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R eichsgaue“ oder Bundesländer?

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Auf dem Gebiet des Finanzausgleiches herrscht seit der Wiederherstellung der österreichischen Eigenstaatlichkeit im wesentlichen ein gesetzloser Zustand. Das deutsche Recht und auch das im Jahr 1938 in' Geltung gestandene österreichische Recht verfielen der Außerkraftsetzung durch das Verfassungs-Überleitungsgesetz aus 1915, und nur das im Tahr 1931 erlassene ältere Finanzverfassungsgesetz, das aber teilweise überholt ist und nur Grundsätze für verschiedene Möglichkeiten zur tatsächlichen Ausführung des Finanzausgleiches enthält, steht wieder in Geltung. Der Entwurf eines Finanz-ausgleidhs-Übergangsgesetzes, das für die Jahre 1946/47 wirksam sein sollte, steht in der Volksvertretung seit geraumer Zeit in Verhandlung, die aber durch mancherlei Gegensätze ersdiwert und verzögert wird.

Der Entwurf des Bundesvoranschlags und des ihm vorangesetzten Bundesfinanzgesetzes für das Jahr 1947 suchen diese Lücke auszufüllen, indem die Bundesregierung ermächtigt wird, die im Kapitel VI „Finanzausgleich“' zusammengefaßten Leistungen des Bundes an die Länder, die Stadt Wien, die Gemeindenverbände und Gemeinden zu vollziehen. Diese Leistungen, die mit 150 Millionen Schilling (80 Millionen für die Länder, 70 Millionen für die Gemeindenverbände und Gemeinden) in gleicher Höhe wie für 1946 vorgesehen werden und, so wie dies im Jahr 1946 der Fall war, nach den Grundsätzen des Entwurfs zum Finanzausgleichsübergangsgesetz verteilt werden sollen, werden als „F i n a n z z u w e i s u n g e n“ bezeichnet. Sie gliedern sich in dem Durch-sdinittsbedarf Rechnung tragende allgemeine Zuweisungen und Zuweisungen für Fälle besonderen Bedarfes, auf die ein Fünftel der Gesamtsumme entfällt. Die Verteilung der allgemeinen Zuweisungen soll unter Berücksichtigung der Belastung mit Pflichtaufgaben und der eigenen Steuerkraft der Empfänger erfolgen, solange deren Ermittlung aber noch nicht möglich ist, im Anschluß an die zuletzt für das Jahr 1944 nach deutschem Recht verteilten Zuweisungen dieser Art. Im wesentlichen wird daher mit dieser Ordnung die Geltung des deutschen Rechts verlängert, was sicherlich ein wenig befriedigender Zustand ist. Er bedeutet auch einen Bruch mit der österreichischen Gesetzgebung bis 193 8, die das Verhältnis zwischen Bund und anderen Gebietskörperschaften im Rahmen , einer „verbundenen Steuerwirtschaft“ geregelt hatte. Auf ihrer Grundlage waren den nachgeordneten Gebietskörperschaften Ertragsanteile an den durch den Bund verwalteten „gemeinschaftlidicn Bundessteuern“ gewährt worden, deren Verteilung auf die Länder und Gemeinden im Verhältnis der in ihren Gebieten erzielten oder mutmaßlich erzielbaren Steuererfolge gesdiah. Der Zusammenhang zwischen eigener Steuerkraft und der Ertragsbeteiligung an Bundesstcuern blieb damit durchaus gewahrt; jede Körperschaft hatte mittelbar Anteil an den in ihrem Gebiet erzielten Steuererträgen. Die durch den Bund erfolgende Verwaltung dieser Steuern stellte sich als eine der Erzielung einheitlicher Steuerbelastung im Bundesgebiet dienende Maßnahme zum Nutzen der Volkswirtschaft dar, mit der sich auch große Vorteile in steuertechnischer Hinsicht verbanden. Diese Art der einheitlichen Erzielung, aber getrennten Verwendung der wichtigsten Steuererträge entsprach der verfassungsrechtlichen Stellung, der Eigenart und dem Geltungsbedürfnis der österreichischen Länder und Gemeinden ungleich besser, als die Gewährung und der Empfang der von jedem Steuertrag losgelösten, alljährlich mehr oder weniger willkürlich bestimmten Finanzzuweisungen, die die nachgeordneten Gebietskörperschaften als „Kostgänger“ des Bundes erscheinen lassen. Es ist allerdings zuzugeben, daß sich die Vorzüge der verbundenen Steuerwirtschaft vor allem in Zeiten einer ruhigen und günstigen Entwicklung der Steuereinnahmen erweisen, daß sie aber unter unsicheren Verhältnissen gewisse Gefahren für die Empfänger der Ertragsanteile in sich birgt, da diese Verluste aus einer ungünstigen Gestaltung der Steuereinnahmen mitzutragen haben, ohne jene Möglichkeiten eines Haushaltsausgleiches zu besitzen, die dem Bund offenstehen. Finanzzuweisungen mit festen Beträgen schützen vor solcher Gefahr, und es ist sehr bezeichnend, daß sie auch in Österreich in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg vorübergehend an Stelle der verbundenen Steuerwirtschaft getreten sind.

