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Rezension, Pressegesetz und Gerichtsbarkeit

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Medizinische Fragen, insbesondere therapeutische Neuerungen, sind in den letzten Jahren zu einer ständigen Rubrik, vor allem in der Tagespresse, geworden. Wenn sich nun, wie dies in der letzten Zeit der Fall war, eine Landesärztekammer mit diesen Ereignissen zu beschäftigen für notwendig erachtet hat, so muß dafür ein Grund vorliegen. Dies um so mehr, wenn es sich um jene Kammer handelt, deren Präsident auf Grund einer vor kurzem erfolgten Wahl auch der Präsident der Bundes ärztekammer ist, also die führende Stelle der gesetzlichen Standesvertretung der gesamten Aerzteschaft innehat. Die Stellungnahme der Tagespresse zu dieser Aussendung der Landesärztekammer, in der das Bestreben, die moderne Medizin am liebsten zur Geheimwissenschaft zu erklären, erblickt wird, zeigt nur wieder das Interesse, das heute medizinischen Problemen entgegengebracht wird. Es ist zu erwarten, daß von berufener ärztlicher Seite diesen Presseberichten eine weitere Aufmerksamkeit geschenkt werden wird.

Aber nicht der .ganze, von der Aerzte- kammer Oberösterreichs angeschnittene Fragenkomplex soll eine Erörterung finden! Jedoch erscheint es wichtig, zu einem seit Jähren geübten, die wissenschaftliche, insbesondere die medizinische Publizistik wesentlich berührenden Sonderproblem Stellung zu nehmen: der Rezension.

Diese Besprechungen wissenschaftlicher Werke finden in der Presse erfreulicherweise Beachtung, und es wird nicht selten versucht, nicht Gefallen findende Referate mit Hilfe des Pressegesetzes einer Korrektur zu unterziehen.

Es gehört zur Aufgabe der seriösen medizinischen Fachpresse, neben der Veröffentlichung ausgewählter Originalartikel, die sich mit bestimmten wissenschaftlichen Problemen befassen und sich an einen größeren ärztlichen Kreis wenden, auch den Neuerscheinungen auf dem ärztlichen Büchermarkt eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Je nach dem Kreis der Leser, werden solche Bücher meist von den Verlagen den Schriftleitern der verschiedenen medizinischen Zeitschriften usw. angeboten, die nach getroffener Auswahl besonders geeigneten Kollegen — in der Regel solchen, die auf dem gleichen Gebiet gearbeitet haben — diese Werke zur Besprechung zuweisen. Wenn auch in einer solchen Betrauung gewiß eine Anerkennung erblickt werden kann, ist die Aufgabe eines Referenten keineswegs eine lohnende, sondern nach manchen Richtungen eine persönliche Belastung, die aber von den Referenten wissenschaftlichmedizinischer Wochenschriften — und um solche handelt es sich in erster Linie — bisher gerne im Interesse einer ernsten wissenschaftlichen Arbeit übernommen wurde. Denn solche, in der Regel mit dem vollen Namen des Autors gezeichnete Besprechungen setzen diesen manchen Angriffen aus. Die leider beklagenswerte Usance, sich bestenfalls in einer Besprechung auf eine mehr oder minder ausführliche Inhaltsangabe zu beschränken, erfüllt in gar keiner Weise den Zweck einer Rezension. Rezensionen schließen prinzipiell eine Kritik in sich, somit also — um sich eines gesetzestechnischen Ausdruckes zu bedienen — ein Werturteil ein. Dieses Werturteil ist ein rein persönliches, es ist die Wiedergabe der persönlichen

Ansicht, ja Ueberzeugung des Referenten, somit eine rein persönliche Meinung.

Mußte schon die leider immer mehr um sich greifende Gewohnheit, nur eine Inhaltsübersicht bei einer Besprechung zu bringen, beklagt werden, so trifft dies in noch höherem Grade bei dem vollkommenen Fehlen einer sachlichen Kritik zu. Eine solche Besprechung sollte von der Schriftleitung überhaupt zurückgewiesen werden, ganz besonders aber dann, wenn es sich um ein Buch handelt, das auf den Ehrentitel einer wissenschaftlichen Publikation Anspruch erhebt, wobei Bücher medizinischen Inhaltes an erster Stelle zu nennen sind.

In der ernsten medizinischen Publizistik, vor allem in der Rezension, ist die Kritik unentbehrlich, und ein je strengerer Maßstab angelegt wird, um so besser für die Wissenschaft und den mit jeder Publikation angestrebten Fortschritt, der wieder nur den Kranken zugute kommt.

