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Problematik der modernen Physik

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n nur drei Elementarteilchen (Proton, Neutron und Elektron) im Atom zurückgeführt. Nimmt man noch hinzu, daß Proton und Neutron nur verschiedene Zustände ein und desselben Kembausleins schlechthin sein dürften (nicht im Kern gebundene Neutronen zerfallen nach einiger Zeit spontan in ein Proton und ein Elektron), so erkennt man, welch ungeheurer Fortschritt hier im Sinne des ursprünglichen atomistischen Konzepts erreicht wurde. Aber nicht genug damit: Es gelang beim Auftreffen extrem schneller Geschosse auf Atomkerne die Bildung neuer Elementarteilchen, der Mesonen, durch Umwandlung der Energie der Geschosse zu beobachten und derartige Vorgänge auch künstlich hervorzurufen. Mit einem Wort — wir sind, wie Heisenberg es treffend bezeich- nete, nach der Kernchemie, der Umwandlung der Elemente ineinander, bei der dritten und höchsten Stufe der Chemie, der Erzeugung von Elementarpartikeln aus Energie angele įgt. Alles materielle Sein, Mcyjse und Er; -rrgie, scheinen letztlich nur verschiedene, nach bestimmten Gesetzen ineinander umwandelbare Erscheinungsformen eines letzten Urstoffes zu sein.

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n nur drei Elementarteilchen (Proton, Neutron und Elektron) im Atom zurückgeführt. Nimmt man noch hinzu, daß Proton und Neutron nur verschiedene Zustände ein und desselben Kembausleins schlechthin sein dürften (nicht im Kern gebundene Neutronen zerfallen nach einiger Zeit spontan in ein Proton und ein Elektron), so erkennt man, welch ungeheurer Fortschritt hier im Sinne des ursprünglichen atomistischen Konzepts erreicht wurde. Aber nicht genug damit: Es gelang beim Auftreffen extrem schneller Geschosse auf Atomkerne die Bildung neuer Elementarteilchen, der Mesonen, durch Umwandlung der Energie der Geschosse zu beobachten und derartige Vorgänge auch künstlich hervorzurufen. Mit einem Wort — wir sind, wie Heisenberg es treffend bezeich- nete, nach der Kernchemie, der Umwandlung der Elemente ineinander, bei der dritten und höchsten Stufe der Chemie, der Erzeugung von Elementarpartikeln aus Energie angele įgt. Alles materielle Sein, Mcyjse und Er; -rrgie, scheinen letztlich nur verschiedene, nach bestimmten Gesetzen ineinander umwandelbare Erscheinungsformen eines letzten Urstoffes zu sein.

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Das naiv-anschauliche Bild der heutigen Atomphysik, das hier angedeutet wurde, verrät jedoch nichts von den großen grundsätzlichen Schwierigkeiten, die bei seiner Aufstellung zu überwinden waren, und um die heute noch die Diskussion führender Gelehrter geht.

Den Ausgangspunkt der exakten Naturwissenschaft bildet die Mechanik Newtons, die gern als die .klassische“ bezeichnet wird. Sie gestattet prinzipiell, den Zustand eines mechanischen Systems für alle Zeiten vorauszuberechnen, wenn nur zu irgendeinem Zeitpunkt Ort und Geschwindigkeit aller Massenteilchen bekannt sind. Die bekannte Fiktion eines Laplaceschen Geistes erweiterte diese grundsätzliche Vorausberechenbarkeit und damit auch Vorausbestimmtheit auf den gesamten Ablauf der Welt (Determinismus). Wie weit diese rationalistischen Gedankengänge Allgemeingut geworden sind ’ und das Ideal einer .exakten“ Wissenschaft darstellten, zeigte sich, als die Weiterentwicklung gerade der Physik die Gültigkeit dieser Ideen in Frage stellte. Dabei sind die Grundgedanken dieser Kritik des Determinismus durchaus einleuchtend:

Die klassische Physik setzte voraus, daß unsere Kenntnisnahme etwa des Ortes eines kleinen Teilchens ohne Einfluß auf das Teilchen selbst bleibe, das heißt,' anders ausgedrückt, die messende Feststellung des Ortes das Teilchen selbst nicht „stört“. Zwar war man sich bewußt, daß unsere Wahrnehmung eines geeigneten Mediums, zum Beispiel des Lichtes, bedarf, um überhaupt etwas feststellen zu können. Die Wirkung aber, die eben dieses Licht auf das beobachtete Teilchen ausübt, glaubte man stets vernachlässigen zu können, wenn man nur die Intensität des Lichtes hinreichend schwäche.

Den ersten Schritt zur Begründung der neuen Atomphysik bedeutete Max Plancks Entdeckung der Energiequanten (1900). Sie besagt, daß der Austausch von Energie im atomaren Bereich nicht kontinuierlich in beliebig kleinen Beträgen vor sich gehe, sondern sprunghaft um endliche Energiebeträge erfolge, die zwar für die makroskopische Betrachtung als unendlich klein angesehen werden können, für ein Einzelatom aber durchaus nennenswerte ruckartige Energieänderungen bedeuten. Was dies für die besprochene Messung des Ortes eines Teilchens bedeutet, wenn es sich zum Beispiel um ein Elektron handelt, liegt auf der Hand: Der Einfluß des zur Beobachtung nötigen IJchtes kann eben gar nicht so klein gemacht werden, daß er das Elektron nicht „stört“. Entweder es tritt keine Wechselwirkung zwischen Licht und Elektron ein, dann ist aber auch eine Ortsmessung mittels des Lichtes unmöglich; oder es tritt eine Wechselwirkung ein, das herßt ein Lichtquant wird an dem Elektron gestreut, dann bedeutet dies aber eine Änderung der Geschwindigkeit des Elektrons und damit seines ursprünglichen Zustandes.

Wie schwierig diese jetzt vielleicht naheliegend erscheinende Folgerung aus der Quantenhypothese tatsächlich zu ziehen war, zeigt am besten, daß ein Vierteljahrhundert verging, bis sie eine strenge Formulierung in den U n-schärferelationen Heisenbergs fand. Diese besagen, daß durch die Störung eines atomaren Vorgangs durch den Meßvorgang selbst fie gleichzeitige Messung fcum Beispiel von Ort und Impuls eines Teilchens mit einer prinzipiellen Ungenauigkeit behaftet ist und daß das Produkt der „Unschärfen dieser beiden Meßresultate eine bestimmte Grenze nicht unterschreiten kann. Das heißt: je genauer ich die eine Größe messe, desto ungenauer wird die gleichzeitige Messung der anderen. Vielleicht wird aus dieser Ausdrucksweise noch nicht klar, welch radikale Änderung unserer Vorstellung dies bedeutet. Es bedeutet nichts weniger, als daß wir die übliche Vorstellung von einem Teilchen, das eine Bahn durchläuft, aufgeben und statt dessen nur von einer von Ort zu Ort verschiedenen Auf- enthaltswahrsdieinlichkeit des Teilchens sprechen können. Während sich zumindest die Physiker in diesem Fall an die neue Vorstellung schon gewöhnt haben, führt die Anwendung der Unschärferelation auf das Größenpaar Energie und Zeit zu so drastischen Komplikationen mit unseren Denkgewohnheiten über die zeitliche Reihenfolge von Ereignissen, daß selbst radikale Denker wie Heisenberg davor noch etwas zurückschrecken.

