Quanten Physik Hologramm - © Foto: iStock/koto_feja

Physik-Nobelpreis: Aufbruch in neue Sphären

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Die drei Physiknobelpreisträger 2022 haben ein rätselhaftes Terrain abgesteckt: Wie die Erforschung der Quanten das moderne Weltbild verändert hat. Ein Überblick.

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Die drei Physiknobelpreisträger 2022 haben ein rätselhaftes Terrain abgesteckt: Wie die Erforschung der Quanten das moderne Weltbild verändert hat. Ein Überblick.

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Es sind historische Szenen am Samstag, dem 10. Dezember, in der Schwedischen Akademie der Wissenschaften: Anton Zeilinger wird in Stockholm der Physiknobelpreis für seine Verdienste zur Erforschung der rätselhaften Quantenverschränkung verliehen – als erstem Österreicher seit 1945. Wie Wolfgang Pauli, der damals die Ehre hatte, erhält auch Zeilinger den Preis für seine Arbeit in der Quantenphysik. Zeilinger steht in der österreichischen Tradition der Quantenforschung, die mit Erwin Schrödingers berühmter Wellengleichung beginnt.

Doch nicht nur für die Physik hierzulande sind Quanten eine Erfolgsgeschichte: In der modernen Physik geht kaum mehr etwas ohne die Quantentheorie. Von den kleinsten, flüchtigsten Elementarteilchen bis zum gigantischen Herz der Sonne: Physiker nutzen Quanten, um Systeme auf verschiedensten Größenordnungen zu beschreiben, ausgeklügelte Verschlüsselungsverfahren zu entwerfen und die Computertechnologie zu revolutionieren. Quanten sind also überall. Umso überraschender, dass über hundert Jahre nach Entwicklung der Quantentheorie immer noch kein Konsens unter Physikern und Philosophen herrscht, wie ihre seltsamen Effekte zu verstehen sind.

Damit ist nicht gemeint, dass Physiker nicht wissen, was sie tun, wenn sie vorhersagen, wie sich etwa ein Atom verhalten wird, indem sie die Quantentheorie anwenden. Doch kommen in ihrer mathematischen Werkzeugkiste Objekte vor, von denen nicht klar ist, ob sie eine Entsprechung in der realen Welt haben. Ein Beispiel: Fliegen Elektronen auf einen Doppelspalt, so beschreibt die Quantentheorie das mit Überlagerungszuständen, die letztlich eine Addition der beiden Möglichkeiten ist, also dass das Elektron durch den rechten oder linken Spalt geht. Doch wer sagt, dass die Elektronen tatsächlich durch beide Schlitze gehen – und dieses seltsame Doppelverhalten nicht nur Teil unserer Beschreibung ist?

Einstein, Bell und die Folgen

Seit den Anfängen der Quantenforschung gibt es Stimmen, die die Realität solcher und anderer Quanteneffekte anzweifeln. Diese Wissenschafter versuchen, die Teile der Theorie, die nicht mit unserer Alltagserfahrung zusammenpassen, „wegzuerklären“. Der berühmteste Vertreter dieser Gruppe war wohl Albert Einstein. Stein des Anstoßes war für ihn die Verschränkung. Sind etwa zwei Elektronen verschränkt, ruft eine Messung an einem Elektron sofort eine Änderung bei seinem Partner hervor, selbst wenn die ganze Lichtstraße zwischen ihnen läge – jedenfalls scheinen das unsere Beobachtungen zu zeigen.

Auch heute herrscht unter Physikern und Philosophen noch immer kein Konsens, wie die seltsamen Effekte der Quantentheorie zu verstehen sind.

Für Einstein war diese Lesart der Verschränkung freilich untragbar. Immerhin untersagt seine berühmte Relativitätstheorie, dass sich irgendetwas schneller als Licht bewegen kann. Und bisher konnten Physiker und Astronomen auch noch keine Abweichung von Einsteins Theorie des Kosmos finden – wäre da nicht die Verschränkung. Denn woher weiß das eine Elektron, wie es sich anzupassen hat? Für Einstein roch die Sache nach überlichtschneller Kommunikation. Gemeinsam mit zwei Kollegen veröffentlichte er daher 1935 eine Theorie, wonach keine „spukhafte Fernwirkung“ am Werke sei: Laut Einstein konnte Verschränkung lokal erklärt werden.

