Mais - © Foto: picturedesk.com / ChromOrange / BeJo Schmitz

Österreich als Erosions-Hotspot: „Vorsicht, dünne Haut!“

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Österreich gilt europaweit als Erosions-Hotspot. Der Hydrologe Elmar Schmaltz über gefährdete Feldfrüchte, alleingelassene Landwirte und nötige Schutzmaßnahmen.

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Österreich gilt europaweit als Erosions-Hotspot. Der Hydrologe Elmar Schmaltz über gefährdete Feldfrüchte, alleingelassene Landwirte und nötige Schutzmaßnahmen.

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Das Bewusstsein für die fortschreitende Bodenversiegelung ist zuletzt stark gewachsen. Die problematischen Folgen der Erosion hingegen sind bislang wenig beachtet. Elmar Schmaltz, Leiter der Abteilung „Hydrologie kleiner Einzugsgebiete und Erosion“ beim Bundesamt für Wasserwirtschaft, arbeitet mit Modellrechnungen und schätzt, dass in Österreich jährlich sechs Tonnen Boden pro Hektar durch Erosion verlorengehen. Durch natürliche Prozesse werden jedoch nur ungefähr 0,6 Tonnen wieder aufgebaut. Wird diese Bilanz nicht ausgeglichen, entstehen ökologische sowie ökonomische Probleme. DIE FURCHE hat in einem Online-Interview nachgefragt.

DIE FURCHE: Liegt die Bodenerosion an der Topografie Österreichs oder bewirtschaften wir unser Land falsch?
Elmar Schmaltz:
Es gibt Gegenden in Österreich, die kaum erosionsgefährdet sind. Regionale Erosionsschwerpunkte sind der Alpenvorraum und hügelige Gebiete. Im Weinviertel etwa gibt es fruchtbare Böden, die intensiv landwirtschaftlich genutzt werden. Bewirtschaftet man diese Flächen falsch, verstärkt man die natürliche Erosion. In der Südoststeiermark wachsen etwa Ölkürbisse und Silomais, der zu Schweinefutter wird. Das ist ein Problem für den Boden der Region, wenn er nicht zusätzlich vor Erosion geschützt wird. Man kann sich das so vorstellen: Eine Pflanzendecke schützt den Boden vor Regen, wie wir uns mit einem Regenschirm schützen. Mais wird in breiten Reihen angebaut, reift spät und bedeckt damit kaum den Boden. Dadurch hat er wenig Schutz und kann leichter abgetragen werden.

DIE FURCHE: Jetzt könnte man sagen: Boden gibt es ja genug. Warum sollte uns das interessieren?
Schmaltz:
Viele Menschen in Österreich haben Boden nicht auf dem Schirm. Dabei ist er nicht Dreck, sondern die Grundlage für unsere Lebensmittelproduktion, ein Ökosystem und der größte terrestrische Kohlenstoffspeicher unserer Erde. Die Europäische Union sagt: Eine gesunde Gesellschaft braucht gesunde Böden. Wir verlieren diese dünne Haut, die wichtig für das Weltklima ist. Das passiert auch durch Wassererosion, also wenn sich Bodenpartikel ablösen und umlagern.

DIE FURCHE: Die Klimakrise bringt längere Dürreperioden und heftige Niederschläge. Welchen Einfluss hat das auf die Bodenerosion?
Schmaltz:
Für Erosionsforscher ist der wichtigste Indikator die Intensität von Niederschlag. Seit ein paar Jahren zeigen die Daten, dass es längere Trockenperioden und dann extrem starke Niederschläge gibt. Bisher können wir allerdings nur anhand von Einzelfällen sehen, dass es schlimmer wird. Das Problem bei Dürre ist, dass viel Wasser verdunstet und die Erde sich aufheizt. Ein nackter Boden im Hochsommer hat bis zu 60 Grad. Dadurch sterben Bodenlebewesen ab. Das bedeutet, weniger organisches Material wird in den Boden eingearbeitet und damit wenig neuer Boden aufgebaut. Dazu kommt, dass durch starke Hitze mehr Humus abgebaut wird, der das Wasser aufnehmen könnte. Nach Starkregen kann man die Auswirkungen auf dem Feld selbst beobachten: Dann sieht der Boden glattgeschmirgelt aus. Das ist so, weil die Bodenpartikel von einem Teil des Ackers die Poren eines anderen Teils verstopfen. Im schlimmsten Fall führt das zu Überschwemmungen.

DIE FURCHE: Und was bedeutet das für die Ernährungssicherheit unserer Kinder und Enkel?
Schmaltz:
Ein gesunder Oberboden ist voller Kohlenstoff und Nährstoffe, die Pflanzen brauchen. Je mehr Erosion passiert, desto mehr Oberboden geht verloren und desto schlechter geht es den Pflanzen. Landwirte werden künftig wohl mehr Probleme haben, dieselben Ertragsmengen zu liefern. Bodenverlust kann man durch Düngen ein bisschen kompensieren. Wir können aber nicht ewig weiterdüngen, um die gleiche Produktivität zu erhalten.

DIE FURCHE: Welche Folgen hat der Verlust von Oberboden für die Gewässer?
Schmaltz:
Ein Beispiel: Nicht weit von meinem Büro in Petzenkirchen fließt ein kleiner Bach. Seit sechzig Jahren misst man, wie viel Sedimente in ihn eingeschwemmt werden. Das war immer ein ähnlicher Wert. In den letzten zehn Jahren hat sich die Sedimentmenge jedoch vervierfacht. In den 1950er und 60er Jahren gab es mehr Bäume oder Hecken, die Hänge unterteilt haben. Die Schläge waren kleiner, und der Boden wurde besser bedeckt. Dann hat man Bäume entfernt, Felder zusammengelegt und sie mit größeren Maschinen bearbeitet. Auf längeren Hängen kann das Wasser freier fließen. Dadurch gelangen Sedimente und auch Nährstoffe wie Phosphor oder Gülle in den Bach. Das ist ein massives Problem für das Ökosystem – und auch für den Hochwasserschutz.

DIE FURCHE: Erosion bedeutet künftig also vermehrte Hochwassergefahr?
Schmaltz
: Erosionsschutz ist gleichzeitig auch Wasserrückhalt. Auch wenn es keine flächendeckenden Auswertungen über längere Zeiträume gibt, kann man sagen, dass die Sedimentkonzentration in den Gewässern gestiegen ist. Das bedeutet auch mehr Schlamm bei Hochwasser. Der liegt dann etwa in Retentionsbecken, wo weniger Fassungsvermögen für Wasser bleibt. In persönlichen Gesprächen ist zu merken, dass Bürgermeister den Bau von neuen Becken gerne vermeiden würden, weil das sehr teuer ist. So bekomme ich Konflikte mit, die in den Gemeinden durch mangelnden Erosionsschutz entstehen.

DIE FURCHE: Wie viele Retentionsbecken könnte man sich eigentlich sparen, wenn landwirtschaftlicher Boden das Wasser aufnehmen würde?
Schmaltz: Das Potenzial ist da – je nach den Voraussetzungen. Eine gute Lösung für das Problem wären Wassergenossenschaften. Dort könnten sich Landwirte, Gemeinde, lokale Betriebe oder Anwohner zusammenschließen. Gemeinsam könnte man Schutzmaßnahmen umsetzen. Das würde auch die Landwirte motivieren, die dann mit dem Problem nicht mehr alleingelassen wären.

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