Die Psycho-Baustelle
FOKUSPsychotherapie: Ein Studium wie jedes andere?
Die Psychotherapie-Ausbildung könnte künftig an die öffentlichen Universitäten wandern. Das Vertrauen in die Akademisierung ist jedoch gerade in diesem Fall zu hinterfragen. Ein Gastkommentar.
Die Psychotherapie-Ausbildung könnte künftig an die öffentlichen Universitäten wandern. Das Vertrauen in die Akademisierung ist jedoch gerade in diesem Fall zu hinterfragen. Ein Gastkommentar.
Vor etwa 32 Jahren schrieb ich zum damals neuen österreichischen Psychotherapie-Gesetz einen Kommentar, in dem ich den damaligen Kanzler Vranitzky in einer Persiflage durch mehrere Facharztpraxen hetzte, um nachzuweisen, dass seiner Depression keine körperliche Erkrankung zugrunde liege. Nur dann besteht ein Anspruch auf kassenbezuschusste Psychotherapie. Die Regierung hatte damals offenbar einen Knicks vor der Ärzteschaft vollzogen und vor der zweiten Psychotherapie-Sitzung einen Arztbesuch verlangt, um physische Ursachen auszuschließen. Ob das so einfach festzustellen ist, war nebensächlich – es ging offenbar nur um den Krankenschein. Auch damals gab es also schon merkwürdige fachfremde Regelungen im Bereich der Psychotherapie.
Mit diesem Zuschuss von 21,80 Euro konnten einkommensschwache Betroffene sich übrigens jahrzehntelang (und bis heute mit neuerdings ganzen 28,93 Euro) ohnehin keine solche Behandlung leisten, außer über die beschränkten Plätze in einem der Ländermodelle. Dieser anhaltende gesundheitspolitische Missstand scheint der Politik aber weniger Kopfzerbrechen zu machen als die Neuregelung der Ausbildung, die offenbar wegen des „Wildwuchses“ an Angeboten in Verruf geraten ist – und nun durch ein eigenes Studium saniert werden soll.
Neoliberale Bildungspolitik
In Österreich gibt es ja eine geradezu inflationäre Zahl anerkannter Psychotherapie-Schulen (heute ganze 23!), während in Deutschland gerade mal fünf wissenschaftlich ausgewiesene Verfahren zugelassen sind. Böse Zungen meinen, die Aufnahme beispielsweise des „Neurolinguistischen Programmierens“ (NLP) hätte etwas mit der damals zeitgleichen Ausbildung einer scheidenden Ministerin zu tun gehabt ... Wie auch immer: Die Kräfte, die diese Inflation hierzulande bewirkt haben, sind vielleicht dieselben, die heute einen Wildwuchs an Ausbildungsangeboten und deren Qualität beklagen.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!