Seine Idee: Die verschränkten Teilchen besäßen fixe Eigenschaften, die im Vorhinein festlegen, welche Ergebnisse spätere Messungen zeigen würden. Freilich, solche lokalen Eigenschaften wären sehr speziell, doch nachdem die Teilchen einmal getrennt wären, bräuchten sie so nicht mehr miteinander kommunizieren, und der Widerspruch zur Relativitätstheorie wäre gelöst. Doch wenn das wahr ist, erkannte später der Physiker John Steward Bell, so müssten diese Teilchen gewissen statistischen Gesetzen folgen: den Bell-Ungleichungen. In Folge entwickelte die Physikergemeinde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Experimente, um zu überprüfen, ob die Natur die Bell’schen Ungleichungen einhält oder nicht. Und tatsächlich: Wie die beiden heurigen Physiknobelpreisträger Alain Aspect und John Clauser zeigen konnten, werden Bells Gesetze verletzt. Daher kann Verschränkung nicht richtig mit lokalen Eigenschaften beschrieben werden – Einstein irrte sich. Doch wie sich bald zeigte, war es gut, dass der weltberühmte Physiker nicht recht behielt.

Das Rätsel der Verschränkung ist natürlich nicht mit der Feststellung gelöst, dass sie nicht durch lokale Eigenschaften erklärbar ist. Jedoch ist das Terrain dank Bells theoretischer Überlegungen und der kongenialen Experimenten von Aspect und Clauser abgesteckt: Wie auch immer Verschränkung funktioniert, so wie Einstein dachte, kann es nicht sein. Ihre Arbeiten zeigen zumindest, wie die Quantenwelt nicht ist. Doch haben wir damit erst einmal eine etwas bessere Vorstellung von Verschränkung, können wir dieses Phänomen nutzen. Anton Zeilinger hat mit seiner Forschung die Grundlagen dafür geliefert.

Teleportation – ganz ohne Scotty

Der Name Quantenteleportation ist unglücklich: Bei dieser von Zeilinger erstmals demonstrierten Prozedur kommt man tatsächlich ohne Scotty aus, denn transportiert wird keine Materie, sondern der Zustand eines Teilchens. Nehmen wir an, ein Quantenteilchen wäre wie ein gezinkter Würfel, der bevorzugt eine Sechs zeigt. Mithilfe eines verschränkten Paares ließe sich dieser Zustand auf ein anderes, möglicherweise weit entferntes Teilchen übertragen, das nach der Teleportation nun ebenfalls häufig auf Sechs landen würde. Dafür würde sich das erste Teilchen jetzt wie ein „fairer“ Würfel verhalten, der alle Zahlen gleich häufig zeigt.

Bei diesem Prozess handelt es sich deshalb um Teleportation, da das erste Quantenteilchen, der Sender, nie direkt mit dem zweiten Teilchen, dem Empfänger, in Kontakt stand. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass keine Information übertragen wurde – das würde tatsächlich Einsteins Relativitätstheorie verbieten. Jedoch verhält sich das zweite Teilchen nach der erfolgreichen Quantenteleportation so, wie es davor unser erstes Teilchen getan hat: eine Eigenschaft, die für die Konstruktion von Quantencomputern essenziell ist. Zeilingers Entdeckung ist daher ein wichtiger Beitrag zum Feld der Quantentechnologie.

Die Welt der Quanten ist eine gleichsam „sumpfige“ Sphäre. Die Arbeit der diesjährigen Physiknobelpreisträger wirft Licht auf die Bedeutung der Verschränkung und geht erste Schritte hin zur Anwendung dieser Phänomene. Es bleibt spannend, welche Pfade sich in der unwegsamen Quantenwelt noch er­öffnen werden.

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