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Politik gegen das Recht?

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In der Ausgabe der ,Furche“ vom 12. November 1966 erhebt Dr. Anton Pelinka in einem mit „Der Rechtsstaat als Fassade“ überschriebenen Artikel gegen die österreichischen Staatsanwaltschaften und das Bundesministerium für Justiz schwere Vorwürfe. Der Autor wirft diesen Behörden im Strafverfahren gegen Dr. Norbert Burger vor, einen der tragenden Grundsätze des österreichischen Strafverfahrens, nämlich das Legalitätsprinzip, aus „unbegreiflicher Nachlässigkeit“ und „verhängnisvoller Nichtaktivität“ mißachtet zu haben, und beschuldigt, wie sich aus dem Inhalt seines Aufsatzes mit dessen Überschrift ergibt, die österreichische Justizverwaltung der Doppelzüngigkeit. Als verantwortlicher Leiter des Justizressorts kann ich diese in einer angesehenen Wochenschrift erhobenen Vorwürfe um so weniger hinnehmen, als der Aufsatz geeignet ist, das Vertrauen in Österreich als einen Rechtsstaat zu erschüttern.

Dr. Norbert Burger wurde bereits in einem gegen ihn ursprünglich beim Landesgericht für Strafsachen in Graz wegen Verbrechens nach dem Sprengstoffgesetz anhängigen Strafverfahren seinerzeit auf Grund eines Gerichtsbeschlusses gegen Gelöbnis enthaftet. Die von Dr. Burger vor einiger Zeit im Deutschen Fernsehen und in einigen Druckwerken gegebenen Interviews wurden von den zuständigen Anklagebehörden zum Gegenstand von Untersuchungshandlungen gemacht. Dr. Pelinka behauptet nun, Dr. Burger gehöre hinter Schloß und Riegel, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für seine Verhaftung „ohne Zweifel im Übermaß gegeben“ seien.

Sorgfältig geprüft

Wie liegen die Dinge nun Wirklich? Ich kann Herrn Dr. Pelinka, den Lesern der „Furche“ und der Öffentlichkeit versichern, daß die Frage der Haft des Dr. Burger sowohl von der zuständigen Staatsanwaltschaft und Oberstaatsanwaltschaft als auch vom Bundesministerium für Justiz sorgfältig geprüft wurde, und zwar mit dem Ergebnis, daß keine hinreichenden Haftgründe gegeben sind. Die Frage der Haft Dr. Burgers wurde auch in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Inneres erörtert und in der Bundesregierung diskutiert, wobei das Ergebnis das gleiche blieb: Keine hinreichenden Gründe für eine Haft Selbstverständlich kann in einem Rechtsstaat die Prüfung der Haftfrage nur auf Grund des Gesetzes erfolgen und sie ist auch im vorliegenden Fall nur auf Grund des Gesetzes erfolgt. Zweckmäßigkeitserwägungen etwa in der Richtung, ob es nicht angezeigt wäre, über Dr. Burger eine Art Schutzhaft zu verhängen, können nur in totalitären Staaten angestellt werden, aber nicht in einem Staat, der das Legalitäts prinzip hochhält. Das ergibt sich aus Wortlaut und Geist der österreichischen Strafprozeßordnung, vor allem aber auch aus der Österreichischen Bundesverfassung und der im Verfassungsrang stehenden europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Weder die Anklagebehörden noch das Gericht eines Rechtsstaates könnten sich daher damit begnügen, einen Haftbefehl damit zu begründen, daß, wie Dr. Anton Pelinka dies behauptet, „ohne Zweifel Haftgründe im Übermaß“ gegeben sind. Es kann somit nicht die Rede sein von einer „unbegreiflichen Nachlässigkeit der Staatsanwaltschaften“, sondern es sind im Gegenteil alle Entscheidungen nach gewissenhafter

Prüfung des Falles und unter strikter Befolgung des Legalitätsprinzips ergangen. Daher kann auch nicht von einer „verhängnisvollen Nichtaktivität des Bundesministeriums für Justiz“ gesprochen werden; denn auch für den Justizminister und sein Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten gilt uneingeschränkt das Legalitätsprinzip, und er würde es auf das schwerste verletzen, wenn er entgegen der gesetzmäßigen Auffassung der Staatsanwaltschaft und der Oberstaatsanwaltschaft gesetzlose Weisungen zur Verhaftung eines Staatsbürgers erteilte.

Ein Freibrief?