Das mathematische Schema, das diesen prinzipiellen Unbestimmbarkeiten Rechnung trägt und für dessen Begründung Heisenberg der Nobelpreis zuerkannt wurde, wird als Quantenmecha- nik bezeichnet. Ihre Gesetze unterschieden sich, wie schon angedeutet, in einem Punkt grundsätzlich von . denen der New'tonschen Mechanik: sie erlauben nur Wahrscheinlichkeitsaussagen über das Verhalten eines Einzelteilchens. Man berechnet zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, daß ein bewegtes Elementarteilchen von einem Atomkern unter einem bestimmten Winkel gfestreut wird. Damit kann man, wenn es sich um viele Teilchen handelt, genau die Häufigkeit Voraussagen, mit der die einzelnen Streu- winkel Vorkommen werden — und dies ist es gerade, was auch experimentell beobachtet werden kann. Aber den Streuwinkel zu berechnen, den gerade dieses eine Teilchen einschlagen wird, ist unmöglich. übrigens: „gerade dieses eine Teilchen! Hat es nach diesen Vorstellungen überhaupt noch einen angebbaren Sinn, von „diesem“ Teilchen zu reden? Elementarteilchen kann man weder mit Nummernschildern versehen, noch hat man nach der Unsdiärferelatipn eine Möglichkeit, es durch seinen Aufenthaltsort zu einem bestimmten Zeitpunkt zu charakterisieren. Denn würde man diesen Ort ganz genau messen, so könnte man wieder gar nichts über die momentane Geschwindigkeit des Teilchens aussagen, und wie will man dann wissen, wo sich „dieses Teilchen einen Augenblick später befindet? — Trotz dieser anschaulichen Schwierigkeiten hat die quantenmechanische Behandlung atomphysikali- sdfer Probleme in zahlreichen Fällen, in denen die' klassische Berechnung versagte, eine ausgezeichnete Übereinstimmung mit der Erfahrung ergeben. Wo diese noch nicht erzielt werden konnte, liegt dies vielleicht weniger oft an der Unzulänglichkeit ihrer Ansätze als . an der praktischen Unlösbarkeit der mathematischen Probleme, vor die sie uns stellt.

Doch um physikalische Fragen geht heute gar nicht der Streit der Verfechter und Kritiker der modernen Atomtheorie, sondern vielmehr um die naheliegende erkenntnistheoretische nach dem Erkenntniswert, der Endgültigkeit der Quantenmechanik. Handelt es sich hier um eine vorläufige Lösung, die bei späterer besserer Einsicht in die Zusammenhänge durch eine andere, weniger radikalė, ersetzt werden kann, oder muß Anschaulichkeit und strenge Berechenbarkeit des atomaren Einzelgeschehens endgültig aufgegeben werden? — Wenn die erstere Möglichkeit auch nicht logisch ausgeschlossen werden kann, so muß doch gesagt werden, daß außer dem begreiflichen Wunsch — auch mancher Physiker —, Anschaulichkeit und Objektivier- barkeit der physikalischen Vorstellungen zu retten, derzeit kaum etwas dafür spricht. Vor allem könnte ja dje Überwindung des Steins des Anstoßes, der Unschärferelationen, doch wohl nur durch die Aufdeckung einer neuen noch feineren Struktur des materiellen Seins erfolgen, die uns bisher verborgen geblieben ist. Dann ist es aber doch sehr naheliegend, anzunehmen, daß bei diesen noch zarteren Gebilden erst recht die Beobachtung den Vorgang stftren würde, womit das Problem nicht gelöst, sondern nur verschoben wäre.

Will man also dem heute erreichten Stand der physikalischen Erkenntnis gerecht werden, so wird man' annehmen müssen, daß die Vorgänge im atomaren Bereich nicht unabhängig von unserer Kenntnis über sie sind, weil ja, wie Heisenberg es ausdrückte, unsere Wissenschaft nicht von der Natur selbst, sondern von unserer Kenntnis von der Natur handelt. Und im gleichen Sinne wird man zugeben müssen, daß ein Determinismus in den atomaren Vorgängen keine Grundlage mehr im heutigen Gebäude der Physik besitzt und, da gelegentlich atomare Ereignisse auch zu makroskopischen Wirkungen führen können, auch hier . keine strenge Vorausberechenbar- keit mehr aufrechteihalten werden kann.

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