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Österreich: 500.000 Delikte pro Jahr

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Was die Kriminalität anbelangt, ist Österreich noch eine Insel der Seligen, obwohl sich die Lage - vor allem in den letzten Jahren - verschlechtert.

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Was die Kriminalität anbelangt, ist Österreich noch eine Insel der Seligen, obwohl sich die Lage - vor allem in den letzten Jahren - verschlechtert.

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Beruhigende Worte liest, wer den Sicherheitsbericht 1992 der Österreichischen Bundesregierung aufschlägt: „Österreich ist ein sicheres Land. Es befindet sich bezüglich der Entwicklung der Kriminalität und der Aufklärung von Straftaten in einer relativ guten Ausgangslage. Um diesen Standard halten zu können, wird es notwendig sein, für das Sicherheitswesen zusätzliche personelle und technische Möglichkeiten zu erschließen.“

Wird diese beruhigende Feststellung durch die beobachtbaren Fakten bestätigt? Immerhin konfrontieren uns die Medien Tag für Tag mit erschreckenden Gewalttaten und Horromeldungen.

Zunächst einmal sei festgehalten, daß internationale Vergleiche in Einzelbereichen erkennen lassen, daß Österreich relativ gut abschneidet: So gibt es bei uns etwa nur halb so viele Kredikartendiebstähle wie in der Schweiz oder weitaus weniger Kfz-Diebstähle (nämlich 3.000 pro Jahr) als etwa in Deutschland (144.000), Frankreich (312.000 oder Italien (400.000). Auch kann man abends gefahrlos durch Wiener Parks gehen, etwas, das man in vielen Städten Europas besser unterläßt.

Wie sieht aber die Entwicklung der Straftaten aus? Werfen wir einen Blick in die Kriminalstatistik: Ein längerfristiger Vergleich ergibt, daß die Kriminalität seit 1975 um beachtliche 76 Prozent gestiegen ist, die Zahl der Verbrechen um 66 Prozent. Das sind eindrucksvolle Zahlen, die es zu bewerten gilt.

Da ist zunächst die Feststellung, daß zeitliche Vergleiche über längere Zeiträume etwas problematisch sind, gab es doch Änderungen im Strafrecht und im Jugendgerichtsgesetz. Tendenziell wird dadurch die Veränderung unterschätzt.

Zur Messung des kriminellen Geschehens sind die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik das beste Werkzeug. Diese erfaßt die bekanntgewordenen kriminellen Handlungen, unterscheidet zwischen geklärten und unaufgeklärten Fällen und hält die Zahl der Tatverdächtigen fest. 95 Prozent der Fälle werden der Behörde durch Anzeigen bekannt. Viele Delikte (vor allem jene der Wirtschaftskriminalität bleiben unentdeckt).

Andererseits überzeichnet die Statistik das Ausmaß der Kriminalität etwas, denn im Zweifel wird bei Gericht das schwerere Delikt angezeigt. So werden beispielsweise manche als Morde angezeigte Straftaten vom Gericht als Totschlag oder Körperverletzung mit tödlichem Ausgang qualifiziert. Auch bei der Zahl der Tatverdächtigen können die Werte zu hoch liegen. Hat nämlich jemand mehrere Delikte in einem Jahr begangen, so wird er mehrfach als Verdächtigter ausgewiesen.

Wie sieht nun aber die Entwicklung in den letzten zehn Jahren aus? Von 1983 bis 1989 wenig Veränderung, seither steigende Werte: zwischen 1990 und 1992 ein Plus von 14,6 Prozent bei den Verbrechen und von 5,0 Prozent bei den Vergehen. Die Gesamtzahl der Delikte (ohne Berücksichtigung jener im Straßenverkehr) stieg um 7,8 Prozent.

Besonders ins Gewicht fällt der Anstieg bei den Einbrüchen (um 13,5 Prozent). Hier schlagen sich vorallem Kfz- und Fahrraddiebstähle nieder. 1992 weist die Kriminalitätsstatistik 119.214 Verbrechen und 363.225 Vergehen aus, also fast eine halbe Million Delikte: 17 Prozent sind gegen Leib und Leben, 68 gegen fremdes Vermögen und nur 0,7 Prozent gegen die Sittlichkeit gerichtet. Die Dominanz der Eigentumskriminalität ist mit 93 Prozent bei Verbrechen besonders augenscheinlich. Hier spiegelt sich eine Besonderheit des österreichischen Strafrechts, das jeden Einbruch als Verbrechen qualifiziert, wider.

IN WIEN DIE HÖCHSTEN WERTE

Die regionale Verteilung der Kriminalität ist durch die Sonderstellung Wiens gekennzeichnet: 35 Prozent aller in Österreich bekanntgewordenen Delikte ereigneten sich in der Bundeshauptstadt. In ihr liegt auch die Kriminalitätsbelastung bei weitem am höchsten: 11.600 Delikte je 100.000 Einwohner, also etwa eines auf 100 Einwohner. Im Burgenland liegt der entsprechende Wert bei 3.100 (drei auf 1.000 Einwohner). Eines machen die Daten jedenfalls klar: die wenigsten Delikte werden im ländlichen Raum begangen: im Bezirk Mattersburg und Güssing (um 2.000), Jennersdorf, Waid- hofen/Thaya, Steyr/Land, Murau und Hermagor (um 2.500).

Auffallend ist weiters, daß die Kriminalität am raschesten in Wien steigt (um 52 Prozent von 1983 bis 1992), ganz allgemein aber im Osten des Landes dynamischer ist als im Westen. Bei der Bewertung dieser Daten muß allerdings berücksichtigt werden, daß die Kriminalitätsbelastung sich auf die jeweils in den Bezirken und Ländern gemeldete Bevölkerung, nicht aber auf die tatsächlich anwesende bezieht. Damit sind die Wiener Werte sicher etwas überhöht (die Zahl der in Wien Anwesenden ist ja durch Fremdenverkehr und Pendler weit größer als die Wohnbevölkerung).

Dem steht gegenüber, daß die Aufklärungsquote in Wien mit 30 Prozent mit Abstand am niedrigsten ist (in Vorarlberg und im Burgenland hingegen bei 60 Prozent). Überall ist der Anteil der aufgeklärten Verbrechen in der letzten Dekade gesunken, besonders in den Jahren 1990 und 1991. Im Bundesdurchschnitt lag er zuletzt bei 45 Prozent. Besonders schwer aufzuklären sind etwa Sachbeschädigungen und Einbruchsdiebstähle.

Eine sehr hohe Aufklärungsquote (sie liegt bei über 90 Prozent) gibt es hingegen bei den Verbrechen gegen Leib und Leben. Ihre Zahl lag zuletzt bei 432 (davon 191 Morde), was einen Anstieg von 5,6 Prozent zwischen 1990 und 1992 darstellt. Diese besonders schweren Delikte spielen somit zahlenmäßig im kriminellen Geschehen eine nur untergeordnete Rolle. Allerdings stehen sie durch die Medienberichterstattung im Blickpunkt der Öffentlichkeit.

Ein Blick in die Boulevard-Presse bestätigt dies. In der vorletzten September-Woche waren gleich dreimal Verbrechen das Thema von Schlagzeilen auf den Titelseiten: „Bombenleger ist ein Erpresser“ (Krone), „Mörder sollte Ehemann töten“ (Krone), „Krieg der Ost-Mafia greift jetzt auf Österreich über - Geschäftsmann durch MP-Salve getötet“ (Kurier). Dadurch entsteht im allgemeinen Bewußtsein der falsche Eindruck, die Sicherheit des einzelnen sei relativ stark gefährdet.

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