Diese Grundsätze waren bis vor wenigen Jahren eine in keiner Weise bestrittene Tatsache; demgemäß war auch die Stellung des im Impressum erscheinenden verantwortlichen Redakteurs in dieser Hinsicht nur eine Formsache. Ausschließlich wissenschaftliche Probleme hatten ihn zu beschäftigen, die sich auf die verschiedensten Spezialfächer verteilten. Die Unmöglichkeit, sie auch nur einigermaßen zu überblicken, führte bei den für die Gesamtmedizin bestimmten Wochenschriften zur Einführung der Institution des redaktionellen Beirates. Aber auch die damit parallel einhergehende, meist auf ein enges Fachgebiet sich beschränkende wissenschaftliche Kritik von Neuerscheinungen stellt immer mehr Anforderungen an die redaktionelle Führung. Sie setzt nicht nur eine garrz besondere Personenkenntnis, sondern darüber hinaus wenigstens eine übersichtliche Beherrschung der täglich wachsenden Literatur voraus, um im gegebenen Fall ein neues Buch einem gerade auf diesem Gebiete arbeitenden, die Materie beherrschenden Fachmann zuweisen zu können. Wenn aber em derartiger, auf Grund seiner persönlichen Arbeiten ausgewählter Fachmann seine Kritik niedergelegt hat, dann wäre es wohl Anmaßung eines auch redaktionell noch so erfahrenen Schriftleiters, daran auch nur einen Beistrich zu verändern. Es mag dies, vielleicht sogar mit Recht, in der Tagespresse anders sein! In der Wissenschaft, die in einer so schneilebenden Zeit, besonders auf medizinischem Gebiet, außerordentlich raschen Veränderungen unterworfen ist, ist aber die

Beherrschung der Gesamtmedizin zur Unmöglichkeit geworden.

Wenn dieser vertretene Standpunkt der vollkommenen Freiheit des Rezensenten, der — man darf wohl sagen — „seit alters her“ Gesetz war, nicht bald wieder eine Selbstverständlichkeit wird, dann hat die wissenschaftliche Rezension ihre Bedeutung eingebüßt.

WissenschaftlicheKritik, ganz besonders in der Medizin, kann daher auch niemals einer Judikatur der Gerichte unterworfen werden! Denn Judikate können niemals über wissenschaftliche persönliche Ansichten entscheiden. Ein wissenschaftlicher Streit — so lautet der Ausspruch eines erfahrenen Presserichters — kann im Wege einer, auf Grund des Pressegesetzes geforderten Entgegnung nicht klargestellt werden.

Mag auch das österreichische Pressegesetz nach allgemeiner Meinung nicht als zeitgemäß angesprochen werden, so darf doch der in diesem Gesetz vertretene Standpunkt, daß Werturteile nicht berichtigt werden können — ein allerdings selbstverständlicher Standpunkt! —, als ein Vorzug bezeichnet werden.

Rezensionen müssen aber Kritiken sein; Kritiken sind daher folgerichtig subjektive Werturteile des Kritikers, selbstverständlich mit allen ihren jedem menschlichen Werk zukommenden Fehlern. Aufgabe und Pflicht eines Schriftleiters kann es aber nur sein, den auf Grund der vorliegenden Literatur und persönlicher Erfahrung ihm als besonders geeignet erscheinenden Fachmann zu finden und mit der kritischen Besprechung einer Neuerscheinung zu betrauen. Niemals aber kommt es der Redaktion zu, an einer vorliegenden Kritik eigenmächtig Korrekturen vorzunehmen.

Diesen Kritiken kommt dann aber auch ein besonderer Wert zu, sowohl für den ärztlichen Leser als auch für den Autor des kritisierten Werkes, und tragen wesentlich zum Fortschritt der medizinischen Wissenschaft bei! Sie sind für die mit den behandelten Problemen beschäftigten A e r z t e von unschätzbarem Wert. Da sie allgemein zugänglich sind, widerlegen sie aber auch den im Anfang erwähnten Vorwurf. Keineswegs wird somit angestrebt, die moderne Medizin zu einer Geheimwissenschaft zu erklären. Aber noch nicht feststehende Neuerungen zur Kenntnis der Allgemeinheit zu bringen, dürfte nicht selten falsche Hoffnungen erwecken und oftmals mehr Schaden stiften als nützen.

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