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Paradoxe Doppelrolle eines reizenden Gases

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Jeden Sommer kommt die Angst vor dem Luftschadstoff Ozon. Unbegründete Hysterie oder Vorgeschmack auf den großen Umweltkollaps?

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Jeden Sommer kommt die Angst vor dem Luftschadstoff Ozon. Unbegründete Hysterie oder Vorgeschmack auf den großen Umweltkollaps?

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Hinter dem heißen Sommerthema „Ozon” verbergen sich gleich zwei schwierige Umweltprobleme: Unten am Boden macht Ozon als Atemgift zunehmend zu schaffen (Mitverursacher des „Treibhauseffektes”). Oben am Himmel bereitet die Ausdünnung der lebensrettenden Ozonschicht ebenfalls Kopfzerbrechen („Ozonloch”).

Hier Feind, dort Freund des Menschen. Ozon ist also nicht gleich Ozon, und diese paradoxe Doppelrolle muß auch getrennt betrachtet werden: Ozon ist ein Spurengas und natürlicher Bestandteil der Atmosphäre. Es ist durchsichtig, farblos, schlecht wasserlöslich und hat einen stechendem Geruch. Es ist giftiger als Zyankali, Strychnin oder Kohlenmonoxid.

Der Hauptanteil befindet sich 20 bis 50 Kilometer über dem Erdboden (Stratosphäre). Dort wirkt es als natürlicher Schutzmantel, indem es die lebensgefährliche ultraviolette (UV)-Strahlung der Sonne abhält. Die Menschen könnten allerdings in diesem Ozongemisch nicht überleben. Durch langsamen Luftaustausch gelangt Ozon auch auf den Boden. Die geringen Menge macht es für den Menschen unproblematisch.

Ozon entsteht aber auch auf künstlichem Weg durch menschliche Aktivitäten. Genauer gesagt, aus Luftschadstoffen durch chemische Prozesse unter Einwirkung von Sonnenlicht. Solche Stoffe sind vor allem sogenannte Vorläufersubstanzen wie Stickoxide und flüchtige Kohlenwasserstoffe. Erstere entstehen hauptsächlich bei Verbrennungsprozessen im Verkehr.

Übersteigt das Ozon bestimmte Konzentrationen, wird es für den Menschen gefährlich. Durch seine schlechte Wasserlöslichkeit kann der menschliche Körper Ozon nicht aufnehmen. Daher schädigt das Gas vor allem Organe, mit denen es primär in Verbindung kommt, nämlich die Augen und den Bronchialbereich. Dabei kann es zu einer Abnahme der Lungenfunktion, Beizung der Atemwegsorgane, biochemischen Veränderungen der Lunge und Allergien kommen. Die Schädigungen von Augen und Lunge sind meist reversibel. Nach einer Phase ohne Belastung erholen sich die Organe wieder.

Ozon-Konzentrationen werden entweder in ppb (parts per billion = Teile pro Milliarden Teile) oder in Milligramm (mg) pro Kubikmeter Luft angegeben. Die Vorwarnstufe gilt in Osterreich ab 0,200 Milligramm Ozon (100 ppb), Wamstufe eins ab 0,3 mg (150 ppb) und Warnstufe zwei ab 0,4 Milligramm (200 ppb) pro Kubikmeter Luft.

Da Ozon nicht direkt emittiert wird, sondern erst durch photochemische Prozesse entsteht, werden die höchsten Konzentrationen nicht in unmittelbarer Nähe der Emittenten gemessen, sondern - je nach Windstärke und -richtung - in mehr oder weniger großer Entfernung. Oft sogar in sogenannten Beinluftgebieten.

Paradox erscheint, daß gerade in Gebieten mit unmittelbarer Verkehrsbelastung die Ozonkonzentrationen relativ niedrig sind. Das liegt daran, daß Stickstoffmonoxid, das von Kraftfahrzeugen emittiert wird, das Ozon zerstört. Das dabei entstehende Stickstoffdioxid kann jedoch bei Sonneneinstrahlung zu Neubildung von Ozon beitragen. Daraus folgt auch, daß nachts (also ohne Sonneneinstrahlung), die Ozonkonzentrationen in der Nähe von Stickstoff-Emittenten besonders rasch sinken.

Auch Pflanzen sind zunehmend Opfer der Ozonattacken. Sie zeigen beispielsweise Schädigungen des Blattgewebes („Wetterflecken”) und andere Symptome negativer Beeinflussung. Diese Entwicklungen führen nun schon seit Jahren zu politischen Auseinandersetzungen, gegenseitigen Schuldzuweisungen und steigender Unsicherheit bei der Bevölkerung über wirksame Gegenstrategien (siehe dazu Seite 18).

Wie stellt sich demgegenüber das zweite Phänomen, das Ausdünnen der lebensnotwendigen stratosphärischen Ozonschicht, dar?

Auch hier steht eindeutig der Mensch als Sündenbock fest. Schon zu Beginn der siebziger Jahre haben Wissenschaftler auf Chlormengen in den oberen Luftschichten hingewiesen, die die Ozonschicht zerstören. Heute steht fest, daß diese von jenen Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKWs) stammen, die in Klimaanlagen, Spraydosen, Kühlschränken und so weiter . verwendet werden.

Am Boden sind diese Stoffe ungefährlich. Sie haben allerdings eine Lebensdauer bis zu 100 Jahren und gelangen nach sieben bis zehn Jahren hinauf in die Stratosphäre, wo sie durch die ultraviolette Strahlung zerlegt werden. Das freiwerdende Chlor zerstört das für uns lebenswichtige Ozon.

Ein regelrechtes „I^och” entdeckten Anfang der siebziger Jahre Wissenschaftler über der Antarktis. Satel-litenmeßungen der NASA zeigten, daß dieses Loch im Oktober weit über den antarktischen Kontinent hinausreicht. Danach schließt es sich wieder.

Die FCKW-Produktion wurde zwar in vielen Ländern mittlerweile verboten, die Gefahr ist durch die lange Lebensdauer der Schadstoffe in der Atmosphäre aber noch immer nicht gebannt.

Das hat jetzt auch die Wissenschaft herausgefordert. Mit Laser-Satelliten sei es möglich, das Ozonloch vom All aus zu stopfen, heißt es. Andere Pläne zielen auf das Versprühen von Chemikalien ab, um den „Ozonkiller” Chlor zu binden (siehe nebenstehende Beitrag und Seite 17).

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