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Rückt der begrenzte Atomkrieg näher?

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Nicht so sehr vor den unterirdischen Atomversuchen Frankreichs und Chinas müssen wir Angst haben, sondern vor dem Ziel, taktische Atomkriege führbar zu machen.

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Nicht so sehr vor den unterirdischen Atomversuchen Frankreichs und Chinas müssen wir Angst haben, sondern vor dem Ziel, taktische Atomkriege führbar zu machen.

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Auf die Ängste der Menschen vor den angekündigten, ab diesem Freitag von Frankreich geplanten, wahrscheinlich acht unterirdischen Atomversuchen auf dem südpazifischen Mururoa-Atoll angesprochen meint Konrad Mück, Wissenschaftler am Osterreichischen Forschungszentrum Seibersdorf/Abteilung Forschungsreaktor, zur Furche, daß man die Bedenken, was Auslaugung des unterirdisch verseuchten Gesteins, Kontamination des Grundwassers, Verschleppung von Radioaktivität mit Meeresströmungen „von wissenschaftlicher Seite problemlos zerstreuen kann”. „Dort, wo ich Probleme sehe, das ist ein ganz anderer Punkt: Kernwaffen sind eines der schlimmsten Waffensysteme, die wir haben. Ich finde, ein bakteriologisches Waffensystem oder die Chemie-Waffen des Ersten Weltkrieges waren noch viel schlimmer, weil sie wirklich nur den Menschen getötet, keine Bauwerke oder Panzer vernichtet haben, wie man das der Neutronenbombe heute propagandistisch und eigentlich falsch nachsagt. Aber: Heute geht die Tendenz in Richtung Entwicklung kleinerer Atomwaffen. Und je mehr man in diese Richtung geht, umso eher wird man die Schwelle ihres Einsatzes überschreiten. Wenn ich kleinere Waffen produziere, dann ist die Schwelle für den General, der auf dem Schlachtfeld eine bestimmte Maßnahme zu ergreifen hat, geringer, denn Wasserstoffbomben wird er sicher nicht einsetzen, er wird wahrscheinlich auch keine normalen Kernwaffen einsetzen -aber die Schwelle, Neutronenbomben oder gerichtete taktische Waffen einzusetzen, die ist wesentlich geringer.”

Für die Aktivisten der Umweltschutzorganisationen Global 2000 und Greenpeace geht es aber zunächst einmal um einen Stop der Atomtests. Cha-tan U. Schwab von Global 2000, die vergangenen Freitag in Wien einen „Anti-Atomtest Speakers Corner” auf dem Stock-im-Eisen-Platz mitorganisierte, zur furche: „Auch wenn wir hier keinen radioaktiven Fallout haben, sind die Folgen weltweit nicht abschätzbar. Denn bis heute wissen wir gar nicht, was diese ständigen Tests im Mururoa-Atoll alles auslösen.” Auf den Einwand, daß die Internationale Atomenergie Behörde (IAEA) in Wien in ihrem Jahresreport 1994 festhält, daß es „kein Kontaminationsproblem in der Meeresumwelt des Mururoa-Atolls” gebe, antwortete Schwab: „Es gibt unterschiedliche Meßergebnisse. Aber hier geht's um die Nicht-abschätzbarkeit, um langfristige Schäden, davon bin ich überzeugt, die wir heute nicht sehen und messen können. Niemand hat das Recht, das Leben anderer Menschen oder auch das von Pflanzen und Tieren zu gefährden. Wir dürfen die Erde nicht zerstören — ja wir dürfen sie nicht einmal in Gefahr bringen.”

Worum geht's bei den jüngsten Atomtests Frankreichs und auch Chinas (China hat heuer bereits zwei Atombomben unterirdisch im Versuchsgelände Lop Nor gezündet)? Dazu Konrad Mück aus Seibersdorf: „Es geht, soweit mir bekannt ist, darum, nicht noch größere Waffensysteme mit noch größeren Detonationsstärken, die ohnedies kaum eingesetzt werden, zu entwickeln, sondern kleine Systeme, das heißt nicht Megatonnenstärke, sondern Kilotonnenstärke - aber mit hoher Strahlungsleistung oder gerichteter Strahlungswirkung.”

Damit seien Panzer, die mit ihren Stahlplatten und Filtern gegen Gammastrahlung und den Fallout von Kernwaffen „ziemlich gut absicherbar sind”, via Neutronenstrahlung „plötzlich völlig ungeschützt”. Die USA haben ebenso wie die Russen (Ex-Sowjetunion) solche Systeme entwickelt, Frankreich brauche noch entsprechende Daten. Die seinerzeit durchgeführte oberirdische Detonation führt zu einer Freisetzung der gesamten gebildeten Spaltprodukte in die Atmosphäre, das kann - je nach der Höhe, in der die Bombe detonierte - zu einem sehr hohen lokalen Fallout führen, aber auch zu einer weltweiten Vertreibung und Ablagerung.

Bei unterirdischer Detonation - „nicht an der Erdoberfläche, sondern in entsprechender Tiefe” (Mück) - gibt es praktisch keine Freisetzung nach außen. „Es bleibt also die gesamte Spaltproduktmenge in der unterirdischen Kaverne -und damit ist das Gefährdungspotential der Umgebung irgendwo bei Null.” Bei Aufbohrungen derartiger Kavernen habe man festgestellt, daß es durch die hohe Energie, die freigesetzt wird, zu einer Verschmelzung des Gesteinsmaterials mit den Spaltprodukten kommt. „Also Sie haben”, so Mück zur Furche, „wenn Sie es sehr vereinfacht haben wollen, ein fast schon perfektes Endlager, das, was man eigentlich anstrebt.” Über die Stabilität des Atolls könne er nichts sagen, er gehe aber davon aus, daß die Franzosen sicher genaueste Überlegungen angestellt haben. „Und was ein bißchen dafür spricht ist, daß schon eine Beihe von Detonationen dort stattgefunden hat, wo nichts in der Art eingetreten ist und keine Freisetzungen erfolgten.” Auch über mögliche Spätfolgen gebe es derzeit jedenfalls „absolut keine Anhaltspunkte”.

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