Das heißt nun nicht, daß Dr. Norbert Burger einen Freibrief für seine künftige Tätigkeit besitzt. Jede seiner etwaigen politischen Handlungen in Zukunft wird unter dem Gesichtspunkt geprüft werden, ob sie sich im Rahmen der bestehenden Gesetze verhält oder ihn überschreitet. Im letzteren Falle wird auch stets neu die Haftfrage zu prüfen sein. Das gilt für jeglichen Fall ohne

Ansehen der Person. So geht es hier auch nicht um die Person des Doktor Norbert Burger, sondern um die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit im Bereich des Strafverfahrens!

Was mich selbst anlangt, so könnte Herr Dr. Pelinka wissen, daß ich in einer Reihe von Publikationen zur Genüge meine Überzeugung dargetan habe, daß Politik nur in den Formen der Rechtsstaatlichkeit getrieben werden kann.

Entpolitisierung

Die Forderung nach Entpolitisierung, wie ich sie verstehe, besagt keineswegs, daß die Politik überhaupt in ihrer für unser demokratisches Gemeinwesen lebensnotwendigen Aktivität beeinträchtigt werden soll. Insofern allerdings, als die Politik, wie gesagt, nur in den Foremen der Rechtsstaatlichkeit getrieben werden soll, bedarf sie einer „Entpolitisierung“ gegenüber allen Bestrebungen, die glauben, Politik treiben zu können, ohne das Recht zu beachten, wie offenbar der Schreiber des Artikels sie vertritt. Ich glaube, mich mit meiner Haltung zumindest mit allen jenen Ideen im Einklang zu befinden, die bis jetzt auf dem Boden der katholischen Soziallehre vertreten worden sind, der sich, bisher jedenfalls, doch offenbar auch die „Furche“ verpflichtet gefühlt hat.

Maßnahmen gegen Antisemitismus

Herr Dr. Pelinka urgiert auch Maßnahmen gegen den Antisemitismus. Hierzu möchte ich auf folgendes hinweisen: Die Konsultativversammlung des Europarates hat im Jänner 1966 eine Resolution gefaßt, die auf die Schaffung einheitlicher Rechtsvorschriften gegen die Verhetzung aus Gründen der Nationalität, Religion oder Rasse im Rahmen des Europarates abzielt. Diese Bestrebungen halte ich für so bedeutsam, daß ich sie knapp nach meinem Dienstantritt auf der 4. Konferenz der europäischen Justizminister im Mai 1966 in Berlin zum Gegenstand einer. Initiative machte, die auch den Erfolg hatte, daß die Justizministerkonferenz dem Ministerkomitee des Europarates in Form einer einhelligen Entschließung das Studium dieser Frage empfahl. Wie ich bereits mehrmals in der Öffentlichkeit erklärt habe, sollte mit der Schaffung einer Strafbestimmung gegen Verhetzung in Österreich noch so lange zugewartet werden, bis die Arbeiten des Europarates zu einem greifbaren, für seine Mitgliedstaaten verbindlichen Ergebnis geführt haben, es sei denn, daß anderweitige Umstände oder eine Verzögerung der Arbeiten auf dieser internationalen Ebene dazu zwingen, in Österreich schon früher legislative Maßnahmen zu ergreifen. Denn es wäre mißlich, wenn eine so bedeutsame Strafbestimmung etwa schon kurze Zeit nach ihrer Gesetzwerdung auf Grund anderslautender Empfehlungen auf internationaler Ebene in Österreich wieder veändert werden müßte.

Die falsche Adresse

Im übrigen darf ich Herrn Doktor Pelinka und die Leser seines Aufsatzes auch daran erinnern, daß für etwaige Versäumnisse auf einem bestimmten Gebiet der Gesetzgebung nicht der Ressortminister verantwortlich ist; liegt doch die Gesetzesinitiative bei der gesamten Bundesregierung und darüber hinaus beim Nationalrat. Was mich immer wieder an der österreichischen „öffentlichen Meinung“ überrascht, ist, daß kaum ein offener Wunsch an andere Or- . ganė des Staates und der Gesellschaft gerichtet wird als an die Bundesregierung. Eigentlich sollte man doch annehmen, daß Wünsche nach einer gesetzlichen Aktivität unmittelbar an unser Parlament erhoben werden, das bekanntlich nicht auf die Gesetzesinitiative der Bundesregierung angewiesen ist. Aber vielleicht ist auch dafür der Grund in jener aus alten Zeiten stammenden „Amtskappel“-Mentalität zu suchen, die „Die Furche“ mit Recht so oft angeprangert hat.

Abschließend betone ich, daß das Bundesministerium für Justiz der „Furche“ immer gern zur Verfügung steht, wenn es sich darum handelt, der Öffentlichkeit ein sachrichtiges Bild über eine Angelegenheit zu vermitteln, die in den Wirkungsbereich dieses Bundesministeriums fällt.

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