Trotzdem sollte das Ziel der Wiederherstellung dieser Einrichtung, die sidi im österreichischen Finanzausgleich in jahrzehntelanger Geltung durchaus bewährt hat und sein bezeichnendes Merkmal geworden ist, im Auge behalten werden. Die Besorgnis, daß die Zeit dafür noch nicht gekommen sei, erscheint vielleicht nicht mehr so begründet, da der Burtdesvoranschlag für das Jahr 1947, sicherlich wohlerwogen, die Steuereinnahmen überwiegend mit wesentlich höheren Beträgen veranschlagt, als dies für das Jahr 1946 der Fall war. Soweit sie aber dadurch noch nicht zerstreut erscheint, könnte für eine Ubergangszeit eine Verbindung zwischen einer Ertragsbeteiligung an Bundessteuereinnahmen und Finanzzuweisungen in der Form hergestellt werden, daß die nadigeordneten Gebietskörperschaften grundsätzlich Ertragsanteile erhalten, deren Höhe aber zunächst noch mit jenen Beträgen gewährleistet wird, die zuletzt als Finanzzuweisungen vorgesehen waren. Sollte die Erfahrung zeigen, daß die Ertragsanteile diese gewährleisteten Befrage dauernd übersteigen, könnte sich der Ubergang zur ausschließlichen Geltung der verbundenen Steuerwirtschaft ohne Gefahr für ihre Teilnehmer vollziehen.

Die Finanzzuweisungen bilden nur einen allerdings sehr wichtigen Teil der Einnahmen der Gebietskörperschaften, die sich auch aus eigenen Steuereinnahmen und, unter weiterer Anwendung deutschen Rechts, aus Umlagen auf nachgeordnete Verbände zusammensetzen. Über eine ausgebildete Steuerordnung verfügen derzeit allerdings nur die Gemeinden, denen mit der Grund- (und Gebäude-) Steuer, Gewerbesteuer und den an Stelle der aufgehobenen Bürgelsteuer durch den. Bund ausbezahlten Ausgleichsbeträgen drei erträgnisreiche Steuerquellen erschlossen sind, zu denen sich noch eine Reihe anderer Steuern (insbesondere Getränkesteuer, Vergnügungssteuer und Hundesteuer) gesellt. Dem Bedürfnis nach einheitlicher Gestaltung dieser Steuern im ganzen Bundesgebiet wird dadurch Rechnung getragen, daß Grund- und Gewerbesteuer auch weiterhin einheitlich geregelt und durch den Bund verwaltet bleiben, den Gemeinden also nur die Zuständigkeit zur alljährlichen Festsetzung der Hebesätze zukommt, und daß für andere Steuern einheitlich erlassene Mustersteuerordnungen mit (bedingtem) Anwendungszwang bestehen. Die Haushalte der erst in Entwicklung zu voller Selbstverwaltung begriffenen Gemeindenverbände (Kreise nach deutschem Recht) beruhen, abgesehen von den Finanzzuweisungen, vor allem auf einer Gemeindenverbandsumlage auf die kreisangehörigen Gemeinden, die auf diese nach ihrer Steuerkraft verteilt wird. Außerdem besitzen sie vereinzelte Steuerrechte (insbesondere Grunderwerbsteuerzu-sdilägc). Die Länder bleiben fast ganz auf die Finanzzuweisungen und eine Landesumlage auf die Gemeindenverbände (Stadt-und Landkreise) beschränkt. Sie hatten als ,.Reichsgaue“ ihre alten umfangreichen Besteuerungsrechte bisauf belanglose Rechte verloren — der ihnen überwiesene Ertrag der Feuerschutzsteuer des Bundes ist mit einer Zweckwidmung belastet — und dieser mit ihrer verfassungsrechtlichen Stellung nach österreichischem Recht schwer vereinbare Zustand ist bisher aufrecht erhalten worden. Dadeutsche Recht hatte das Schwergewicht ganz auf das Reich und die für bestimmte Zwecke zw Kreisen (Gemeindenverbänden) zusammengefaßten Gemeinden verlagert und die Länder als Reichsgaue bewußt zurückgedrängt und auch vieler Zuständigkeiten in der Verwaltung entkleidet. Nach österreichischer Auffassung muß eine derartige Verteilung der Besteuerungsrechte, die gerade im umgekehrten Verhältnis zur staatsrechtlichen Stellung und Bedeutung der drei Gruppen steht, als eine durchaus unnatürliche Ordnung bezeichnet werden. Ihr Bestand kann nicht von langer Dauer sein, wenn sich die Länder erst auf ihre Vergangenheit und ihre Stellung im Gesamtstaat besinnen. Auch die Schaffung eines Umlagenrechtes auf nadigeordnete Körperschaften ist die genaue Umkehrung der im alten österreichischen Finanzausgleich bestandenen Zuschlagsrechte nachgeordneter Körperschaften (der Gemeinden) zu Stammsteuern übergeordneter Verbände (der Länder), die dem natürlichen gegenseitigen Verhältnis dieser Gruppen besser entsprechen. Der derzeitige Rechtszustand im Finanzausgleich zeigt also für jeden Kenner der österreichischen Rechtsentwicklung bis zum Jahr 1938 durchaus fremdartig anmutende Züge, die mit dem allgemeinen Bemühen nach Wiederherstellung österreichischer Eigenart nicht in Einklang stehen, da sie sich nur auf dem Boden einer durchaus anders gearteten Staatsauffassung entwickeln konnten. Diese Tatsache sollte eine Mahnung an die Berufenen sein, nicht nur dem gesetzlosen Zustand möglichst bald ein Ende zu bereiten, sondern auch an Stelle des geplanten Finanzausgleichsübergangsgesetzes, das in Ermanglung entsprechender statistischer Unterlagen in seiner eigentlichen Gestalt in absehbarer Zeit ohnedies kaum durchführbar sein wird, eine endgültige und bodenständige Ordnung zu setzen, die den Weg zu in der Vergangenheit bewährten Einrichtungen unter Berücksichtigung der außerordentlichen Zeitumstände findet.

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