbar sein können, oder an Tagen, die sicher unfruchtbar sind, verweist diese „Bildsprache Gottes“ den Menschen auf die Inanspruchnahme des vorgegebenen Fruchtbarkeitsrhythmus — wenn das Ehepaar einen'sittlich einwandfreien Weg zu verantworteter Elternschaft gehen will. Läuft der Mensch nicht Gefahr, ein Spielball aller möglichen und plötzlich sich meldenden Regungen zu werden, wenn er zur Geburtenkontrolle einfach das nächstbeste technische Mittel einsetzt?

An dieser Frage haben sich die Gemüter nach Erscheinen des päpstlichen Rundschreibens über die Geburtenregelung besonders erhitzt. Dem Papst wird immer wieder ein veralteter Naturbegriff und die mangelnde Begründung dessen, was in der Enzyklika als göttliches Gesetz dargestellt wird, vorgeworfen. In der Enzyklika finden sich jedoch mehrmals Formulierungen, welche auf die „Bildsprache Gottes“ verweisen, wenn auch bisweilen in überlieferten Umschreibungen, die dem modernen Menschen zunächst unverständlich erscheinen mögen. Der Kernsatz für das Verständnis der naturrechtlichen Aussage der Enzyklika findet sich wohl in Nr. 10: „Der Verstand entdeckt im Vermögen, das Leben zu geben, biologische Gesetze, die zur menschlichen Person gehören.“ Daß der Fruchtbarkeitsrhythmus beim Menschen gerade so und nicht anders ist, ist eben die „Bildsprache Gottes“. Es ist dies der Anruf an den Menschen, sich in diesen von der Schöpfung vorgegebenen Seinsrhythmus bewußt einzufügen und damit dem Schöpfer Gehorsam zu erweisen. „Wenn man hingegen von dem Geschenk der ehelichen Liebe Gebrauch macht und dabei die Gesetze des Zeugungsablaufes achtet, bedeutet da, daß man sich nicht als Herr über den Ursprung des menschlichen Lebens betrachtet, sondern vielmehr als Diener des vom Schöpfer grundgelegten Planes“ (Nr. 13).

Zur weiteren Begründung dieser Aussage bietet sich auch das moderne Wissen um Struktur und Funktion des Gehirnes an. Es gibt bestimmte Hirngebiete, die zunächst keiner festgelegten Aufgabe zugewiesen sind, sondern auf eine Füllung mit Funktionen warten. Die Erfüllung einer zunehmend anspruchsvolleren Ethik ist bei entsprechender Erziehung und Selbsterziehung — das heißt hirnphysiologisch durch eine intensivere Inanspruchnahme der hiefür vorgesehenen Hirngebiete — durchaus möglich. Bei symmetrischer Zerstörung dieser Hirnareale importiert der sittliche Verfall des davon betroffenen Menschen und vor allem dessen schweren sexuelle Entgleisungen. Wer diese Hirngebiete nicht oder zu wenig in Anspruch nimmt, verfehlt sich an der menschlichen Aufgabe zur personalen Integration des Sexuellen. Es ergibt sich zwingend der Auftrag des Menschen, in der aktiven Gestaltung der Sexualität und auch in der Frage der Empfängnisregelung auf seine typisch menschlichen Potenzen der Selbsterziehung und Selbstbeherrschung zurückzugreifen, und nicht in kurzschlüssiger Weise das bequeme technische Mittel zur Geburtenkontrolle anzuwenden. Wer Empfängnisverhütung grundsätzlich nur mit Hilfe von technischen Verhütungsmitteln oder des unterbrochenen Verkehrs und verwandter Methoden betreibt, weigert sich, seine gesamte menschliche Person einzusetzen und zu mobilisieren. Durch dieselbe Potenz des menschlichen Gehirnes ist es auch erst möglich geworden, sich einem Du in bewußter echter und selbstloser Liebe zuzuwenden. Es bedeutet daher auch eine Verfehlung gegen die Liebe, wenn in der Frage der Empfängnisregelung das Streben nicht'nach Inanspruchnahme des vorgegebenen seinshaften Fruchtbarkeitsrhythmus geht. So gesehen, kann nie und nimmer von einer physizistischen Betrachtungsweise gesprochen werden — auch nicht hinsichtlich der Enzyklika — da doch der gesamtmenschliche Einsatz verlangt wird. Damit fällt auch der Einwand gegen die Enzyklika, daß sie einen veralteten Naturbegriff habe. Im Gegenteil, die Enzyklika verweist den Menschen auf die Integrierung der Sexualität in seine Person, auf eine echt menschliche Formung und Gestaltung jenes Vermögens, das zugleich neues Leben zu wecken und der ehelichen Liebe im leiblichen Einswerden besonderen Ausdruck zu leihen vermag.

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