Religion auf dem Seziertisch

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Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Konzert und lauschen gebannt einem berührenden Konzert. Die Musik verzaubert Sie … und plötzlich klingelt ein Handy. Der Bann ist gebrochen, der Zauber zerstört. Mit diesem Bild beschreibt der US-Philosoph Daniel Dennett in seinem nun auf Deutsch erscheinenden Buch „Breaking the Spell“ („Den Bann brechen“) seine Absicht, religiöse Menschen durch das Feuer der Aufklärung zu jagen und so aus ihrer religiösen Verzückung zu reißen. Sein Buch möchte jenes Handy sein, aus dem heraus die bloße Vernunft so laut und durchdringend bimmelt, dass sie den faulen Zauber verpuffen lässt.

Dass eine solche Entzauberung Not tut, liegt für Dennett spätestens seit dem 11. September 2001 auf der Hand. Ob islamistische Selbstmordattentäter das World Trade Center zum Einsturz bringen oder „christliche Fundamentalisten“ eine Abtreibungsklinik in die Luft jagen – für Dennett ist klar, dass es die dunkle Seite der Religion ist, die hier ihre spätmoderne bestialische Fratze zeigt. Tatsächlich hat Religion in den USA niemals jenes Nischendasein fristen müssen, aus dem heraus sie derzeit etwa in Europa in eine weitgehend säkularisierte Umwelt hineinträufelt. Religion ist in den USA mehr als ein Faktor privater Moral und Sinnstiftung – sie ist Wirtschaftsmacht und Politikum, wie etwa das Werben Obamas und McCains um die Gunst evangelikaler Wähler beweist.

Religion entzaubert

Die These, die Dennett dabei auf langatmigen 500 Seiten entfaltet, lautet schlicht, dass Religion ein „natürliches Phänomen“ darstellt, d. h. ein Phänomen, das sich aus pragmatischen Gründen in grauer Vorzeit in unterschiedlichen kulturellen Umfeldern ausgebildet und mit evolutiver Zielsicherheit immer weiter ausdifferenziert und entwickelt hat. Der „Clou“: Wenn sich Religion somit wissenschaftlich entzaubern lässt, lässt sich auch ihre heutige Bedeutung relativieren. Denn Religion ist stets „janusgesichtig“: Sie dient als Lebensstütze, „lässt Durchschnittsmenschen über sich hinauswachsen und bietet vielen handfeste Unterstützung“ – auf der anderen Seite jedoch vermag sie den Verstand des Menschen einzunebeln, ihn zum Handlanger der Unmoral zu machen.

Als Erklärungsmuster dient Dennett die „Memetik“. Diese besagt, dass religiöse Riten, Rituale, Glaubensüberzeugungen und moralische Bindungskräfte zu einem „Mem“ werden können, d. h. zu einer tradierbaren Informationseinheit, die sich ähnlich der genetischen Vererbung von Generation zu Generation kulturell weitervererbt. Bewährte „Meme“ werden dabei – ganz nach den Gesetzen der Evolution – tradiert und variiert, andere hingegen werden selektiert und ausgeschieden.

Es überrascht nicht, diese These aus dem Mund Dennetts zu hören, bezeichnet er sich doch offen als „Bright“, d. h. als Anhänger jener Gruppe, die sich als von der Vernunft „erleuchtete“ Vorkämpfer eines „neuen Atheismus“ verstehen. Doch auch die „Brights“ kommen offenbar nicht ohne messianisches Sendungsbewusstsein aus. So kann auch Dennett am Ende der Versuchung zum religiösen Populismus nicht widerstehen und schreibt: „Wie der Erweckungsprediger sage ich euch: O ihr Gläubigen, die ihr euch fürchtet, das Tabu zu brechen: Lasst los! Lasst los! Ihr werdet den Sturz kaum spüren!“

Was sagt das Buch nun dem europäischen Leser? Im Blick auf die entfaltete These – nichts. Aus europäischer Perspektive betreibt Dennett nicht viel mehr als Schattenfechterei. Wer weigert sich etwa innerhalb des Christentums oder Judentums ernsthaft, begründet Zeugnis abzulegen? Wer sträubt sich noch ernsthaft gegenüber jeder Form historischer Forschung, die eigene Religion betreffend? Wer zweifelt daran, dass Religion stets auch Ausdruck gesellschaftlicher Kämpfe ist? Und warum ignoriert Dennett eigentlich die längst anerkannte und etablierte Disziplin der Religionswissenschaften? Darüber hinaus bleibt Dennetts Religionsbegriff merkwürdig unbestimmt. Es ist gerade dieses Fehlen jeglicher persönlicher religiöser Musikalität, die Dennett letztlich zum Problem wird: Vielleicht wäre seine Kritik trennschärfer, treffender und für den tatsächlichen Religionsdiskurs auch in Europa produktiver gewesen, wenn er den Blick aus der Innenperspektive gewählt hätte, doch allein, ach, ihm fehlt der Glaube.

Zugutehalten muss man Dennetts Buch jedoch, dass es dem europäischen Leser die tiefen gesellschaftlichen Verwerfungen und Gräben in der US-Gesellschaft vor Augen führt. Wo nämlich evangelikale Christen Amerika im Sumpf des Relativismus versinken sehen, sehen die „Brights“ im Gegenzug das Weiße Haus unter dem Zeichen des Kreuzes im Missionseifer die freiheitlichen Wurzeln der amerikanischen Gesellschaft theokratisch untergraben. So abstrus beide Extrempositionen sind, so sehr zeigen sie, dass Religion – selbst als vermeintlich „natürliches Phänomen“ – ein Politikum ist und bleibt.

DEN BANN BRECHEN

Von Daniel C. Dennett

Insel Verlag, Frankfurt 2008

531 Seiten, geb., € 29,70

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